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An vorderster Front am Hindukusch

Sebastian Jungers "Der Sturm" schilderte die Geschehnisse während eines Jahrhundert-Hurricanes im Nordatlantik. Nun hat sich Junger – und dies nicht zum ersten Mal – als Kriegsberichterstatter betätigt. Er hat ein Jahr lang eine amerikanische Einheit durch den Afghanistan-Krieg begleitet.

Von Marc Thörner |
    Waffen feuern, bis der Lauf heiß ist, GIs erzählen, wie sie beschossen, angegriffen, verletzt wurden, zurück schossen, selber angriffen, selber Feinde verletzten. Ein Jahr lang hat der US-Filmemacher Sebastian Junger dieselbe Gruppe von US-Soldaten durch eine der umkämpftesten Gegenden Afghanistans begleitet, das Korengal-Tal. Aus der Fülle seiner Gespräche und Beobachtungen ist neben dem Dokumentarfilm "Restropo" auch dieses Buch hervorgegangen. Die Idee dahinter ist einfach: Durch Eins-zu-Eins-Beobachtungen ein möglichstes dichtes und hoch realistisches Bild der Einsatzbedingungen US-amerikanischer Truppen zu erhalten.

    "Einer der Taliban-Kämpfer fällt tot zu Boden, und der andere lässt Brennan los. Er entkommt bergab zwischen die Bäume. Giunta schiebt ein neues Magazin in sein Gewehr und schreit nach einem Sanitäter. Brennan liegt schwer verwundet und ungeschützt auf dem Boden, und Giunta packt ihn an der Weste und zerrt ihn in leichte Deckung. Er schneidet ihm den Munitionsträger von der Brust und reißt die Leine seiner ballistischen Weste, um ihn zu befreien (...) Die B1 fliegt über sie hinweg und wirft zwei Bomben auf Hill 1705. Das bringt den Feind so aus der Fassung, dass die Amerikaner ihre Stellung sichern können."

    Immer aufs Neue beschreibt Junger solche Kampfsituationen, Waffensysteme und Ausrüstungsgegenstände, er folgt Trainingsabläufen, protokolliert das Gewicht von Marschgepäck oder liefert medizinische Informationen darüber, wie viele Sekundenbruchteile das menschliche Gehirn braucht, um auf einen Schock zu reagieren. Dazu hört man förmlich die Steine knirschen, meint den Staub zu riechen, den Rauch aus den Gewehren, Mörsern und Raketenwerfern, kommt in eine Art von literarischem Adrenalin-Rausch hinein, der nach immer mehr Mündungsfeuer, immer mehr Explosionen verlangt. Nur wenige Kampfpausen räumt der Autor dem Leser ein. In ihnen finden sich Reflexionen, die sich in der Regel mit Kameradschaft oder Opfergeist befassen, etwa einer Bomberbesatzung im Zweiten Weltkrieg, die einander Treue geschworen hatte und aus Solidarität bei einem eingeklemmten Kameraden bleibt.

    "Die anderen drei Männer, mit denen der Bordschütze den Pakt geschlossen hatte, hätten mit Fallschirmen abspringen können, blieben aber bei ihm, bis das Flugzeug aufschlug. Alle starben."

    In Junger's Buch erfährt man nichts über Afghanistan, seine Konflikte, seine Menschen, nichts über die Feinde, denen die GI's da gegenüberstehen. Und das soll man auch nicht, denn Junger hat sich ausdrücklich zum Ziel gesetzt, über den Krieg zu schreiben, über den Krieg und nur über den Krieg, besser gesagt: den Krieg einer Weltmacht gegen Aufständische. Am Beginn eines Kapitels zitiert er Winston Churchill:

    "Wir schlafen fest in unseren Betten, weil starke Männer bereitstehen, diejenigen von Gewalt heimsuchen zu lassen, die uns Harm zufügen wollen."

    Junger hätte auch auf einen anderen Churchill stoßen können. Als Leutnant war der spätere britische Premierminister Ende des 19. Jahrhunderts in etwa derselben Gegend eingesetzt, in der sich Junger aufgehalten hat, erlebte etliche Gefechte gegen aufständische Paschtunen, darunter Nahkämpfe mit Säbel und Pistole. Damals schrieb Churchill:

    "Die Vorzüge des Hinterladers und mehr noch des Magazingewehrs wurden nirgends so geschätzt wie hier. Eine Waffe, die auf eine Entfernung von fünfzehnhundert Metern einen Menschen töten konnte, eröffnete den Paschtunen-Stämmen den Ausblick auf ganz neue Freuden für jede Familie oder Sippe, die in den Besitz eines solchen Gewehres gelangt; und die Hochachtung, die (sie) von jeher der christlichen Zivilisation entgegenbrachten, wurde dadurch noch merklich gesteigert."

