Montag, 06. Mai 2024

Archiv


An der Leine des Herrn W.

Der Rechtspopulist Geert Wilders war im Juni mit seiner islamfeindlichen Partei für die Freiheit drittstärkste Kraft im niederländischen Parlament geworden. Eine Koalition ist noch nicht gefunden. Und Wilders scheint es zu gefallen, mit den anderen Parteien zu spielen wie mit Marionetten.

Von Kerstin Schweighöfer | 20.08.2010
    Der Nordseestrand vom Haager Badeort Scheveningen. Der Wind weht kräftig, die Wellen sind hoch, es ist zu frisch zum Sonnenbaden oder Schwimmen. Die meisten Urlauber und Tagesausflügler schlendern über den Boulevard oder sitzen hinter Windschutzscheiben auf einer der vielen Caferrassen.

    Auch Hans Jennissen hat sich gerade ein kopje koffie bestellt und liest die Zeitung. Der pensionierte Grundschullehrer will wissen, wie es mit den Koalitionsverhandlungen voran geht:
    "Das ist ja dieses Mal furchtbar kompliziert", sagt er. "Die haben alle möglichen Varianten durchprobiert, nichts hat geklappt." Jetzt sehe alles danach aus, dass es tatsächlich zu einem Minderheitskabinett komme, das von Geert Wilders toleriert werde:

    "Ich glaube, er wollte es von vorneherein darauf ankommen lassen", denkt der 63-jährige Rentner. "Denn dann hätte er großen Einfluss, ohne Verantwortung tragen zu müssen - eine Luxusposition!"

    Wilders hatte bei den Wahlen Anfang Juni am meisten zulegen können und war mit seiner islamfeindlichen "Partei für die Freiheit" PVV drittstärkste Kraft im Parlament geworden, nach den Rechtsliberalen und den Sozialdemokraten - und noch vor den Christdemokraten: Der "christdemokratischen Appell" (CDA) musste erdrutschartige Verluste hinnehmen.

    Wilders hatte zwar von vorneherein immer wieder betont, mitregieren zu wollen. Doch auch ein zweiter Anlauf von Rechtsliberalen und Christdemokraten, sich mit dem strohblonden Rechtspopulisten zu einigen, war Anfang August an dessen Auffassungen über den Islam gescheitert.

    "Was den Islam betrifft, gibt es prinzipiell einfach zu große Unterschiede zwischen uns", so Wilders.

    Denn für die PVV ist der Islam keine Religion, sondern eine Ideologie; Sie will den Koran verbieten, eine Kopftuchsteuer einführen, die ethnische Herkunft aller Niederländer registrieren lassen und Einwanderer aus moslimischen Ländern nicht mehr zulassen. Damit geht die Partei vor allem den Christdemokraten zu weit, die Grundrechte wie die Religionsfreiheit oder das Gleichheitsprinzip bedroht sehen.

    Doch dann gaben Christdemokraten und Rechtsliberale überraschend bekannt, es als Minderheitskabinett versuchen zu wollen, toleriert von Wilders' PVV. Auf diese Weise, so CDA-Fraktionschef Maxime Verhagen, wären alle aus dem Schneider und könne das Land endlich wieder regiert werden:

    "Gerade weil wir zu unseren unterschiedlichen Auffassungen stehen und sie nicht unter den Teppich fegen", so Verhagen, "könnte diese Variante funktionieren, ohne dass wir unseren Prinzipien untreu werden müssen."

    Genau das jedoch wird von vielen Christdemokraten bezweifelt. Auch der ehemalige Ministerpräsident Dries van Agt hat große Bedenken: In einem Leserbrief im "Volkskrant" vergleicht er ein solches Minderheitskabinett mit einem Patienten, der an einem Beatmungsgerät hängt, das von Geert Wilders gewissermaßen an- und ausgeschaltet werden kann. Von der PVV, so van Agt auch in einem eindringlichen Aufruf im Fernsehen, müsse seine Partei die Finger lassen:

    "Was Wilders will, ist total unakzeptabel und würde die Niederlande zur Unkenntlichkeit verändern", so van Agt. "In einem solchen Land würde ich nicht mehr leben wollen."

    CDA-Parteichef Henk Bleker hat seine Parteigenossen aufgerufen, Ruhe zu bewahren und erst einmal den Inhalt der Koalitionserklärung abzuwarten.

    "In den Niederlanden", so Bleker, "müssen sowohl meine Enkelkinder und auch die meiner moslimischen Mitbürger weiterhin die gleichen Rechte haben. Wenn wir das nicht garantieren können, haben wir als Christdemokraten auch nichts in einer solchen Regierung zu suchen."

    Beschwichtigen allerdings konnte er die Gemüter damit nicht. Wie zerrissen der CDA ist, zeigte sich erst dieser Tage wieder, als Bleker zwei Petitionen überreicht wurden: In der ersten wird er von rund 1000 CDA-Mitgliedern aufgefordert, sich nicht auf Wilders abhängig zu machen; in der zweiten rufen ihn mindestens genauso viele Parteigenossen auf, es zum Wohle des Landes darauf ankommen zu lassen. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Einer kann warten: Geert Wilders.