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Amselsterben in Deutschland
Der Vormarsch des Usutu-Virus geht weiter

Im Jahr 2011 wurde in Deutschland erstmals das Usutu-Virus nachgewiesen, das zu einem Amselsterben im Rhein-Main-Gebiet führte. Seitdem hat sich das Virus immer weiter ausgebreitet. Experten befürchten, dass nach dem großen Amselsterben 2018 auch in diesem Jahre wieder Tausende Tiere verenden.

Renke Lühken im Gespräch mit Ralf Krauter | 09.09.2019
Amselhahn, turdus merula
Amselhahn, turdus merula (picture alliance / Hinrich Bäsemann)
Ralf Krauter: Dass hierzulande massenhaft Vögel sterben, nachdem Stechmücken sie mit dem exotischen Usutu-Virus infiziert haben, ist in Deutschland erstmals 2011 beobachtet worden. Vor allem Amseln fallen dem Vogelvirus zum Opfer, das seitdem regelmäßig im Spätsommer wieder grassiert. Vergangenes Jahr war das Usutu-Virus erstmals auch bis Norddeutschland vorgedrungen, wo Experten wie Renke Lühken vom Bernhart-Nocht-Institut für Tropenmedizin auch nun wieder ein großes Vogelsterben befürchten. Ich habe den Fachmann für Vogelviren zunächst gefragt, bei wie vielen toten Vögeln er und sein Team bereits den Usutu-Verdacht bestätigen konnten.
Renke Lühken: Wir haben bis jetzt 300 Vögel eingeschickt bekommen, das ist schon überdurchschnittlich, aber bei weitem nicht so viele Vögel wie im Jahr 2018. Die Hälfte der Vögel haben wir untersucht. Und bei denen konnten wir bei 31 das Usutu-Virus nachweisen und das waren auch Fälle, die größtenteils in Norddeutschland auftraten. Schwerpunkte sind Niedersachsen, aber auch im Ostteil von Deutschland zum Beispiel in Berlin.
"Auch dieses Jahr werden wieder mehrere Tausend Amseln am Usutu-Virus sterben"
Ralf Krauter : Nun kann man davon ausgehen, dass die Dunkelziffer ja wahrscheinlich sehr hoch ist, weil ja nicht jeder tote Vogel, der infiziert ist, bei ihnen landet. Das heißt tatsächlich: Wir haben ein Vogelsterben in Größenordnung von zigtausenden Tieren, die an diesem Virus verenden?
Renke Lühken: Genau. Also wir haben das einmal beispielhaft für den ersten Ausbruch berechnet – zusammen mit dem NABU. Die machen ja immer diese Stunde der Gartenvögel und da zirkulierte das Virus ausschließlich fast in Südwestdeutschland und haben dort berechnet, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2016 ungefähr 160.000 Amseln gestorben sein müssten. Aber seitdem hat sich das Virus massiv ausgebreitet, über ganz Deutschland und vor allem im Jahr 2018 gab es einen wirklich massiven Ausbruch, der vorher niemals festgestellt wurde. Man muss davon ausgehen, dass im letzten Jahr auf jeden Fall mehrere Hunderttausend Amseln gestorben sind und auch dieses Jahr werden wieder mehrere Tausend Amseln am Usutu-Virus sterben.
Ralf Krauter: Wie ist denn zu erklären dass sich das Virus so überraschend schnell über Deutschland ausbreitet. Am Anfang 2011 und in den folgenden Jahren war es ja zunächst nur an relativ warmen Regionen gesichtet worden, also längst das Rheintal und am Untermain zum Beispiel.
Renke Lühken: Also die Ausbreitung ist ganz klar davon abhängig, dass man günstige Temperaturbedingungen hat. 2011/2012 gab es den großen Ausbruch in Südwestdeutschland, das ist sowieso ein temperaturbegünstigtes Gebiet. Danach waren ein bisschen ruhigere Zeiten, 2013/2014, wo man halt immer noch Zirkulation in Südwestdeutschland festgestellt hat – war aber keine große Ausbreitung. Und größere Ausbreitungssprünge waren dann einmal 2016, das war vor allem Richtung Nordrhein-Westfalen. Das war ein warm-feuchter Sommer. Und dann der extreme Hitzesommer letztes Jahr hat halt begünstigt, dass das Virus sich noch weiter im Norden ausbreiten konnte. Und dann hält sich das Virus in den Gebieten, wo es einmal zirkuliert. Dann bleibt es halt in den Stechmückenpopulationen erhalten, überwintert wahrscheinlich auch in den Stechmücken, die entsprechend als Weibchen auch den Winter überstehen. Und dadurch gibt es eine anhaltende Zirkulation, wenn das Virus erst mal angekommen ist.
