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Amtsenthebungsverfahren in Brasilien
"Das hat schon einen faden Beigeschmack"

Nach über fünf Jahren an der Macht steht Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff wohl vor der Ablösung. Wie das Amtsenthebungsverfahren abgelaufen sei, sei "sicher schlecht für das Land", sagte Daniel Flemes vom GIGA Institut für Lateinamerika-Studien. Für das Land wären Neuwahlen die sauberste Lösung.

Daniela Flemes im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Demonstranten in Brasilien fordern die Absetzung von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff
    Demonstranten in Brasilien fordern die Absetzung von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (dpa / picture alliance / Fernando Bizerra Jr.)
    Sandra Schulz: Seit 13 Jahren regiert die linke Arbeiterpartei Brasilien. Sie rühmt sich, Millionen Menschen aus der Armut geholt zu haben. Aber zuletzt ging es rapide bergab mit der Unterstützung. Nach über fünf Jahren an der Macht steht Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef wohl vor der Ablösung. Das Parlament hatte sich mehrheitlich schon für ein Amtsenthebungsverfahren ausgesprochen. Heute Nachmittag unserer Ortszeit kommt der Senat zu Beratungen zusammen. Dass auch er sich für eine Suspendierung ausspricht, das gilt als wahrscheinlich.
    Am Telefon bin ich verbunden mit Daniel Flemes vom GIGA Institut für Lateinamerika-Studien. Guten Tag.
    Daniel Flemes: Guten Tag.
    Schulz: Sie gehen auch davon aus, jetzt wird es richtig eng oder es ist schon eng geworden für Dilma Roussef?
    Flemes: Ja, es ist seit einiger Zeit schon sehr eng. Wir können jetzt, denke ich, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass morgen das Amtsenthebungsverfahren durch den Senat eröffnet wird.
    Schulz: Was war jetzt zum Schluss ausschlaggebend? Warum hat sie die entscheidende politische Unterstützung verloren?
    Flemes: Ich denke, das sind eine Reihe von Faktoren, die da zusammenkommen. Zum einen - und das ist möglicherweise der dominante Faktor - nimmt ihr im Grunde genommen niemand ab, dass sie von den Korruptionsskandalen, weder Petrobras, der halbstaatliche Ölkonzern in Brasilien, noch der politische Korruptionsskandal, der dem schon vorausgegangen war, der Stimmenkauf im Kongress, dass das alles ohne ihr Wissen vonstattengehen konnte. Der andere Faktor ist die Wirtschaftskrise, dass die Probleme sowohl im politischen System als auch die strukturellen wirtschaftlichen Probleme lange Zeit über die exportorientierte Wirtschaft, in erster Linie Rohstoffexporte, überdeckt wurden, und das hat sich jetzt in den letzten ein bis zwei Jahren geändert. Und diese schlechte wirtschaftliche Lage wird auch immer der Regierung natürlich zu Lasten gelegt.
    Schulz: Gleichzeitig gab es ein unheimliches politisches Hin und Her, gipfelnd gestern darin, dass es sogar aus dem Abgeordnetenhaus unterschiedliche Stimmen gab, ob dieses Amtsenthebungsverfahren nun weiter verfolgt wird oder nicht. Das stand erst im Zweifel, dann wurde dieses Dementi noch mal dementiert. Warum dieses Hin und Her?
    Flemes: Ja, das war so was wie ein letzter Rettungsversuch. Der neue Präsident der Abgeordnetenkammer, des Unterhauses im Kongress, Maranhão, wollte die Abstimmung im Unterhaus annullieren und das Verfahren ins Abgeordnetenhaus zurückholen. Das ist ihm nicht gelungen und er ist dann relativ schnell eingeknickt, nachdem ihm angedroht wurde, aus der Partei ausgeschlossen zu werden, sein Abgeordnetenmandat im Zuge dessen zu verlieren. Der Hintergrund seiner Einlassung und dieser Initiative war offenbar, dass ihm seitens der PT-Leute wiederum ein Senatsposten in Zukunft in Aussicht gestellt war. Sie sehen also, Postengeschacher ist noch ein relativ harmloser Ausdruck für die Vorgänge in der brasilianischen Politik.
    Chancen auf Rückkehr gering
    Schulz: Roussef will sich im Zweifelsfall juristisch wehren. Hat sie denn Chancen, juristisch gegen dieses Amtsenthebungsverfahren vorzugehen?
    Flemes: Ich denke, die juristischen Chancen sind sehr gering. Es ist letztlich ja ein politisches Verfahren. Ihr wird jetzt nichts anderes übrig bleiben, als die 180 Tage abzuwarten, wo der Senat die auch rechtlichen Vorwürfe und Zusammenhänge gegen sie prüft, und die Chancen, dass sie, nachdem sie dann ein halbes Jahr suspendiert ist vom Präsidentenamt, wieder zurückkommt, die werden eigentlich von allen Seiten als sehr gering eingeschätzt.
    Schulz: Wie sehen Sie das als Beobachter im Moment von außen? Es ist natürlich eine krisenhafte Situation rund um dieses Amtsenthebungsverfahren. Aber ist es insgesamt für das Land schlecht, dass es diese Entwicklung gibt?
    Flemes: Das ist sicher schlecht für das Land, auch wie dieses Amtsenthebungsverfahren abgelaufen ist. Letzten Endes ist ja der offizielle Grund, auf dem das Amtsenthebungsverfahren basiert, dass Dilma Roussef die Haushaltszahlen geschönt hat und nicht Verfehlungen, die beispielsweise ihrem Amtsnachfolger und vielen anderen Akteuren, die sich gegen sie positioniert haben, vorgeworfen werden, nämlich tatsächlich Bereicherung, Korruption, Entgegennahme von Schmiergeldzahlungen und so fort. Insofern hat das schon einen faden Beigeschmack und für das Land wären aus meiner Sicht Neuwahlen die sauberste Lösung, weil ja auch ein Michel Themer, ihr potenzieller Amtsnachfolger, überhaupt nicht über die Legitimation verfügt, jetzt ein politisches Programm anzustoßen.
    Schulz: Einschätzungen waren das von Daniel Flemes vom GIGA Institut für Lateinamerika-Studien. Haben Sie ganz herzlichen Dank dafür.
    Flemes: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.