Montag, 06. Mai 2024

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"An Julia glaube ich noch"

Am Sonntag wird in der Ukraine ein neues Parlament gewählt. Die Wahl wurde nach einem monatelangem Machtkampf zwischen dem westlich orientierten Präsidenten Viktor Juschtschenko und dem moskautreuen Premierminister Viktor Janukowitsch anberaumt. Bei den Wählern in der Westukraine besitzt die Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko große Sympathien. Robert Baag berichtet.

24.09.2007
    Altweibersommer im Huzulenland: Die Mittagssonne brennt nicht mehr so heiß, sie wärmt angenehm. Allmählich nähert sich ein Pferdefuhrwerk aus Richtung Zhydacziv, einem kleinen Dorf zwei Autostunden entfernt von der rumänischen Grenze. Noch ein bisschen - und der Alte auf dem Kutschbock schläft vollends ein, scheint es. Bukolischer Frieden liegt über diesem westlichsten Winkel der Westukraine. Nichts weist darauf hin, dass auch hier die Menschen bald ihr Parlament wählen sollen, die Verhovna Rada im fernen Kiew. Weiter auf der Überlandstraße aus Lemberg, der Autoverkehr wird lebhafter.

    Viel Brachland links und rechts der Trasse. Dazwischen ab und zu kleine bestellte Landstreifen. Als ob sie das alles überhaupt nichts angeht, was 500 Kilometer weiter östlich, in der Hauptstadt, an politischen Leidenschaften brodeln mag, interessiert sich die 48 Jahre alte Jaroslava Witek in zweiter Linie für ihr Kartoffelfeld, in erster Linie aber für die kleine Olenka, die sie dort besuchen kommt.

    "Na, willst du uns helfen?","

    fragt sie zärtlich ihre dreijährige Enkelin, die ein noch bisschen unsicher über die Ackerschollen balanciert.
    "
    "Ja!",
    "
    ruft die rotbäckige Kleine fröhlich.
    "
    "Ja? - Schaut mal. Zwei Eimerchen hat sie sogar dabei."

    "Zwei Eimerchen hat sie dabei."

    Wie ein Echo kommt die Antwort des Kindes.

    "Na, dann fang mal an zu sammeln."

    Die Mutter der Kleinen, Jaroslava Witek, und die Uroma sehen gerührt und stolz, wie die Kleine mit Feuereifer goldgrün glänzende Knollen auszugraben beginnt. Doch dann wird Jaroslava Witek schnell ernst:

    "Als es noch die Sowjetunion gab","

    erzählt sie,

    ""da war alles wunderbar, die Felder waren bestellt. Dann kam die Ukraine, und das war es! Keiner kann, keiner will hier mehr arbeiten. Wir sind frei, aber eben nicht ganz","

    räumt die Leiterin des Dorf-Kulturhauses ein,

    ""Ja, wir können sagen, was wir denken, dafür wird keiner mehr geschnappt. Aber was die Arbeit betrifft, da können wir nichts Positives sagen. Wenigstens der Lohn ist in diesem Jahr stabil geblieben."

    Ob sie wählen geht am 30. September? Keine Frage. Zwar werde sich wohl auch danach nicht viel ändern. Aber trotzdem, wählen wird sie wie alle anderen, die sie kennt. Und auch wem sie wie die meisten ihrer Freunde und Verwandten hier im Huzulenland ihre Stimme geben wird, erzählt sie offenherzig:

    "Julia, Julia Timoschenko! Warum? Ich hab sie eigentlich von Anfang an unterstützt. Sie ist einfach eine sehr selbstständige Frau, die an ihre Idee glaubt. Sie weiß, was sie sagt. Und sie möchte für das Volk viel tun."

    Und der Präsident? Juschtschenko? Was hält sie von ihm?

    "Hm","

    lächelt sie,
    "
    "der kommt mir ein bisschen schwächlich vor. Eigentlich ist er nicht schlecht, aber ich würde ihn mir, wie soll ich sagen, prinzipieller wünschen. Der hört wahrscheinlich zu sehr auf seine Untergebenen. Julia, die ist doch der wirkliche Mann da!"

    So sehen das auch die Fleischer in der nahegelegenen Kreisstadt Kalusch: Kleingewerbe-Treibende, wie sie sich stolz, aber auch ein bisschen klagend selbst bezeichnen.

    ""An Julia glauben wir - und auch an Juschtschenko."

    Wasyl wischt seine Hände an der blutbefleckten Schürze ab und grinst. Ironie oder bissige Freundlichkeit? Ärger möchte man mit ihm nicht bekommen, diesem stämmigen Mittvierziger, der wohl im Stande sein dürfte, die blutigen Schweinehälften hinter sich mit einem einzigen Axt-Hieb zu zerteilen.

    "Die Politik im Land, die hängt doch nicht von uns ab","

    ruft die rundliche Verkäuferin vom Stand schräg gegenüber:
    "
    "Wir haben ganz andere Probleme. Die Platzmiete hier steigt und steigt, 550 Hryvna im Monat, so um die 80 Euro pro Monat, wer kann das denn noch bezahlen? Ob uns die orangene Revolution was gebracht hat?","

    fragt sie zurück und denkt nach, ziemlich lange.

    ""Na, ja - ein bisschen vielleicht","

    mischt sich der Nächste ein:

    ""Was ich mir von den Politikern wünschen würde? Ich würde denen sagen: Lass uns tauschen! Für einen Monat! Du auf meinem Arbeitsplatz, ich auf Deinem, und dann können wir reden. Der weiß doch gar nicht, was Sache ist."

    "Vor einem Jahr, da war ich für Juschtschenko","

    erzählt die junge schwarzhaarige Verkäuferin.

    ""Für Julia Timoschenko","

    ruft Slawa, ihre Kollegin.

    ""Juschtschenko hat uns enttäuscht","

    setzt sie hinzu.

    ""Julia nicht, an Julia glaube ich noch. Vielleicht sind wir naiv. Aber wir hoffen eben. Ihr werdet schon noch sehen. Meine Julia!"

    Keine zehn Minuten vom geschäftigen Kaluscher Wochenmarkt entfernt, als habe es ihn nie gegeben, weiter auf der Landstraße in Richtung Rumänien. Ländlicher Frieden ist wieder eingezogen, ein milder Altweiber-Sommer wärmt das Huzulenland.