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Amish ist nicht gleich Amish

Kein Telefon, keine Elektrizität, keine Autos, keinen Luxus. Die Amish haben lange Zeit versucht, das Interesse an ihrer Lebensweise zu ignorieren. Inzwischen akzeptieren viele von ihnen, dass Touristen kommen. Die traditionellen Amish lehnen dies allerdings immer noch ab.

Von Heike Braun | 22.01.2012
    "Natürlich wollen alle die Amish sehen. Vor allem in ihren Buggys.
    Ich erinnere mich noch, als meine Schwägerin uns besuchte. Wir fuhren nach Mount Hope, dem großen Amish Zentrum. Und sie rief: oh, ein Buggy! Da ist ein Buggy"

    "Viele haben die Amish in den Kino-Filmen gesehen. Aber hier gibt es sie wirklich. Sie sind keine Erfindung von Hollywood. Und die fahren tatsächlich mit Pferdekutschen. Haben keine Autos und keine Elektrizität. Und sie leben freiwillig und gerne so. Das ist für viele unfassbar."

    Vicki van Natta wohnt und arbeitet in Amish-Country Ohio. Rund 60 Meilen von der Großstadt Cleveland und dem Lake Erie entfernt. Sie ist Mediendirektorin einer Restaurantkette, die sich auf Amish-Küche spezialisiert hat. Sie selbst ist mennonitisch. Alle Amish waren einmal Mennoniten.

    Zur Spaltung kam es, als die Mennoniten für ihre Häuser die Elektrizität entdecken. Dieser Lebensstil war den Amish zu modern.

    Kein Telefon, keine Elektrizität, keine Autos. Keinen Luxus.
    Die Amish fahren Buggy-Kutchen. Die Männer tragen schwarz-weiß Kombinationen. Die Frauen lange blaue Kleider. Knöpfe, Reisverschlüsse und Gürtel sind verboten. Die verheirateten Männer haben Bärte. Die Frauen tragen ihre Haare niemals offen.

    Vicki van Natta trägt lieber Jeans und einen flotten Kurzhaarschnitt.

    "Ich bin Mennonitin. Bei uns gibt es nur sehr wenige Frauen, die noch eine Kappe tragen. Unsere Gottesdienste finden in Kirchen statt und wir haben Sonntagsschulen für die Kinder."

    Die Amish-Gottesdienste finden reihum in den Häusern der Familien statt. Immer in der Küche oder in der Scheune. Jeden zweiten Sonntag. Mindestens drei Stunden lang.

    Ab dem 16. Lebensjahr dürfen sich die Jugendlichen entscheiden. Für oder gegen dieses Leben. Diese Option gibt es tatsächlich.
    Mary Yoder war einmal eine Amish, wechselte zu den Mennoniten und führt heute Gäste über die Yoder Farm.

    "Herzlich willkommen im Amish Haus der Familie Yoder. Ich bin Mary.
    Ich bin Amish aufgewachsen, habe aber als Jugendliche zu den Mennoniten gewechselt. Ich habe großen Respekt vor dem Leben und dem Glauben der Amish. Aber ich wollte einfach ein bisschen mehr Komfort haben. Elektrizität, Heizung, warmes Wasser.
    Sie können hier übrigens alles fotografieren. Nur die Amish bitte nicht
    Ich bin Mennonitin. Mich dürfen sie fotografieren."

    Bevor es ins Haus geht, lenkt Mary die Aufmerksamkeit auf eine typische Amish Toilette. In Deutschland würde man sie Plumpsklo nennen.

    "”Wir gehen jetzt ins Haus und ich erzähle Ihnen einiges über die Amish. Woran sie glauben, über ihre Kleidung und ihre Art zu leben.
    Bitte hier hoch! Der Letzte schließt die Türe!"""

    Während Mary die Gäste durch das Haus führt, läuft die Arbeit auf der Farm weiter. Die Männer machen Butter, die Frauen backen Kuchen.

    Immer wieder einmal fährt ein Buggy vorbei.

    Die Touristen sind zwischen Faszination und Staunen hin und her gerissen. Denn hier läuft kein Film und kein Musikvideo ab. Sondern das wahre Leben.

    Die Yoders sind Mennoniten oder gemäßigten Amish. Trend Yoder ist hier der Hausherr. Als er seinen Hof für Touristen öffnete, waren seine Amish Verwandten skeptisch. Das hat sich inzwischen geändert.

    "Mein Vater war Amish. Alle meine Verwandten sind Amish. Ich bin damit aufgewachsen. Habe selbst aber den Amish Glauben nie praktiziert.
    Aber ich weiß, dass meine Verwandten es völlig in Ordnung finden, dass wir einen Blick in ihre Welt ermöglichen. Denn wir wissen, wovon wir reden.

