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Amnestie für Bausünder

Früher flog er nur einmal alle drei Jahre über das historische Stadtzentrum von Rom. Die Beamten des städtischen Bauamtes erhoben sich mit ihrem Hubschrauber in die Lüfte und fotografierten das Centro Storico - auf der Suche nach illegal errichteten Dachstühlen und Terrassen sowie unerlaubten Dachfenstern. Seit Ende letzten Jahres sind sie jede Woche im Einsatz. Im

Thomas Migge |
    Bauamt häufen sich die Luftfotografien und eigens dafür eingestellte Mitarbeiter werten sie aus: das heißt, sie vergleichen sie mit den Bildern, die vor einem Jahr geschossen wurden.

    Gleichzeitig nutzt das Bauamt des linken römischen Bürgermeisters Walter Veltroni die Beobachtungstechnologie eines Satelliten, der aus einigen tausend Metern Höhe haarscharfe Bilder liefert. Diese Fotografien sind eine zusätzliche Hilfe um Bausündern auf die Spur zu kommen. Dazu Walter Veltroni:

    Rom ist dank des illegalen Bauens groß geworden. Damit meine ich nicht nur den Stadtrand, wo ganze Häuser ohne Genehmigung errichtet wurden. Schlimm ist vor allem, dass im Stadtzentrum historische Gebäude verschandelt wurden und werden. Diesen Kriminellen wollen wir jetzt Quartier für Quartier nachspüren.

    Die von Veltroni dafür gegründete "Bausünden-Task Force" soll jenen auf die Spur kommen, die illegal Wohnraum errichten und historische Bausubstanz ohne Erlaubnis um- oder ausbauen. Und das sind in Rom - wie überall in Italien - viele. Vor allem seit die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi ein Gesetz erlassen hat - das sogenannte Condono Edilizio - mit dem es möglich ist, Bausünden, die vor dem 30. Juni des letzten Jahres begangen wurden, gegen Zahlung einer Strafe vom Tisch zu schaffen. Das funktioniert ganz einfach: Wer ohne Genehmigung seinen Dachstuhl aus dem 18. Jahrhundert ließ, um Platz für eine Terrasse zu schaffen, oder sich neue Fenster in seine Hauswand schlagen ließ oder auch illegal ein Häuschen im eigenen Garten errichtete, reicht einen Antrag auf ein Condono ein - eine Amnestieanfrage - und zahlt eine Geldstrade.

    Die Regierung erhofft sich von dieser Amnestie Einnahmen in Höhe von mindestens 5 Milliarden Euro. Umweltschutzorganisationen, Kunstschützer und Architekten laufen Sturm gegen dieses Amnestiegesetz. Nicht nur, weil die Bausünden nach Zahlung der Geldstrafe nicht verschwinden müssen, sondern, schimpft der römische Architekt Massimiliano Fuksas, weil viele Italiener das neue Gesetz zum Anlass nehmen, historische und somit zu schützende Bausubstanz auch nach dem 30. Juni 2003 zu verunstalten:

    Außergewöhnlich ist die Tatsache, dass es den staatlichen Verwaltungen egal zu sein scheint, ob jemand seine Bausünde wirklich vor diesem Datum begangen hat oder nicht. Hauptsache die Bürger zahlen. Kontrolliert wird nicht. Auch nicht in den Altstädten. Seit die Italiener von diesem Gesetz wissen, bauen sie ihre Wohnungen aus. Alles ohne Erlaubnis.


    Das Bausünden-Amnestiegesetz der Regierung hat einen Run auf jene Handwerke ausgelöst, die die unerlaubten Umbauten vornehmen - vor allem in Gewitternächten, damit der Lärm keine neugierigen Nachbarn oder die Polizei auf den Plan ruft.

    Die Stadt Rom und einige andere links regierte Kommunen und Regionen greifen
    deshalb zur Selbsthilfe, um ihre Altstädte vor weiteren Bausünden zu bewahren - und unterlaufen damit ganz offen das landesweit geltende Amnestiegesetz.


    Sie lassen jene Gebäude, die - wie zum Beispiel in den Parks der
    Privatvillen an der Via Appia Antica illegal errichtet wurden - mit
    Bulldozern abreissen. Rom, Florenz und verschiedene Regionen haben
    darüberhinaus beim Verfassungsgerichtshof Klage gegen das Bausündengesetz
    eingereicht. Bis die hohen Richter ein Urteil fällen haben jene Handwerker
    viel zu tun, die nagelneue Fenster in alten Fassaden nach nur wenigen
    Stunden Arbeit so aussehen lassen, als ob sie schon immer existiert hätten.
    Wie im Fall der vier Fenster, die sich eine römische Prinzessin in die
    Seitenwand ihres Barockpalastes einbauen liess, um, wie sie der Polizei
    sagte, mehr Licht zu haben. Die adlige Dame hatte Pech: sie wurde von
    wachsamen Nachbarn angezeigt. Nun muss sie die Fenster auf eigene Kosten
    zumauern lassen - doch die Spuren der Zerstörung, die sie mit ihren Fenstern
    auf der alten und mit Stukkaturen verzierten Fassade anrichtete, bleiben
    sichtbar.