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Anarchos an der Akropolis

Angesichts der Unruhen in der griechischen Hauptstadt Athen hat der Schriftsteller Petros Markaris eine Reihe von Korruptionsfällen und Skandalen, die schon in den 90er-Jahren stattgefunden haben, für den derzeitigen Umschwung zur Gewalt verantwortlich gemacht. Der starke Trend der Mächtigen, die Korruption zu akzeptieren habe gerade die jungen Leute von der Gesellschaft "vollkommen entfremdet", so Markaris.

Petros Markaris im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Die aktuellen Zeitungsmeldungen zeichnen flammende Horrorbilder von Griechenland seit dem Wochenende. Ein Polizist erschießt einen jungen Demonstranten in Athen, die Folge, es kommt zu schweren Krawallen in Arkadien, brennende Barrikaden an der Universität, quasi im Schatten der Akropolis. Doch nicht nur in Athen, auch in Thessaloniki, ganz Griechenland wird zum Schauplatz erbitterter sozialer Auseinandersetzungen zurzeit und sie dauern auch bis heute noch an. Frage an Petros Markaris in Athen, Sie sind Schriftsteller, Drehbuchautor und Übersetzer. "Tod in der Agora", so der Titel eines Ihrer Filmdrehbücher. Was sind das für Risse in der griechischen Gesellschaft, die da sichtbar werden? Was ist faul im Staate Hellas?

    Petros Markaris: Risse gibt es viele. Das Land hat sich zwar, sagen wir, nach dem Fall der Junta sich demokratisch normalisiert. Aus Griechenland ist eine solide Republik geworden, aber die Risse in der Gesellschaft haben sich nicht geheilt.

    Schossig: Das kann doch gar nicht sein, nach einer so langen Zeit muss doch etwas geschehen sein an demokratischer Stabilisierung.

    Markaris: Ja, leider ist es in Griechenland, was die soziale Realität betrifft, alles ein bisschen bergab gegangen. Nach einer Euphorie 1981, als, sagen wir, die erste sozialistische Regierung die Macht übernommen hatte, das dauerte vier, fünf Jahre, und dann nach fünf Jahren kam die Krise und mit der Krise eine miese Stimmung. Diese miese Stimmung hat sich eingearbeitet, sagen wir, im Körper der Gesellschaft, sodass aus dieser miesen Stimmung eine Wut entstanden ist und eine Tendenz zu Gewalt.

    Schossig: Wo sind die Quellen für diese Wut und für diese Gewalt, die sogenannten Autonomen im Vaterland der Demokratie. Woher kommen die?

    Markaris: Man redet viel über diese Autonomen, über diese Kreise, die sich in der Anarchie treffen unter, sagen wir, verschiedenen Namensschildern. Aber sie sind keine große Zahl. Sie sind zwar sehr aggressiv, sie machen viel Krach, aber groß in der Zahl sind sie nicht. Ich glaube, das, was den Ausschlag gegeben hat in Griechenland zu diesem, sagen wir, Umschwung von der miesen Stimmung in die Wut, ist eigentlich eine Reihe von Korruptionsfällen, die bereits Ende der 90er-Jahre angefangen hat, eine Reihe von Skandalen, die auch von den Medien sehr groß aufgebaut wurden und der feste Glaube, dass eine große Schicht der Bevölkerung, die es natürlich jedes Mal besser, dass man hofft, dass es jedem mal besser gehen wird, es schlechter geht eigentlich. Und diese Situation mit einem starken Trend zur Korruption, mit einem starken Trend, die Korruption zu akzeptieren und immer unsere Leute zu unterstützen, das hat natürlich einen Teil der Gesellschaft, vor allem den jungen Teil der Gesellschaft, vollkommen entfremdet.

    Schossig: Herr Markaris, wir reden über das Vaterland der attischen Demokratie, das Land der Griechen mit der Seele suchen, so hieß es zu Zeiten von Lord Byron und Hölderlin. Selbst deutsche Wehrmachtsbesatzungssoldaten ergingen sich 1942 bis 1945 noch in Hexameter-Schilderungen des attischen Lichts. Was hat sich eigentlich geändert oder sitzen wir in einem Missverständnis auf?

    Markaris: Ach, es hat sich gar nichts geändert. Das moderne Griechenland, neue Griechenland hat mit dem Altertum gar nichts zu tun. Da hat sich gar nichts geändert. Das war von Anfang so.

    Schossig: Dennoch, Sie haben Goethe ins Griechische übertragen. Haben wir antiken Touristen, die wir Delphi und Olympia so gern besuchen, ein viel zu idealisches Bild des modernen Griechenland?

    Markaris: Ja, Sie haben ein viel zu idealisches Bild, aber auch, glaube, einen Großteil der Griechen, der sich natürlich in der Antike wiederfindet, hat auch dieses ideale Bild im Sinn. Aber dieses ideale Bild deckt sich mit der heutigen Wirklichkeit gar nicht überein.

    Schossig: Es ist nur eine Maske für die gleiche Korruption, die wir überall finden?

    Markaris: Ja, es ist eigentlich, sagen wir, romantische Denkweise oder Wunschdenken. Es gibt Teile der Intelligenz und der Intellektuellen und Journalisten, die das auch so begreifen. Die befinden sich in einer ganz empfindlichen Lage. Denn was wir heute erleben, ist eigentlich eine korrupte, sagen wir, Realität, eine korrupte politische Macht und dazu noch die Wut und Gewalt. Das ist schlimm. Denn das läuft zusammen und ich weiß nicht, wie wir uns da herausmanövrieren können.

    Schossig: Soweit der griechische Schriftsteller Petros Markaris mit Hintergründen zu den Unruhen in Athen und Thessaloniki.