    Seit den 80ern steigt das Interesse am Leben der Amish eigentlich ständig. Viele von uns finden es besser, den Tourismus zuzulassen. Amish sind anders, aber nicht geheimnisvoll. Vor allem kann man sie nicht wie Museumsstücke besichtigen. Die gemäßigten Amish sollten sich zusammentun. Und die Touristen vernünftig aufklären."

    Was Trend Yoder tut, wird aber nur von den gemäßigten Amish toleriert.
    Die Traditionellen - die sogenannten Schwarzentrupper - würden niemals Touristen über ihren Hof führen. Trotzdem ist es nicht ganz unmöglich, auf der Farm eines traditionellen Amish zu übernachten. Man muss nur wissen, wie das geht.

    So wie der Bio-Bauer Kurt Ohrndorf. Er buchte seine Reise ins Amish-Land über ein Forum für Pferdekutscher. Er besuchte die Pferdarbeitstage in Ohio und wurde von traditionell gläubigen Amish eingeladen. Ein Erlebnis, das den Landwirt aus Nordrhein-Westfalen tief beeindruckt hat.

    "Wir waren eine gemischte Gruppe. Vom Chirurgen bis zum Kapitän. Wir haben neun Tage lang Amish Farmen besucht. Es hat mir einfach imponiert, wie sie sich gegen den Trend der Zeit durchsetzten. Klar, sie leben strikt der Bibel nach. Lehnen Strom ab. Und wo wir ein Auto brauchen, nehmen die ein sogenanntes Buggy. Eine Einspännerkutsche, wo ein Pferd vorgespannt ist, das quasi im Dauertrab unterwegs ist. Da kommt die 85 Jahre alte Oma genau wie das sechsjährige Kind mit dem Buggy um die Ecke geprescht. Da steht der Buggy neben dem typischen amerikanischen Geländewagen abgebunden auf dem Parkplatz. Das ist da in der Ecke eine Selbstverständlichkeit.

    Wir waren da auf einer landwirtschaftlichen Ausstellung. Da waren 20.000 Amish. Wenn wir uns dann auf Deutsch unterhalten haben, spitzten sie die Ohren. Sie kamen dann und fragten "Sid ihr Dütsch?" Oder wenn ich mir ein Eis kaufen wollte, wurde man gleich von den Amish auf Englisch angesprochen. Und da ich nur sehr schlecht englisch spreche, nur das Schulenglisch, wo man nicht weit mit kommt, kam dann mein Standardsatz: "I speak no English. I German", dann sagten sie: "Dann schwätzer mer Dütsch", oder"Aber Hochdütsch kanste doch".
    Wir haben bis zwölf Uhr in der Nacht geredet. Sie sind sehr wissbegierig. Die sind aber voll informiert. Obwohl sie kein Fernsehen und kein Radio haben. Die haben eine eigene Zeitung. Die wissen alles über Gentechnik - die sie natürlich auch ablehnen- Politik und diese Sachen. Man kann die Amish absolut nicht über einen Kamm scheren. Die sind einfach hochinteressant, diese Menschen."
    Genau das erklärte auch Mary Yoder den Gästen, die ihre Amish Farm besuchen.

    "In dieser Gegend von Ohio gibt es 9 verschiedene Amish-Gruppen. Alle haben unterschiedliche Regeln. Einige lehnen jeglichen Fortschritt ab. Zum Beispiel die Schwarzentrupper. Sie sind sehr traditionell. Andere Amish sind dem Fortschritt gegenüber aufgeschlossener. Aber auch nur, bis zu einem bestimmten Punkt.
    Die modernen Amish haben Bilder an ihren Wänden hängen. Sie erlauben Spiegel und Gardinen an den Fenstern. Sie kochen auf Holzöfen. Ihre Lebensmittel legen sie auf Eisblocks, um sie zu kühlen. Das hier ist so etwas wie eine Mikrowelle für Amish."

    Wer genau hinschaut, dem entgeht nicht, dass Mary hin und wieder einen erstaunten Blick in Richtung der Touristen-Kinder riskiert. Jungen wie Mädchen werfen sich auf jedes Bett im Haus, kriechen unter alle Öfen, klettern auf die Tische. Mary erzählt derweil, wie die Welt aussieht, in der sie groß wurde.

    "Ich bin –wie alle Amish- mehrsprachig aufgewachsen. Das Pennsylvania-Deutsch ist unsere wichtigste Sprache. Das ist ein alter süddeutscher Dialekt. Wer den nicht beherrscht, kann kein Amish sein. Erst mit ungefähr fünf Jahren lernen wir englisch."