    Warum dieses alternative Churchill-Zitat? Weil man Junger nur ein Quäntchen solcher Distanz, solch federleichter Selbstironie wünschte. Oder etwas von der Beobachtungsgabe seines Beinahe-Namensvetters, des bekennenden Kriegsfans und Antidemokraten Ernst Jünger. Was der nicht minder detailreich in seinem Buch "In Stahlgewittern" beschreibt, spielt sich vor dem Hintergrund einer langen Epoche bürgerlicher Sicherheit ab. Diese Welt ist Jüngers Raster, sein Bezugsrahmen, und wenn er das Leben und Sterben in den Schützengräben schildert, dann ist das erschütternd, weil es alles, was er gelernt hat, in nihilistischer Weise auf den Kopf stellt. Zwei Vergleiche, die zu einer entscheidenden Frage führen: Lässt sich das Wesen eines Krieges begreifen, ohne dass man ihn an einer bestimmten Gesellschaft, einem bestimmten wie auch immer gearteten intellektuellen Maßstab misst? Sebastian Junger verzichtet, wie gesagt, bewusst darauf. Die GIs begleitet er, als wären sie eine Gruppe Leistungssportler, die sich mal verletzen, mal beachtliche Rekorde aufstellen und mal sterben. Sie sind zornig, wenn es jemand von den ihren trifft, und sie freuen sich, wenn ihre Feinde umkommen. Die beschriebenen Persönlichkeiten bleiben schemenhaft, austauschbar, sie agieren so vorhersehbar, dass sich den Namen keine Gesichter zuordnen wollen. Das ist spannend, aber eine solche Spannung gleicht derjenigen von Action-Filmen, bei deren Betrachtung sich eine latente Aufgeregtheit einstellt. Sie schlafft schnell ab und ist wie weggeblasen, sobald man das Kino verlässt – beziehungsweise das Buch aus der Hand legt. Nur einmal gelingt Junger durch seine Technik des Eins-zu-Eins-Abpausens, eine wirklich erschütternde Schilderung. Er protokolliert, wie die Offiziere der Einheit, die ihn eingebettet hat, mit afghanischen Dorf-Ältesten eine Schura, eine Ratsversammlung, abhalten. Der kommandierende US-Offizier stellt sich vor die afghanischen Dorf-Ältesten:

    "Wir wurden gebeten, den Fortschritt in alle Winkel Afghanistans zu bringen. Wenn ich in Dörfer komme und Raketenwerfer finde, mit denen auf mich und die afghanische Armee geschossen wird, bedeutet es, dass hier schlechte Menschen sind, gute Menschen haben solche Waffen nicht."

    Junger lobt den Offizier für sein Einfühlungsvermögen gegenüber den Afghanen. Die Szene liefert vielleicht den Schlüssel, die Veränderungen zu begreifen, die sich heutzutage in der Kriegführung abspielt. Aufstandsbekämpfung, das bedeutet nicht zuletzt auch ein Zurück in Denkmuster und Sprechweisen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Davon scheint auch die begleitende Literatur betroffen – was, für sich genommen, noch kein Schaden wäre. Aber der Autor orientiert sich nicht an Maßstäben wie sie Kriegsschilderer wie Churchill, Tolstoi, Hemingway und selbst Ernst Jünger gesetzt haben. Junger's Helden sind eher: der Schutztruppler aus Deutsch-Südwest, der seinen Kameraden durch den Kugelhagel der Hereo schleppt, der Cowboy, der, vom Indianerpfeil getroffen, noch schnell weitere Patronen in den Trommelrevolver einschiebt, der Offizier, der dem Apachen im Auftrag des großen weißen Vaters die Zivilisation bringt, der Legionär, der schwer verwundet, wieder an die Front will. Auch wenn es paradox klingt: Die Militarisierung der Kriegsberichterstattung tut der Gattung nicht gut. Und was das Handwerkliche angeht: Kriege sollten durch Kriegsreporter beschrieben werden und Sportereignisse durch Sportreporter.

    Sebastian Junger: War. Ein Jahr im Krieg. Karl Blessing Verlag, 336 Seiten, 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-89667-441-8

    DKultur Kritik: Im Tal des Todes
    Sebastian Junger: "War. Ein Jahr im Krieg", Blessing, München 2010, 336 Seiten


    Buch der Woche: Ernst Jünger: "Kriegstagebuch 1914-1918", Helmuth Kiesel (Hrsg.), Klett-Cotta 2010