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An der ligurischen Küste Weinberge bestellen

Die Cinque Terre zwischen Pisa und Genua gehören zu den schönsten Kulturlandschaften der Welt. Vier Orte sind in Italien wirklich sehenswert, verkündete gerade ein amerikanischer Reiseführer. Rom, Florenz, Venedig und die Cinque Terre an der ligurischen Küste. "Es war eine der größten Leistungen der Menschheit, vergleichbar nur dem Bau der ägyptischen Pyramiden und der Chinesischen Mauer," schreibt ein lokaler Chronist dazu. "Aber im Gegensatz zu anderen Kulturdenkmälern wurde diese Arbeit nicht unter dem Zwang eines mächtigen Herrschers, sondern freiwillig und selbstbestimmt, von Frauen und Männern gemeinsam getan." Beim Anblick der terrassierten Weinberge und Olivenhaine könnte man leicht vergessen, dass Landschaft, wie überall auf der Welt, auch hier gestaltet wurde, um den Bewohnern Nahrungsmittel zu beschaffen. Doch die Lebensbedingungen in den Dörfern haben sich in den letzten fünfzig Jahren durch den Tourismus mehr verändert als in den acht Jahrhunderten zuvor. In den Cinque Terre ist nun ein bislang einmaliges Projekt zum Erhalt der Landschaft entstanden: Die Besucher sollen als "Freizeitlandwirte" in den Erhalt der Landschaft einbezogen werden.

von Dorette Deutsch |
    In einem Zeitraum von fast tausend Jahren war jede Generation in den Cinque Terre mit dem Erhalt und der Errichtung von Weinterrassen und Olivenhainen beschäftigt. Trockenmauern von insgesamt 11.000 Kilometern Länge haben eine einmalige Kulturlandschaft geschaffen. Mehr als ein Drittel der bestellten Flächen wurden inzwischen aufgegeben: Der Tourismus hat zu Wohlstand geführt, kaum jemand von der jungen Generation will heute noch die Terrassen bestellen. Es ist ein Teufelskreis, vielleicht bezeichnend für den Lauf der Welt. Franco Bonanini, Präsident des Nationalparks Cinque Terre, hat sich schon als Bürgermeister von Riomaggiore für die Anerkennung als Weltkulturerbe eingesetzt. Damit ist zwar keine finanzielle Unterstützung verbunden, europäische Fördermittel können dadurch aber leichter beantragt werden.

    Der Massentourismus der letzten Jahre hat hier zu einem gewissen Werteverfall geführt. Diese Tendenz wollen wir aufhalten und Regeln aufstellen. Die Cinque Terre müssen für ein gutes Jahr dem Mechanismus des reinen Profits entzogen werden. Diese Regeln gelten für eine Übergangszeit, danach kann man wieder etwas locker lassen, aber zur Zeit müssen sie notwendigerweise streng sein, weil sonst hier alles zusammenbrechen würde. Die Dörfer würden dann ihre eigenen kulturellen Wurzeln verlieren: dann wird man dann eines Tages ein paar Einwohner als Bauern verkleiden müssen, um zu zeigen, dass es noch welche gibt.

    Im Büro von Franco Bonanini über der Küste von Riomaggiore ist auch das einmalige Projekt entstanden, die Touristen in den Erhalt der Landschaft mit einzubeziehen. Auch nicht Ortsansässige können nun zum ersten Mal Olivenhaine und Weinberge pachten oder "adoptieren", wie es Bonanini nennt. Ein Etikett für den eigenen Wein könnte man sogar entwerfen, meint Bonanini, und zum Erhalt dieser einmaligen Landschaft beitragen. Eine Kooperative soll die Arbeiten anleiten oder gegen Bezahlung übernehmen. Die Vergabebedingungen sind streng, um jeglichen Missbrauch auszuschließen. Franco Bonanini:

