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An die Weltlichkeit verloren?

Zu einem Besuch bei der Madonna del Parto gehört auch die Erfahrung geographischer Entlegenheit. Das Erstaunen darüber, dass ein so außerordentliches Kunstwerk an einem so unbedeutenden Ort anzutreffen ist, macht einen Teil dessen aus, was man seit Walter Benjamin 'die Aura' nennt. Auratisch ist an Piero della Francescas Gemälde wahrhaftig vieles: der Gestus der Figuren, die Farb- und Formensprache, der Zusammenklang mit der toskanischen Landschaft und nicht zuletzt die Besitz- und Restaurierungsgeschichte, die fünfeinhalb Jahrhunderte nach der Entstehung des Bildes für Schlagzeilen sorgt. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wem das Werk eigentlich gehört, sondern auch darum, ob es wieder seinem eigentlich Zweck, nämlich der religiösen Andacht, dienen soll. Vor zehn Jahren wurde es nämlich aus der Friedhofskapelle von Monterchi entfernt und einer spektakulären Restaurierung unterzogen. Jetzt strahlt das Gewand der Madonna in einem viele Generationen lang ungesehenen Piero della Francesca-Blau. Die Kleider der beiden Engel zur linken und zur rechten sind sozusagen bis in jede Falte gereinigt. Die Gottesmutter steht geradezu lässig da. Sie hat die rechte Hand in die Hüfte gestemmt. Die andere liegt sanft auf ihrem Bauch, der sich dezent, aber charakteristisch wölbt. Es ist unverkennbar. Der Maler hat eine schwangere Madonna dargestellt. Das ist eine Premiere in der Kunstgeschichte, die allein schon ausreichen würde, um dem Werk ewige Berühmtheit zu verschaffen. Allerdings, seit seiner Restaurierung ist es nicht mehr in die Friedhofskirche zurückgekehrt. Es wird in einer zu einem Museum umfunktionierten alten Schule ausgestellt. Deswegen ist der Bischof vor Gericht gezogen. Er hat die Gemeinde Monterchi auf Herausgabe des Bildes verklagt. Der Bürgermeister aber hält dagegen:

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Ich glaube, man kann nicht darüber hinwegsehen, dass sich die Kirche 230 Jahre lang überhaupt nicht für die Madonna del Parto interessiert hat. Die Tatsache, dass das Bild heute überhaupt noch existiert, ist der Gemeinde von Monterchi zu verdanken, die es nämlich gegen die Kirche verteidigt hat. Ich hoffe, das Gericht wird diesen Punkt berücksichtigen.

    In der Tat soll die Kirche das Bild im 18. Jahrhundert den Bürgern von Monterchi sogar geschenkt haben. Doch ob es sich dabei um eine Eigentumsübertragung oder nur ein Nutzungsrecht handelt, ist eine der kniffligen juristischen Fragen des jetzigen Prozesses, der beim letzten Gerichtstermin Mitte dieser Woche um ein weiteres halbes Jahr vertagt wurde. Der Bürgermeister von Monterchi, Gabriele Severi, gehört der demokratischen Linken an, einer Partei, die zu den kommunistischen Bewegungen in Italien zählt. Doch er betont zugleich:

    Ich bin Katholik, ich bin getaufter Christ. Ich habe kirchlich geheiratet. Aber die Madonna del Parto ist, soweit ich zurückdenken kann, und das sind 50 Jahre, in Monterchi nicht bekannt als religiöses Wunder, sondern als ein Kunstwerk von Piero della Francesca, und zwar als eines der wichtigsten auf der Welt.

    Sein Wert ist schlechterdings unschätzbar. Als es einmal ausgeliehen werden sollte, fand sich keine Versicherung bereit, das Risiko mit einem Geldbetrag zu decken. Heute befindet sich das Werk in einem erdbebenfesten Glaskasten mit kontrollierter Atmosphäre in dem wohl banalsten Gebäude von Monterchi. Der Eintritt kostet 3,10 Euro, für Kinder und Schwangere ist er frei. Gleich rechts neben der Kasse tritt man in einen abgedunkelten Raum, dessen Rigipswände museumsgrau getüncht sind. In der Mitte steht, eigentümlich intensiv erleuchtet, der Glaskasten mit der Madonna. Beten hat der Kustode Angelo Perla hier noch niemanden gesehen. Allenfalls haben ihm gläubige Besucherinnen gestanden, dass sie hoffen, durch die Kraft des Kunstwerkes leichter Mutter zu werden. Zum Rechtsstreit mit der Kirche sagt er nur:

    Mir scheint das wirklich ein übler Dreh der Kirche zu sein. Das Bild wurde nämlich nach dem Konzil von Trient als pornographisch verboten, weil die Vorstellung einer schwangeren Gottesmutter dem Dogma widersprach. Heute, da 50.000 Besucher im Jahr zu dem Bild pilgern, gilt es plötzlich nicht mehr als pornographisch, sondern höchstens als schamlos.

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