Der Besuch Benedikts XVI. in Bayern hat Matthias Drobinski in seiner Einschätzung bestätigt. Der Redakteur der Süddeutschen Zeitung berichtet seit Jahren über die katholische Kirche, kommentiert Ereignisse und Vorgänge und übt sachliche Kritik, wo sie ihm nötig scheint. Bei aller Skepsis gegenüber dem Kardinal an der Spitze der vatikanischen Glaubenskongregation hat Josef Ratzinger als Papst den Journalisten in vielem überrascht.
" Der Papst ist in großer Bescheidenheit aufgetreten, man sieht einfach, dass er nicht probiert, seinen Vorgänger zu kopieren, sondern in sein Amt mit seinem eigenen Stil auch reingewachsen ist. Und besonders gut finde ich, dass er stärker auf die Möglichkeiten dieser Kirche abhebt als auf das Verbietende. Er nimmt da nichts zurück. In diesem Sinne bleibt vieles von dem Reformstau, den es in der katholischen Kirche gibt, auch bestehen. Er ist kein Reformator. Das würde ihn auch überfordern. Da ist er auch der falsche dafür. Er hat diese Politik, die Johannes Paul II. geführt hat, ja zwanzig Jahre mitformuliert. Aber er legt einen anderen Akzent. Er sagt, wir müssen in dieser katholischen Kirche viel stärker gucken: Was sind unsere Möglichkeiten? Was sind die Chancen für die Menschen? Wo sind wir denn auch einfach ein tolles Angebot?"
Diesen Stil, wie ihn Papst Benedikt XVI. zu prägen sucht, sollte die katholische Kirche generell pflegen, für die interne Kommunikation wie für ihren Dialog mit der Außenwelt, meint Drobinski. Er hat in einem umfänglichen Essay unter dem Titel Oh Gott, die Kirche! eine Analyse zur gegenwärtigen katholischen Kirche in Deutschland vorgelegt. Mit seinem "Versuch über das katholische Deutschland" will der Autor nicht nur den Reformbedarf an bekannten Problemen wie Zölibat, Frauenfrage, Sexualmoral aufzeigen, sondern auch die Stärken und Chancen dieser Institution. Kenntnisreich und in gekonnt journalistischem Stil beleuchtet er lichte und schattige Hintergründe, die vielen kaum oder gar nicht bekannt sind. Dazu gehört etwa die Innenansicht der Bischofskonferenz, die einen der interessantesten Abschnitte des Buches abgibt: Der nach außen meist geschlossen erscheinende Block der Bischöfe ist in Wirklichkeit nahezu heillos zerstritten. Drobinski ordnet auch die sich immer wieder an Konflikten entzündenden öffentlichen Diskussionen in die tiefer gründenden Zusammenhänge ein. So ist etwa die zuletzt heftig diskutierte Finanzkrise der Kirche im letzten eine innere Sinnkrise, die zugleich den weithin fragwürdigen Umgang der geistlichen Leitungen mit dem Volk der Laien bloßlegt. Der Autor befasst sich zudem mit Problemen, die von der Kirche nicht nur gern unter der Decke gehalten, sondern regelrecht tabuisiert werden, etwa die Homosexualität von Priestern oder die Verunsicherungen von Geistlichen, die zu Depressionen oder gar zu Neurosen führen. Damit will der Autor nicht aufrechnen, sondern auch den Katholiken, die sich in ihrer Kirche immer noch engagieren, ein realistisches Bild vermitteln.
" Das andere sind Leute, die jetzt viel von der katholischen Kirche hören. ... Generell ist Religion wichtiger geworden, man merkt, es gibt auch eine neue Aufmerksamkeit dahin. Und das ist so der zweite Leser, den ich im Kopf hatte, nämlich derjenige, der so sagt, wie tickt denn eigentlich diese katholische Kirche, die auf der einen Seite mir so vielleicht merkwürdig vorkommt, auf der anderen Seite doch eine sehr, sehr wichtige Rolle in dieser Gesellschaft spielt."
Nicht wenigen zum Ärgernis, denen die sehr enge Kooperation zwischen Kirchen und Staat in Deutschland kaum mehr dem Anteil der Christen in dieser Gesellschaft entspricht. Wie sich dieses spezifisch deutsche Modell der so genannten hinkenden Trennung entwickelt hat und wie zugleich die Kirche in Deutschland in ihre spannungsreiche Beziehung zum Papst und zum Vatikan gekommen ist, stellt der Autor einleitend in einem historischen Abriss fest. Dieser im Ganzen stimmige Schnelldurchgang trägt viel zur Beurteilung der aktuellen Lage der Kirche bei. Für eben diese Lage Verständnis zu wecken, dafür sieht Drobinski eine gute Chance, denn es gebe, wie Soziologen diagnostizieren, so etwas wie eine "Renaissance der Religion".