Tote und kranke Amseln auf keinen Fall ungeschützt anfassen
Ralf Krauter: Was sollte man denn tun wenn man in den betroffenen Regionen zum Beispiel zwischen Bremen und Hamburg eine tote Amsel findet, die könnte ja potenziell ein Virusträger sein?
Renke Lühken: Also wir als Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin sind sehr daran interessiert, Vögel auf dieses Usutu-Virus zu untersuchen, um genau zu verstehen, wo das Virus zirkuliert. Um zum Beispiel festzustellen, wie sich die Vogelpopulation entwickelt oder wie hoch das Risiko für den Menschen ist, sich mit dem Usutu-Virus zu infizieren. Und deshalb bitten wir darum, dass tote Vögel zu unserem Institut geschickt werden. Informationen gibt es entsprechend auf unserer Internetseite oder auf der Internetseite des NABU. Untersuchungen werden dann aber auch zum Beispiel von lokalen Veterinärämtern durchgeführt.
Ralf Krauter: Wichtig zu sagen wäre noch: Obwohl das Usutu-Virus für Menschen in den allermeisten Fällen ungefährlich ist, sollte man auf jeden Fall nicht ungeschützt einen toten Vogel anfassen.
Renke Lühken: Es geht aber nicht unbedingt darum, dass man sich dann mit dem Usutu-Virus infiziert, sondern allgemein tote Vögel sind mit Bakterien et cetera infiziert. Deshalb sollte man tote Vögel niemals mit bloßen Händen anfassen, sondern sie zum Beispiel mit Handschuhen und mit der umgestülpten Plastiktüte aufnehmen und entsprechend sich danach die Hände waschen, damit man da kein Risiko eingeht.
Das Usutu-Virus wird sich in Deutschland weiter verbreiten
Ralf Krauter: Was erwarten Sie denn für die nächsten Jahre? Sie haben es schon angedeutet, dass massenhafte Vogelsterben durch dieses einst exotische Virus – das wird zunehmend Normalität in Deutschland werden.
Renke Lühken: Es ist davon auszugehen, dass sich das Usutu-Virus in dem aktuellen Ausbreitungsgebiet auf jeden Fall halten wird, sich auch noch weiter in Gebiete ausbreitet, wo es noch nicht festgestellt wurde Es gibt noch ein paar Lücken, vor allem im Ostteil von Deutschland. Und nun sind wir vor allem daran interessiert, wie sich die Vogelpopulation langfristig entwickeln. Ob das Usutu-Virus dazu führt, dass es dauerhaft einen Bestandsrückgang der Amsel geben wird oder ob sich die Populationen wieder erholen können – das ist einmal naturschutzfachlich interessant, aber auch interessant für die allgemeine Epidemiologie des Virus, das man entsprechend dann auch wieder bedenkt, wie hoch das Risiko der Infektion von Menschen ist.
Ralf Krauter: Sind denn schon Vögel beobachtet worden, die immun sind gegen das Virus?
Renke Lühken: Wir wissen, dass nicht alle Vögel an dem Usutu-Virus sterben. Die Amsel ist besonders empfindlich, aber es sterben auch nicht 100 Prozent aller Amseln, sondern ein bestimmter Prozentsatz überlebt das Virus und bildet entsprechend Antikörper gegen das Virus und ist dann wahrscheinlich ein Leben lang immun. Deshalb beobachtet man ganz oft, wenn das Virus erstmals in einem Gebiet ankommt, so wie letztes Jahr in Norddeutschland, dann gibt es einen wirklich massiven Ausbruch mit sehr vielen toten Vögeln und in den darauffolgenden Jahren gibt es meist Zirkulationen auf einem niedrigeren Level. Entscheidend ist auch: Die Amsel ist einer der häufigsten Brutvögel in Deutschland mit acht Millionen Brutpaaren. Also diese Vogelart wird jetzt nicht aussterben, aber man behält die Situation halt im Blick.