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An der Schwelle zum Atomkrieg

1962 drohte der Kalte Krieg heiß zu werden: Im Rüstungswettlauf zwischen den USA und der UdSSR eskalierte die Stationierung sowjetischer Atomraketen auf Kuba die Spannungen. US-Präsident Kennedy verhängte eine Seeblockade rund um die Karibikinsel.

Von Karl-Ludolf Hübener |
    US-Präsident John F. Kennedy kündigt am 22. Oktober 1962 in einer Fernseh- und Radioansprache eine Seeblockade Kubas an.
    US-Präsident John F. Kennedy kündigt am 22. Oktober 1962 in einer Fernseh- und Radioansprache eine Seeblockade Kubas an. (AP Archiv)
    Am Abend des 22. Oktober 1962 schockiert Präsident John F. Kennedy im Fernsehen die US-Öffentlichkeit: Die Sowjetunion habe Atomraketen auf Kuba stationiert – nur knapp 200 Kilometer vor der Küste Floridas.

    "In der vergangenen Woche haben eindeutige Beweise die Tatsache erhärtet, dass gegenwärtig eine Reihe offensiver Raketenabschussrampen auf dieser in ein Gefängnis verwandelten Insel vorbereitet wird. Der Zweck dieser Basen kann nur sein, eine nukleare Angriffskapazität gegen die westliche Hemisphäre zu schaffen."

    Die beiden Supermächte, USA und Sowjetunion, sind zu diesem Zeitpunkt bereits in einen bedrohlichen Rüstungswettlauf verstrickt. Washington hatte in der Türkei nukleare, auf die Sowjetunion gerichtete Mittelstreckenraketen aufgestellt. Moskau dagegen mangelte es an entsprechenden Abschussrampen in der Nähe der USA.
    Das änderte sich, als die Guerillabewegung Fidel Castros Anfang 1959 in Kuba die Macht übernahm und sich bald der Sowjetunion annäherte. Für Moskau waren die USA nun mit Mittelstreckenraketen erreichbar.

    Auf Fotos des U2-Spionageflugzeugs entdecken die USA im August 1962 erstmals in der kubanischen Provinz Pinar del Rio Raketenstellungen. Am 14. Oktober beweisen Luftaufnahmen den Bau von Abschussrampen für sowjetische Mittel- und Langstreckenraketen. Ihre Reichweite beträgt bis zu 4500 Kilometer. Neben der US-amerikanischen Hauptstadt können so die wichtigsten Industriestädte in Schutt und Asche gelegt werden. Die Vorwarnzeit würde nur Minuten betragen.

    In geheimen Sitzungen diskutiert Kennedy mit seinem Beraterstab mögliche Reaktionen. In der internen Auseinandersetzung zwischen sogenannten Falken, die für einen Luftangriff plädieren, und Tauben, die mit einer Seeblockade Kubas antworten wollen, hat der Präsident das letzte Wort: Er genehmigt die Blockade.

    "Um der offensiven Aufrüstung Einhalt zu gebieten, wird eine strikte Quarantäne für militärische Angriffsausrüstungen, die auf dem Seeweg nach Kuba gebracht werden, eingeführt. Alle für Kuba bestimmten Schiffe, gleichgültig, welcher Nationalität sie sind oder von welchem Hafen sie kommen, werden zurückgeschickt, falls festgestellt wird, dass sie Offensivwaffen an Bord haben."
    Der Sperrgürtel auf See wird am 24. Oktober wirksam. Im UNO-Sicherheitsrat kommt es zu einem Rededuell zwischen dem US-Botschafter bei der UNO, Adlai Stevenson, und dem sowjetischen UNO-Botschafter, Valerian Sorin. Sorin leugnet die Stationierung sowjetischer Raketen, verlangt Beweise. Stevenson antwortet:

    "Wir haben die Beweise nicht gezeigt, weil wir der Ansicht waren, dass es vielleicht sehr lehrreich für die Welt sein würde zu sehen, wie weit ein offizieller Sowjetbeamter in seiner Perfidie gehen kann. Lassen Sie mich eine einfache Frage stellen: Leugnen Sie, dass die Sowjetunion Mittel- und Langstreckenraketen und -rampen aufgestellt hat und noch aufstellt? Ja oder Nein?"

    Die Welt steht an der Schwelle zum Atomkrieg. Hektische diplomatische Bemühungen setzen ein, um das Schlimmste zu verhüten.

    Schließlich erreicht Kennedy ein Schreiben von Nikita Chruschtschow, dem Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR. Dieser bietet an, die Raketen aus Kuba abzuziehen, falls Washington auf eine Invasion der Insel verzichtet. Per Geheimdiplomatie wird die Krise schließlich beigelegt. Moskau erklärt sich bereit, die Raketen abzubauen. Im Gegenzug willigt Kennedy ein, Kuba nicht anzugreifen und US-Mittelstrecken-Raketen, die in der Türkei und Italien auf die Sowjetunion gerichtet sind, abzuziehen.

    Auf einem Diplomatenempfang am 7. November gibt Nikita Chruschtschow zu: 40 Raketen hätten sie auf Kuba stationiert, allerdings zur Verteidigung der Insel. Er glaube nunmehr dem Wort des US-Präsidenten. Die menschliche Vernunft habe gesiegt. Es gebe keinen anderen Weg als die friedliche Koexistenz.

    Am 20. November wird die Seeblockade aufgehoben. Die Gefahr eines atomaren Dritten Weltkriegs ist gebannt. Entspannung bahnt sich an. Schon in seiner Rede hatte Kennedy Verträge zur Abrüstung vorgeschlagen.

    "Wir sind bereit, neue Vorschläge für die Beseitigung der Spannungen auf beiden Seiten zu erörtern."

    Die Kubakrise führt tatsächlich zu ersten Verhandlungen über Rüstungskontrolle. Und zu einem "Heißen Draht" zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus, um Missverständnisse, die den Frieden gefährden könnten, künftig zu verhindern.