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Amerika in Halle

Die USA ist in den Köpfen der Leute immer noch ein Mythos, Land unbegrenzter Möglichkeiten und Zumutungen, Projektionsfläche für Liebe und Ressentiment. Amerika, das ist das Bild, das wir uns davon machen. Genau darum geht es dem diesjährigen "Werkleitz Festival" in Halle: 14 Tage lang luden Bildungseinrichtungen, Galerien und Kinos in der ganzen Stadt zu Lesungen, Filmen und Konzerten, Ausstellungen, Workshops und Events.

Von Carsten Probst |
    "Die Leute wollen hier nichts Ironisches über Amerika sehen, die hassen Amerika, wenn dann wollen sie wirklich "a hate speech". "

    So bekam es Marcel Schwierin, Kurator des diesjährigen Werkleitz Festivals, in den letzten Jahren des Öfteren zu hören, wenn er Filmreihen organisierte, zum Beispiel 2006 in Bombay, aber auch bei Diskussionen in Deutschland begegnete ihm immer wieder ein zwiespältiges Gefühl, wenn es um Amerika ging. Jener ständige Widerspruch, dass die heftigsten Kritiker der amerikanischen Kultur selbst von dieser Kultur inzwischen durchdrungen sind. Sie tragen Jeans, konsumieren Fast Food und Coca Cola, ihr Leben, ihre Sprache ist durchsetzt mit lässigen Amerikanismen. Das verzweifelte Ringen mit der eigenen amerikanisierten Identität ist ein schönes Thema für ein Kunstfestival im Herzen Deutschlands, um sich mal wieder richtig den Spiegel vorhalten zu lassen:
    "Hugh Oda! Ich begrüße meinen Freund aus den fernen Prärien und darf meine Freunde von der Kulturgruppe für Indianistik vorstellen. Es sind lauter Menschen aus verschiedenen Berufen, die sich hier zusammengefunden haben, das Leben der Indianer studieren, ihre Geschichte, ihre Lebensweise, und die versuchen, durch Nachempfinden unseren Bürgern etwas aus der Geschichte der Indianer nahezubringen."

    So wie der inzwischen legendäre Häuptling Powderface in den Momentaufnahmen des amerikanischen Filmemachers Bill Myers aus dem DDR-Alltag der frühen achtziger Jahre. Die Frage, warum die DDR-Regierung Myers überhaupt gewähren ließ und sein umfangreiches, bislang kaum gesehenes Filmmaterial nie auf Klassenfeindschaft hin überprüfte, bleibt ein Geheimnis der Geschichte. Seine wackligen VHS-Aufnahmen von Indianercamps in der thüringischen Waldeinsamkeit lassen die DDR und die Amerikasehnsucht ihrer Bewohner unter ethnographischem Blick neu entdecken und wären eigentlich ein Fall für das Deutsche Historische Museum. Noch heute geben sich die ostdeutschen Hobbyindianer gern als Widerstandskämpfer gegen das alte Regime:

    Viele andere, nicht nur skurrile Video- und Film-Beiträge werden an diesem Wochenende im Werkleitz-Zentrum zu sehen sein, doch was dieses Jahr vor allem ins Auge fällt, ist die extreme Ausdünnung des Programms.

    "Wir haben oft das Gefühl, dass wir überregional sehr viel bekannter sind und geschätzter werden, und dass es uns oft schwergefallen ist, hier vor Ort die Leute davon zu überzeugen, dass wir bekannt sind und dass das ein wichtiges Festival ist. Und das macht uns das Leben, glaube ich, zur Zeit recht schwer. "

    2006 wurden die Mittel bereits massiv gekürzt, dieses Jahr noch einmal um die Hälfte. Eine Biennale, wie in den letzten Jahren, lässt sich damit nicht mehr veranstalten. Man hat sich daher Festival genannt, aber eigentlich befindet man sich auf einer Schwundstufe, die nahe legt, dass dieses wunderbare Kunstmeeting, das einmal als "documenta des Ostens" bezeichnet wurde, von keinem Geldgeber mehr gewollt wird - vermutlich weil es nicht genug im Mainstream mitschwimmt. Auf die Präsentation einer Kunstausstellung, die eigentlich zum Werkleitz-Projekt hinzugehört, mussten Marcel Schwierin und sein Team diesmal bereits verzichten. Und man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass das Festival nach der nächsten Kürzungsrunde vermutlich in den Privatwohnungen der Macher stattfinden wird - oder zurückgehen in das Dörfchen Werkleitz mitten in der anhaltischen Steppe, wo es einst entstanden ist - in einem Reservat für die Kunstindianer unserer Tage, vertrieben von den Bleichgesichtern der Kulturverwaltung.