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"Amerika gibt es nicht"

In Italien hat sich unter Labels wie "Pulp" oder "Cannibali" eine junge Literaturszene gebildet, deren Autoren die Vorliebe für rasante Erzählweisen und blutige Themen verbindet. Daniele Benati fällt zwar vom Alter her zwar in die gleiche Generation, ist den "Cannibali" aber nicht eindeutig zuzuordnen. Denn Benati stellt die orale Tradition, das laut gelesene Wort in seiner Prosa in den Vordergrund.

Von Claudia Cosmo | 02.11.2005
    Daniele Benatis Roman "Amerika gibt es nicht" ähnelt einem "Giro Tondo" - einem immer währenden Reigen ohne Anfang und ohne Ende. Ähnlich dem Höllenfahrer Dante verlieren sich die männlichen Hauptfiguren im Getümmel einer US-amerikanischen Großstadt, die New York sein könnte.

    Die Ewigkeit ist kreisförmig und repetitiv: Man glaubt, sich vorwärts zu bewegen, dabei kehrt man immer wieder an denselben Ort zurück. Im Kopf hatte ich noch die Verse des großen Dichters, die ich mir während meines Herumirrens immer wieder vorgesagt hatte. Ich meine diese Verse: Ich fand mich einst in einem dunklen Walde, weil ich vom rechten Weg verirrt mich hatte, als ich auf halben Wege unsres Lebens stand.

    Doch im Gegensatz zu Dante Alighieris "Göttlicher Komödie" suchen in Daniele Benatis Roman gleich elf Männer nach der "diritta via" - nach dem rechten Weg. Sie haben nicht nur ihre italienische Heimat verloren, sondern auch den Glauben an Gott und an sich selbst. "Amerika gibt es nicht" ist ein episodenhafter Roman, bestehend aus elf miteinander verschachtelten Geschichten.

    Von einem italienischen Kulturinstitut aus der Heimat deportiert, wohnen die Männer in der "Mystic Avenue", einem riesigen und verwinkelten Gebäude mit der Hausnummer 3847.

    Die "Mystic Avenue" liegt wie ein Höllenkreis um die fiktive Stadt, in der das In-Erfüllung-Gehen des "American Dream" ein Wunsch bleibt. Benatis Figuren fragen sich ständig, wo und wer sie eigentlich sind und müssen sich vor herumstreunenden Höllenhunden in Acht nehmen.
    Der Schriftsteller entmystifiziert die "schöne neue Welt" und macht seinen Figuren die Hölle. Benati zeichnet ein Bild eines verdammten Ortes, in dem seine Figuren dazu verdammt sind, zu leben.

    " Das von mir im Buch entworfene Amerika könnte man als Hölle bezeichnen, aber eher noch als eine Art undefiniertes "Anderswo". Meine Figuren befinden sich in einer existenziell bedrohlichen Lage und erzählen ihre Geschichte. Dass sie Deportierte sind, ist besonders im psychologischen Sinne zu verstehen. Ihr Inneres wurde verpflanzt, deportiert. Denn sie bilden sich die vom italienischen Kulturinstitut initiierte Deportation in die Vereinigten Staaten nur ein. Das hat natürlich was Ironisches. Dass ich meinen Roman in den USA angesiedelt habe, liegt daran, dass ich dort lange gewohnt habe. Aber ich wollte auch einen Ort schaffen, der die Protagonisten langsam innerlich zerstört. Denn sie klammern sich verzweifelt an Überbleibsel ihrer eigenen Identität. Und ich glaube, dass nur ein Land wie die USA ein solch existentielles Unbehagen in Menschen hervorbringen kann!"

    Das Haus in der Mystic Avenue 3847 gleicht einem Labyrinth mit unendlich langen Korridoren. Um in ihre Wohnungen zu gelangen, müssen die Bewohner ein McDonalds-Restaurant und eine große Toilettenanlage passieren, die gleichzeitig das Atrium der Universität ist.

    Alle Nachnamen der deportierten Hauptfiguren beginnen mit dem Buchstaben "P". Sie heißen "Polis", "Paio", oder "Perlasca". Einige Namen hat Daniele Benati dem Emilianischen Dialekt entnommen. So bedeuten "Picaglia - großer Mann" oder "Piciorla - Stein". Und so ist Bruno Piciorla auch unbeweglich wie ein Stein. Er fürchtet sich vor dem großen Gebäudekomplex und bleibt lieber zu Hause. Er weiß manchmal nicht, wie er heißt. Vielleicht "Joe", denn eine unbekannte Stimme ruft ihm ab und an leise "Hey Joe!" zu. Um sich abzulenken und nicht den Verstand zu verlieren liest Bruno Piciorla Bücher, die er jedoch aus dem Fenster wirft, weil er deren Inhalt als falsch ansieht.

