Donnerstag, 28. März 2024

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An neuen Ufern

Umwelt. - Nur selten zuvor in der aufgezeichneten Geschichte verwüstete ein Seebeben die betroffenen Küsten so sehr wie der Tsunami vom 26. Dezember. Neben hunderttausenden Opfern zerstörten die Wogen nicht nur Häuser und Straßen, vielmehr zeichneten sie ganze Landstriche neu.

12.04.2005
    Am 26. Dezember 2004 riss tief unter der Meeresoberfläche vor Indonesien die Nahtstelle zwischen der indischen und der eurasischen Kontinentalplatte - der so genannte Sundagraben - auf. Die Ursache hierfür waren die gewaltigen Verspannungskräfte, die durch die aneinander reibenden Kontinentalplatten entstehen. Viele Geologen nutzten die Chance, die ihnen die tragische Katastrophe bot, und untersuchten mit modernstem Gerät die Tektonik vor Ort. Inzwischen liegen dazu erste Daten und Analysen vor. Schnell zeichnete sich dabei ab, dass auch die Karten korrigiert oder ganz neu geschrieben werden müssen, denn an vielen Stellen hat sich die Küstenlinie verschoben. An anderen Stellen trocknen dagegen Korallenriffe langsam aus. "Wir haben von den Andamanen-Inseln Berichte über dauerhafte Verformungen der Erdkruste bekommen, ebenso von den Nicobaren, der indonesischen Insel Simmeluhe und von Sumatra. Einige Strände der Andamanen liegen heute ein bis zwei Meter höher als vor dem 26. Dezember. Auf den Nicobaren wird von Absenkungen um bis zu vier Meter berichtet. Die Inseln sind regelrecht verbogen worden, weil sich der Meeresboden durch das Beben um sie herum gehoben oder gesenkt hat", berichtet Jim Dewey vom Geologischen Dienst der Vereinigten Staaten in Denver.

    Diese dramatischen Veränderungen im Flachwasserbereich deuten bereits an, wie enorm die Umwälzungen in der Tiefe gewesen sein müssen. Ihnen ging die Besatzung des japanischen Forschungsschiffes "Natsushima" im Epizentrum des Bebens vor Sumatra mit einem Tauchroboter nach. Die Bilder zeigen eindrucksvolle Aufnahmen von unzähligen frischen Spalten am Meeresboden. Noch merkwürdiger aber war das, was der Roboter direkt am Sundagraben in 2500 Metern Tiefe filmte. "Dort fanden wir große Klüfte und große, scharfkantige Gesteinsbrocken, die wir unmittelbar auf das Seebeben zurückführen. So ganz können wir uns das aber noch nicht erklären", erläutert Christian Müller von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Möglicherweise sei es durch starke Vertikal- und Horizontalbewegungen des Grundes quasi zu einer Verflüssigung des Meeresbodens gekommen, spekuliert der Geoforscher. Als sich die Erdspalten wieder beruhigten, verfestigte sich der weiche Boden wieder und hinterließ die fotografierte Szenerie. Zwar sähen die Blöcke massiv und scharfkantig aus, tatsächlich aber handele es sich um sehr weiches Material. Dazu Müller: "Als wir mit dem Greifarm des Roboters davon Proben entnehmen wollten, fiel das Sediment der Blöcke einfach in sich zusammen." Weil die scheinbar schweren Brocken in Wirklichkeit sehr fragil sind, erwarten die Geologen, dass die Strömung sie rasch schleifen und schon in einem halben Jahr keine Spur mehr von ihnen zeugen wird.

    Im Gebiet der aufgewühlten Tiefsee fänden sich zudem so gut wie keine Lebewesen. "Das legt ebenfalls nahe, dass es sich bei diesen Strukturen um sehr junge Objekte handelt." Doch das Leben wird sich sein altes Territorium zurückerobern, ist auch Christian Müller sicher, wenn sich erst der Schlamm, der noch immer das Wasser trübt, gesetzt haben wird. Dabei werden zahlreiche Forscher quasi live dabei sein, denn auch in den kommenden Monaten erkunden viele Expeditionen die Bruchzone vor Sumatra.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]