" Alle Umfragen und alle Untersuchungen sagen, dass ... es einerseits diesen Säkularisierungsprozess gibt, der auch weitergehen wird. ... generell sieht man, die Zahl der Kirchenmitglieder wird weniger werden, die Zahl der Priester in der katholischen Kirche wird sehr stark zurückgehen, auch die Finanzkraft der Gemeinden wird zurückgehen. Gleichzeitig gibt es aber dieses neu erwachte Interesse, das sehr widersprüchlich ist, das oft ein unbestimmtes Gefühl ist, das sich immer weniger konfessionell festmacht. Andererseits gibt es aber doch so eine Neugier gegenüber den Konfessionen, gegenüber den Kirchen: Wer seid denn ihr, was macht ihr?"
Diese Aufgeschlossenheit, die der Journalist auch in seiner täglichen Arbeit spüren will, bedeute nicht automatisch Rückenwind für die Kirche, meint er. Wenn ihre Repräsentanten vornehmlich mit Geboten und Verboten auftreten und Antworten geben auf Fragen, die keiner stellt, wirken sie nicht mehr überzeugend. "Oh Gott, die Kirche!" bliebe dann der Stoßseufzer über eine Institution, die sich immer noch regt, aber eigentlich als überflüssig angesehen wird. Die Kirche werde sich reformieren müssen, um besagte Neugier umzuformen in das Interesse, näher hinzuschauen; Drobinski hat dafür eine Reihe von Vorschlägen, die zwar generell nicht neu sind, aber durch ihre Bekräftigung nichts an Relevanz einbüßen. Dass sie hier wiederholt werden müssen, ist nur ein Ausweis dafür, dass die Kirche überfällige Veränderungen bislang versäumt oder gar beiseite geschoben hat. Gibt sie sich weiter statisch und resistent, verpasse sie ihre Chance, auch künftig gesellschaftlich bedeutsam zu sein. Das würde der Autor bedauern, denn er möchte als Mitglied der katholischen Kirche, wie er selbst bekennt, ein "fröhlicher Christ" bleiben.
Matthias Drobinski: Oh Gott, die Kirche!
Versuche über das katholische Deutschland
Patmos Verlag, Düsseldorf 2006, 176 Seiten, 18,- Euro.
" Der Papst ist in großer Bescheidenheit aufgetreten, man sieht einfach, dass er nicht probiert, seinen Vorgänger zu kopieren, sondern in sein Amt mit seinem eigenen Stil auch reingewachsen ist. Und besonders gut finde ich, dass er stärker auf die Möglichkeiten dieser Kirche abhebt als auf das Verbietende. Er nimmt da nichts zurück. In diesem Sinne bleibt vieles von dem Reformstau, den es in der katholischen Kirche gibt, auch bestehen. Er ist kein Reformator. Das würde ihn auch überfordern. Da ist er auch der falsche dafür. Er hat diese Politik, die Johannes Paul II. geführt hat, ja zwanzig Jahre mitformuliert. Aber er legt einen anderen Akzent. Er sagt, wir müssen in dieser katholischen Kirche viel stärker gucken: Was sind unsere Möglichkeiten? Was sind die Chancen für die Menschen? Wo sind wir denn auch einfach ein tolles Angebot?"
Diesen Stil, wie ihn Papst Benedikt XVI. zu prägen sucht, sollte die katholische Kirche generell pflegen, für die interne Kommunikation wie für ihren Dialog mit der Außenwelt, meint Drobinski. Er hat in einem umfänglichen Essay unter dem Titel Oh Gott, die Kirche! eine Analyse zur gegenwärtigen katholischen Kirche in Deutschland vorgelegt. Mit seinem "Versuch über das katholische Deutschland" will der Autor nicht nur den Reformbedarf an bekannten Problemen wie Zölibat, Frauenfrage, Sexualmoral aufzeigen, sondern auch die Stärken und Chancen dieser Institution. Kenntnisreich und in gekonnt journalistischem Stil beleuchtet er lichte und schattige Hintergründe, die vielen kaum oder gar nicht bekannt sind. Dazu gehört etwa die Innenansicht der Bischofskonferenz, die einen der interessantesten Abschnitte des Buches abgibt: Der nach außen meist geschlossen erscheinende Block der Bischöfe ist in Wirklichkeit nahezu heillos zerstritten. Drobinski ordnet auch die sich immer wieder an Konflikten entzündenden öffentlichen Diskussionen in die tiefer gründenden Zusammenhänge ein. So ist etwa die zuletzt heftig diskutierte Finanzkrise der Kirche im letzten eine innere Sinnkrise, die zugleich den weithin fragwürdigen Umgang der geistlichen Leitungen mit dem Volk der Laien bloßlegt. Der Autor befasst sich zudem mit Problemen, die von der Kirche nicht nur gern unter der Decke gehalten, sondern regelrecht tabuisiert werden, etwa die Homosexualität von Priestern oder die Verunsicherungen von Geistlichen, die zu Depressionen oder gar zu Neurosen führen. Damit will der Autor nicht aufrechnen, sondern auch den Katholiken, die sich in ihrer Kirche immer noch engagieren, ein realistisches Bild vermitteln.