    Die Suche nach dem Wahren und Falschen zieht sich wie ein roter Faden durch den surreal anmutenden Roman. Benatis Männer klammern sich an ein leuchtendes Vorbild.

    " Die Dante- Zitate im Buch stehen nicht für kulturintellektuelle Bildung. Sie sind der Versuch, den großen Dante in ein urbanes, niederes Niveau zu integrieren. Er ist auf der einen Seite wie ein alter Freund, der einen tröstet. Dante ist aber auch wie ein Satellit, der meine Figuren führt. In der "Göttlichen Komödie" hat Dante Begleiter wie Vergil und nicht zuletzt Beatrice, die ihn zu Gott bringt. In meinem Roman kommen die Männer nur bis zu Beatrice, die einen wieder an den Ausgangspunkt zurückführt und alles beginnt von vorne."

    Die Männer in der Mystic Avenue Nummer 3847 sehnen sich nach weiblicher Inspiration und Zuneigung. Und die auch von Dante verehrte Beatrice ist nur eine der zahlreichen Musen in Daniele Benatis Roman. Doch es sind moderne, launische und emanzipierte Musen: Bardamen, erfolgreiche Schauspielerinnen und auf der Straße rauchende Lolitas. In "Amerika gibt es nicht" sind die Frauen keine willenlose und passiven Geschöpfe. Sie agieren selbstbestimmt.

    Die Männer dagegen fühlen sich wie gelähmt, betäuben ihre Einsamkeit mit Alkohol und bewegen sich wie Halbtote; ein Thema, dass Daniele Benati schon in seinem Erzählband "Silenzio in Emilia" aufgegriffen hat.

    "Amerika gibt es nicht" ist auch eine unterhaltsame Meditation übers Schreiben.

    Benatis Figuren versuchen ständig, etwas zu Papier zu bringen, einen Traktat oder eine Erzählung zu verfassen. Dann wird das Schriftstück jedoch plötzlich eigenhändig vernichtet, oder ein Computer kollabiert. Die von den Figuren angekündigten Texte bleiben somit unvollendet. Demgegenüber bleibt auch der Autor machtlos. Es scheint, als habe sich Benati von der Rolle eines "Dio Autore - eines gottgleichen Autors", der über seine Figuren herrscht, zurückgezogen.

    " Das ist für mich das Entscheidende, warum ich überhaupt schreibe! In diesem Roman wird das auch deutlich. Für die Autorität des Autors hatte ich noch nie viel Sympathie übrig. Ich glaube, er sollte m Text ganz verschwinden. Ich mag keine texte, denen man die Übermacht des Autors anmerkt. Man sollte den Figuren Raum verschaffen. Und man sollte sich auf die Stimmen, die einem als Autor im Kopf herumgeistern verlassen und sie in Romanfiguren freisetzen. Klar, bin ich der Autor des Romans, aber ich lasse den Stimmen in meinem Kopf den Vortritt!"

    Der Leser ist den Romanfiguren und einer klaustrophobischen Grundstimmung ausgesetzt. Der Leser lässt sich tunlichst auf die mysteriöse Situationen ein und übernimmt die Rolle eines Detektivs. Eine Aufgabe, die Spaß bereitet. Denn der Lesende weiß mehr als die Protagonisten und entdeckt mit der Zeit, dass letztendlich nicht elf, sondern nur neun Männer in der Mystic Avenue wohnen.

    Signor Piciorla, Pigasso, Paio oder Perlasca sind teilweise etwas unzurechnungsfähig, aber mit einer gehörigen Portion Komik ausgestattet; liebenswerte Männer, die sich in ihren Aussagen und Handlungen wiederholen

    " Wenn es in der Literatur keine Komik gibt, dann gibt es auch nichts wirklich Tragisches. Und eine Literatur ohne Tragik transportiert keinen Wert. Und die Wiederholung an sich produziert Komik. Aber sie hat eine Doppelfunktion und provoziert gleichsam die Aufhebung von Bedeutungen oder von Effekten. Innerhalb unserer Existenz setzen wir uns mit der Suche nach bedeutsamen und mit dem Mangel an Bedeutung auseinander. Zwischen diesen beiden Polen kämpfen wir heutzutage, um unserem Leben eine Richtung zu geben."

    In "Amerika gibt es nicht" zeigt sich Daniele Benati als sensibler Zeitgeistkritiker und Erzähler und verbindet philosophisch-literarische Ansätze der klassischen Moderne mit einer surrealen Romanwelt. In literarischer Form veranschaulicht er, wie eine vermeintlich moderne aber doch anonyme und uniforme Gesellschaft den Mythos der Erinnerung bedrohen kann.

    Daniele Benati: Amerika gibt es nicht.
    Roman Aus dem Italienischen von Marianne Schneider
    Tisch 7 Verlag, 291 Seiten, 22 Euro