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Amy Winehouse-Dokumentation
Montage mit sechs Grammys und vier Promille

Steiler Aufstieg, steiler Absturz: Der Dokumentarfilm "Amy" zeichnet ein komplexes Bild einer Künstlerin und einer Frau, die in die Mühlen der Musikindustrie geriet: Amy Winehouse. Teils kitschig, teils aber auch mit großer Nähe.

Von Hartwig Tegeler | 11.07.2015
    Amy Winehouse bei einem spanischen Festival im Juli 2008.
    Amy Winehouse bei einem spanischen Festival im Juli 2008. (picture alliance / dpa / Kiko Huesca)
    "Geburtstagsfeier. Amy W. singt ´Happy Birthday´"
    Am Anfang dieses grob gekörnte, verwaschene Video von der Geburtstagsfeier einer Freundin, wenn die Kamera auf das noch junge Mädchen mit den langen Haaren und dem Lolli in der Hand schwenkt, und Amy nun ganz unschuldig, aber doch sehr bestimmt die Geste einer Diva einnimmt und singt. "Happy Birthday" so singt, dass es hier schon vibriert. Dann lächelt sie. Auch das ist eine Vibration. Die vergeht allerdings. Wenn man sie nur ein paar Jahre später auf diesenKonzerten sieht, zugedröhnt, besoffen, wo sie nicht mehr singen kann.
    Recht früh ist im Film ein Interview mit Amy Winehouse zu hören, in der sie auf die Frage, wie berühmt sie wohl einmal werden wird, antwortet: "Ich werde nicht berühmt; manchmal wünsche ich mir, berühmt
    zu werden, aber ich könnte damit nicht umgehen. Wahrscheinlich würde ich verrückt werden." - Prophetische Worte. Die sagt Amy Winehouse, als Amy Winehouse noch nicht von der Presse verfolgt wurde, als ihr Vater und ihr Manager - die im übrigen jetzt heftig gegen diesen Film protestieren - sie noch auf jedes Konzert zwangen, obwohl sie dem körperlich und mental gar nicht mehr gewachsen war. Also: die alte Geschichte, möchte man meinen, die von Hendrix, Morrison, Joplin, Cobain. "Amy", der Film, zeigt offensichtlich die bekannte Höllenfahrt, hier einer Sängerin. Die als fröhlicher Teenager begann und als Drogenwrack endete. Ach, wenn dann in den 127 Minuten des Films der Abstieg sich immer klarer abzeichnet und man sich erinnert an dieses Strahlen erinnert, an dieses Lachen, an dieses Unbeschwerte der ersten Bilder der Doku. "Amy": ein ungeheurer, ein unerträglicher wie tief berührender Film.
    Überraschende Nähe
    Asif Kapadias Film ist eine große Montage, bestehend aus unzähligen Videos von alten Freunden, Bekannten, des Ehemannes - jeder hat heute sein Smartphone griffbereit. Dazu Konzertauftritte, Radio- und TV-Interviews. Das Überraschende an diesem Film ist aber nicht das Drama. Dieser Künstlerbiografie, sondern die Nähe, die Filmemacher Asif Kapadia so herstellt. Besser: herzustellen fähig ist. So wird die
    scheinbar bekannte Geschichte durch viele Schlupflöcher und Türen, die sich dieser Erzählung auftun, spannend und komplex. Macht aber wie gesagt - auch unendlich traurig. Die Sequenzen gegen Ende, wenn Amy Winehouse auf der Bühne schwankt und in irgendeine Ferne guckt, während die Band spielt: Da ist eine zu sehen, die sich unter tätiger Mithilfe all derer, die bis zuletzt groß an ihr verdienten, ganz
    verloren hat.
    "Ich wusste nicht, was Depressionen sind; ich fühlte mich nur anders als die anderen. Das kommt bei Musikern oft vor", sagt Amy Winehouse. "Deshalb", meint sie dann, "schreibe ich Songs." Viele Leute haben Depressionen. Aber nicht alle haben so ein Ventil. Ihr Ventil, ihre Songs. Und diese Songs blendet Filmemacher Asif Kapadia immer wieder ein, legt deren Textzeilen über die Fotos und die dokumentarischen Videos. Ihre Songs, sagt Kapadia, sie waren der Schlüssel zu seinem Film.
    Einfach ein Mädchen, das singt
    Ich versuche zu erzählen, woher, aus welcher Schicht von ihr diese Songs kamen. Alle hat Amy Winehouse selbst geschrieben. Sie sind ihre Stimme, die im Film spricht. Natürlich ist die Biografie nicht das
    Werk, aber das Leben, Amy Winehouse´ Leben, scheint durch ihre Songs sehr intensiv durch. Amy Winehouse sagt irgendwann im Film, sie sei einfach ein Mädchen, das singt. Asif Kapadia seinerseits sagt, dass sein Film einer über die Liebe ist, über eine Frau, die die Liebe nicht immer bekam. Ist es so einfach? Steckt darin das ganze Drama? Am Ende, wenn man das Leben - wie Asif Kapadia es auf grandiose Weise in seiner Dokumentation tut -, wenn man das Lebens von Amy Winehouse quasi vermisst zwischen diesen Eckpunkten: das brutale Musikgeschäft, der gierige Vater, der nicht minder gierige Manager, der Junkie-Ehemann, der Amy Winehouse aussaugte wie ein Vampir. Und in diesem Geflecht die Künstlerin, die depressiv, Bulimistin und suchtkrank war. Und diese unfassbare Begabung hatte zu singen und zu schreiben. "Amy" - ein Film über die Liebe? So, wie Asif Kapadia meint. Klingt das nicht ein wenig kitschig. Ja, klar, aber wenn ja und klar, dann ist auch die Zeile aus dem Billie-Holiday-Klassiker "(There is) No Greater Lover", den Amy Winehouse auf ihrem hinreißenden Debüt-Album "Frank" singt, klar ist dieses "There is no greater love in all the world, than what I feel for you" Kitsch pur. Der aber abblättert, sich auflöst, verschwindet, wenn "die Winehouse" singt.