    In der Zwischenzeit hat Mary ihre Gruppe ins Schulhaus geführt. In nur einem Klassenzimmer werden die Amish-Kinder – oft bis zur Highschool-Zeit - unterrichtet. In der Regel von unverheirateten Frauen. Auch Linda Schlabach ist hier Lehrerin.

    "Wir unterrichten die ersten zwei Schuljahre nur Englisch. Ab der dritten Klasse kommt auch Deutsch dazu. Und zwar das alte Hochdeutsch, was in der Bibel steht. Wir Amish benutzen keine englische Bibel. Das heißt: Nur wer das Bibeldeutsch lesen kann, versteht Gottes Wort. Die Unterrichtssprache ist grundsätzlich Englisch. In den Pausen sprechen die Kinder untereinander meistens ihr Pennsylvania Deutsch."

    Und dann fragt plötzlich einer aus der Touristengruppe etwas in einer merkwürdig klingenden Sprache.

    Tourist: "How are you: Wie sagt me sell in Deutsch?"

    Der Tourist ist Mennonit und spricht Pennsylvania Deutsch. Das überrascht auch Mary.

    Mary: "If I can say something in German?”"

    Tourist: ""Kannst Du Deutsch schwätze"?"

    Mary: ""Yes! Wie bischt Du?"

    Tourist: "Ich hab sej net verstanne"."

    ""Das Touristen Pennsylvania Deutsch sprechen, kommt nicht häufig vor. Aber in Ohio gibt es sogar eine Fernseh-Sendung, die amerikanischen Kindern, Grundlagen in Pennsylvania Deutsch beibringt."

    "Mondaag, Dinnschdaag ..."

    Nach Ohio sind aber nicht nur Mennoniten und Amish ausgewandert. In den 50zigern gab es noch einmal eine deutsche Einwanderungswelle. Auch viele Schweizer kamen hierher. Ihre amerikanischen Nachfahren versuchen die alte Kultur lebendig zu halten. Sehr zur Freude der Touristen. In Cleveland findet zum Beispiel jedes Jahr ein Oktoberfest statt. Die Amerikaner behaupten: dass Größte nach München.

    Viele Deutschstämmige nutzen diese Feste, um andere deutsche Auswanderer zu treffen, auch Renate Bayer. Sie kam als 6 jährige mit ihren Eltern in die USA. Auf dem Oktoberfest kann sie endlich noch einmal deutsch sprechen.

    "Man macht das eigentlich jedes Jahr. Und da sind die deutschen Tänze. Und viel zu essen und zu trinken. Genau wie in Deutschland auch. Und die Schuhplattler und viel Spaß. Es hat ein bisschen amerikanisches Flair. Es ist vor allem die Speise. Da haben Sie Sauerkraut und Bratwurst. Viel Bratwurst. Weiße Bratwurst, braune Bratwurst und die Herzplätzchen, die Brezel. Da machen die, was die meinen, was die Amerikaner gerne haben."

    Das deutsche Essen ist in Amerika sehr beliebt. Besonders in Ohio. Mennoniten und Amish haben hier die Restaurant und Hotel Kette "Der Dutchman" gegründet. Jeder Amerikaner weiß, dass es beim Dutchman, Deutsches Essen gibt.

    "Ja! Eigentlich sollte es Deutsch heißen. Der Deutsch-Mann.
    Der Dutchman ist falsch und irreführend. Gemeint ist nicht der Holländer, sondern der Deutsche. Und vor allem die deutsche Küche.
    Dieser Fehler ist zustande gekommen, weil einige Leute eben doch nicht mehr so gut Deutsch sprechen, wie sie meinen. Auch nicht das Pennsylvania Deutsch. Deshalb wundert es mich gar nicht, dass da was Falsches bei raus gekommen ist."

    Vicki van Natta ist die Medien-Managerin von "der Dutchman" Ihr ist es etwas peinlich, dass der Name falsch ist. Muss es aber nicht. Die Deutschen sprechen das Wort "Amish" ja auch fast immer falsch aus.
    Das Essen ist auf jeden Fall Original deutsch.

    "Wir haben hier Hühnchen, Kartoffelpüree, grüne Bohnen, Sauerkraut, Braten. Alles was man schon in Deutschland gerne gegessen hat."

    Und noch eine Delikatesse hat Amish Country weit über die Grenzen Ohios bekannt gemacht: der Schweizer Käse. Es gibt Käsereien, die angeblich besseren Tilsiter herstellen, als die Schweizer selbst.