" Das andere sind Leute, die jetzt viel von der katholischen Kirche hören. ... Generell ist Religion wichtiger geworden, man merkt, es gibt auch eine neue Aufmerksamkeit dahin. Und das ist so der zweite Leser, den ich im Kopf hatte, nämlich derjenige, der so sagt, wie tickt denn eigentlich diese katholische Kirche, die auf der einen Seite mir so vielleicht merkwürdig vorkommt, auf der anderen Seite doch eine sehr, sehr wichtige Rolle in dieser Gesellschaft spielt."
Nicht wenigen zum Ärgernis, denen die sehr enge Kooperation zwischen Kirchen und Staat in Deutschland kaum mehr dem Anteil der Christen in dieser Gesellschaft entspricht. Wie sich dieses spezifisch deutsche Modell der so genannten hinkenden Trennung entwickelt hat und wie zugleich die Kirche in Deutschland in ihre spannungsreiche Beziehung zum Papst und zum Vatikan gekommen ist, stellt der Autor einleitend in einem historischen Abriss fest. Dieser im Ganzen stimmige Schnelldurchgang trägt viel zur Beurteilung der aktuellen Lage der Kirche bei. Für eben diese Lage Verständnis zu wecken, dafür sieht Drobinski eine gute Chance, denn es gebe, wie Soziologen diagnostizieren, so etwas wie eine "Renaissance der Religion".
" Alle Umfragen und alle Untersuchungen sagen, dass ... es einerseits diesen Säkularisierungsprozess gibt, der auch weitergehen wird. ... generell sieht man, die Zahl der Kirchenmitglieder wird weniger werden, die Zahl der Priester in der katholischen Kirche wird sehr stark zurückgehen, auch die Finanzkraft der Gemeinden wird zurückgehen. Gleichzeitig gibt es aber dieses neu erwachte Interesse, das sehr widersprüchlich ist, das oft ein unbestimmtes Gefühl ist, das sich immer weniger konfessionell festmacht. Andererseits gibt es aber doch so eine Neugier gegenüber den Konfessionen, gegenüber den Kirchen: Wer seid denn ihr, was macht ihr?"
Diese Aufgeschlossenheit, die der Journalist auch in seiner täglichen Arbeit spüren will, bedeute nicht automatisch Rückenwind für die Kirche, meint er. Wenn ihre Repräsentanten vornehmlich mit Geboten und Verboten auftreten und Antworten geben auf Fragen, die keiner stellt, wirken sie nicht mehr überzeugend. "Oh Gott, die Kirche!" bliebe dann der Stoßseufzer über eine Institution, die sich immer noch regt, aber eigentlich als überflüssig angesehen wird. Die Kirche werde sich reformieren müssen, um besagte Neugier umzuformen in das Interesse, näher hinzuschauen; Drobinski hat dafür eine Reihe von Vorschlägen, die zwar generell nicht neu sind, aber durch ihre Bekräftigung nichts an Relevanz einbüßen. Dass sie hier wiederholt werden müssen, ist nur ein Ausweis dafür, dass die Kirche überfällige Veränderungen bislang versäumt oder gar beiseite geschoben hat. Gibt sie sich weiter statisch und resistent, verpasse sie ihre Chance, auch künftig gesellschaftlich bedeutsam zu sein. Das würde der Autor bedauern, denn er möchte als Mitglied der katholischen Kirche, wie er selbst bekennt, ein "fröhlicher Christ" bleiben.
Matthias Drobinski: Oh Gott, die Kirche!
Versuche über das katholische Deutschland
Patmos Verlag, Düsseldorf 2006, 176 Seiten, 18,- Euro.