    Ich bin zuversichtlich, dass die "Adoption" der Terrassen funktioniert. Wir haben schon viele Anfragen bekommen, und das wird einer neuen Art von Tourismus den Weg bahnen. Denn zu uns werden dann die Touristen kommen, die Land bestellen, und die werden in Zukunft die beständigsten Gäste sein. Wir werden alles tun, um diese Initiative voranzutreiben. Geplant haben wir auch Wochenendkurse: da kann man lernen, Weinreben zu schneiden oder Trockenmauern zu bauen. Wir stellen uns auch Erfahrungsaustausch der Leute untereinander vor, und am Ende wird es vielleicht eine große Familie von Unterstützern der Cinque Terre geben. Die Bevölkerung hier ist in den letzten Jahren zu sehr zurückgegangen, als dass sie den Erhalt der Landschaft noch alleine bewältigen könnte. Die "kulturellen Verbündeten," die wir überall auf der Welt suchen, werden unsere wichtigste Ressource sein. Und so können die Cinque Terre für die Besucher ein Ort sein, den sie wirklich geniessen und erleben können.

    Die Cinque Terre sind nun als einziges Gebiet in Italien Weltkulturerbe, Nationalpark und Meeresreservat. Damit sind zwar Einschränkungen und Verbote – wie z.B. die Wildschweinjagd - verbunden, aber durch diesen "dreifachen" Schutz können die Bewohner der Dörfer wieder selbst mehr über ihr eigenes Gebiet bestimmen.

    Ich glaube, dass die Leute hier selbst merken, dass etwas Neues im Gang ist. Vielleicht schauen manche mit Besorgnis in die Zukunft. Aber wir halten viele Versammlungen ab, und manche Ängste lösen sich dann von selbst. Mit dem Status als Weltkulturerbe ist auch viel Anerkennung verbunden, und darauf ist man natürlich stolz. Ich denke, dass wir innerhalb eines Jahres eine neue Art von Tourismus schaffen können – für uns selbst und für die anderen. Das hier ist so eine Art praktischer Übung: wir haben das Problem, dass das Land nicht mehr bestellt wird. Überall drohen Erdrutsche und Strassen werden zerstört. Den Tourismus müssen wir als Möglichkeit nutzen, uns bei der Lösung des Problems zu helfen. Wir müssen die negativen Auswüchse für die Bevölkerung bekämpfen und nach ökologisch sinnvollen Lösungen suchen. Das ist ein Versuch, der großes Engagement erforderlich macht.

    Mit dem ehrgeizigen Projekt der "Weinbergadoption" will Franco Bonanini unter den Besuchern auch einen neuen Blick für die Dörfer schaffen.

    Wir brauchen kulturelle Verbündete. Der Massentourismus interessiert uns nicht. Eine gewisse kulturelle Auswahl dagegen kann nur von Vorteil für uns sein. Ich habe viele Leute durch die Cinque Terre begleitet. Und ich habe oft selbst erlebt, wie ihre Wahrnehmung sich verändert, wenn sie nicht mehr in Begeisterung über das ach so typische Dorf ausbrechen, sondern einen Blick dafür bekommen, was sich dahinter verbirgt – die ungeheure Anstrengung unserer Vorfahren zum Beispiel, diese Landschaft zu schaffen. Aber wenn jemand gerade zwei Stunden hierher kommt, dann nimmt er das gar nicht wahr. Von all denen, die hierher kommen, interessieren sich vielleicht 15, 20 Prozent für das Leben hier. Auch das wollen wir ändern. Mit unseren neuen Projekten können wir uns keine andere Erfahrung zum Vorbild nehmen – wir sind die ersten, die damit anfangen. Wir können nicht Erfahrungen aus anderen Gebieten hierher übertragen, weil die geographischen Bedingungen so besonders sind: hier müssen wir alles neu erfinden.

    Zur Information: Die Landvergabe von Parzellen zu je 3000 Quadratmeter wird noch in diesem Jahr erfolgen. Antragsformulare auf deutsch kann man anfordern bei: Parco Nazionale delle Cinque Terre I-19017 Riomaggiore Tel. 0039- 0187-920113 Fax 0039-0187-920866.