    Besucher haben hier Gelegenheit, bei der Käseproduktion zuzuschauen. Oder bei der Herstellung von Kuhglocken und Kuckucksuhren. Aber diese Geschäfte sind längst kein Geheimtipp mehr. Das ist bei den Amish-Viehauktionen völlig anders.

    Jeden Donnerstag kommen die Amish zur Rinderauktion nach Kidron und samstags zur Pferdeauktion nach Mount Hope.

    Soweit das Auge reicht, stehen dann die Pferde -angebunden vor den Buggys- auf den Parkplätzen. In den Auktionshallen sieht man hunderte, manchmal tausende Männer mit Strohhüten. Denn schwarze Hüte tragen die Amish nur zur Kirche oder zu Festlichkeiten.

    Die Versteigerungen sind meistens ein Familienereignis. Vater, Mutter, Kinder, Oma, Opa, Tanten und Cousins. Alle kommen mit.

    Nach Kidron kommen die Amish auch, um einzukaufen. Denn hier gibt es Lehmans. Das größte Geschäft – in ganz Amerika - mit Produkten von und für Amish.

    Gegründet von Jay Lehman. Auch seine Familie ist mennonitisch. Denn die Amish dürfen selbst keinen Handel treiben, von dem sie reich werden könnten. Glenda Lehman erklärt die Geschäftsidee.

    "Meine Familie und die Amish haben eine Übereinkunft. Sie machen Möbel, Körbe oder Patch-Work-Arbeiten für uns und wir verkaufen sie. Die Amish wollen keinen täglichen Kontakt zu ihren Kunden. Sie wollen ihre Produkte auch nicht in Katalogen oder im Internet vermarkten. Das tun wir für sie. Sie bleiben zuhause, bei ihren Familien und stellen genau so viel her, wie sie zum Leben brauchen."

    "Hier haben wir einen Hocker, der mir einem Handgriff zur Leiter wird. Ich habe den Amish der sie herstellt mal gefragt: Kannst Du nicht mehr davon für uns machen? Die sind sehr gefragt. Und er meinte: "Alles was ich will, ist genug Geld, damit ich und meine Familie satt werden. Mehr nicht." Sie wollen nicht reich werden. Sie wollen ihr Leben leben, ihren Glauben. Und vor allem wollen sie unter sich bleiben. Am wohlsten fühlen sie sich in ihrer Familie."

    Glenda Lehman ist die Tochter des Geschäftsgründers. Ihr Vater ist inzwischen über 80 und arbeitet immer noch in seinem Geschäft. Hier gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Nur alles ohne elektrischen Antrieb. Mikrowellen, Eisschränke, Heizöfen, Popkornkessel, Waffeleisen, Waschmaschinen. Und da die Amish Licht ablehnen, jede Menge Kerzen, Öllampen und Fackeln. Regelmäßig finden Vorführungen, im Laden statt. Die Amish demonstrieren dann, wie sie bei Kerzenlicht Körbe flechten, Möbel ohne Maschinen herstellen, und Kleider ohne Knöpfe oder Reisverschlüsse nähen.

    "Hier haben wir Kleider, die von den Amish Frauen getragen werden, wenn sie in die Kirche oder zum Einkaufen fahren. Das ist ein Hochzeitskleid. Es ist hellblau. Die modernen Amish dürfen hellblaue Hochzeitskleider tragen. Die Schwarzentrupper tragen dunkelblaue.
    Sie heiraten, wenn sie ungefähr 20 sind. Die Hochzeiten sind nicht arrangiert."

    Wer hier zuschaut, mag die Amish für rückständig halten.
    Aber wenn morgen alle Maschinen stehen bleiben, das Stromnetz zusammenbricht und die Computer abstürzen, machen die Amish einfach weiter, wie bisher.

    "Das allererste, was wir hier verkauft haben, war eine handbetriebene Wäscheschleuder. Mein Vater wollte vor allem Sachen für die Amish herstellen und verkaufen. Das ist jetzt über 50 Jahre her. Dann stellte sich raus: Auch die andersgläubigen Amerikaner waren ganz heiß auf diese handbetriebene Wäscheschleuder. Mein Vater hat damals den Entschluss gefasst: egal wie sich die Welt verändert, ich verkaufe altbewährte handgearbeitete, regional hergestellte Produkte. Und während überall sonst die Technik siegte, wurden wir zum größten Anbieter von Geräten, die ganz ohne Elektrizität auskommen."

    Doch die Welt in Amish-Country ist ja auch stehen geblieben.
    Und von überall auf der Welt kommen die Menschen hierher, um genau das zu erleben.