Anatolij Rybakovs "Die Kinder des Arbat" wurden zum Synonym für eine ganze Generation junger Menschen, die in die Mühlen des Terrors geriet. Rybakov hatte sie exemplarisch in den Bewohnern des traditionsreichen Moskauer Viertels Arbat beschrieben: mit Elternhäusern, in denen noch vorrevolutionäre Gepflogenheiten herrschten, und einer großen Begeisterung für den Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft. "Der Titel ist sehr gut -ein gutes Buch hat immer einen guten Titel", hatte Aleksandr Tvardovskij, der Chefredakteur der Zeitschrift "Novyj Mir", mit sicherem Gespür gesagt, als ihm der Autor das Manuskript seines Romans zur Veröffentlichung anbot.
Das war 1968, und es sollten noch fast 20 Jahre vergehen, ehe "Die Kinder des Arbat" in der Sowjetunion erscheinen konnten und ihren damals schon betagten Autor in aller Welt berühmt machten. 1988, ein Jahr nach dem spektakulären Erscheinen der ersten Folge im Aprilheft der Zeitschrift "Družba narodov" (Freundschaft der Völker), kam er bei Kiepenheuer & Witsch in deutscher Sprache heraus, unter dem Titel "Die Kinder des Arbat", in einer Übersetzung, die die literarischen Schwächen des Originals augenfällig machte.
Joseph Brodsky sprach sogar verächtlich von "Makulatur". Das harsche Urteil des Nobelpreisträgers minderte den Erfolg des zwar spannend, aber schlicht und bieder erzählten Werks keineswegs. Doch mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Perestrojka und schließlich mit dem Zerfall des Imperiums erlahmte das Interesse für sowjetische Themen: Das weitere Schicksal der "Kinder des Arbat" fand im Westen wenig Resonanz. 1990 und 1994 erscheinen noch einmal zwei Fortsetzungen - "Jahre des Terrors" und "Stadt der Angst"; der letzte Band "Staub und Asche" wurde nicht mehr ins Deutsche übersetzt.
In den "Kindern des Arbat" hatte der 1911 geborene Autor seine eigene Jugend geschildert. Fabrikarbeit und Studium, Gefängnishaft und Verbannung, anschließend jahrelange Wanderungen durch Russland, der rechtlose und gefährdete Zustand eines vorbestraften Volksfeinds - all das kannte Anatolij Rybakow aus eigener Erfahrung.
"Sie haben Ihren Goldschatz gefunden. Dieser Schatz ist Ihr eigenes Leben", hatte Aleksandr Tvardovskij dem Autor der "Kinder des Arbat" 1968 versichert. 30 Jahre später, im hohen Alter von 86 Jahren, ein Jahr vor seinem Tod, hat Anatolij Rybakov diesen Goldschatz für die Nachwelt geborgen: Seine Memoiren, 1997 in Moskau erschienen, liegen nun in deutscher Übersetzung vor unter dem Titel "Roman der Erinnerung".
Auch Anatolij Rybakov war ein "Kind des Arbat" - es gab einen Becker-Flügel im Kinderzimmer und eine Französischlehrerin. Doch die Eltern trennten und die Zeiten änderten sich: der junge Anatolij wird nach der Schule erst einmal Kraftfahrer und beginnt 1930 ein Studium am Institut für Transportwirtschaft. Wegen ein paar harmlosen Versen auf einer Wandzeitung wird er verhaftet und zu ein paar Jahren Verbannung verurteilt - diese Zeit übergeht er in seinen Memoiren, er hat sie seinen Helden Saša Pankratov aus den "Kindern des Arbat" erleben lassen. 1936 endet die Verbannung, von dem Makel, ein Volksfeind zu sein, kann sich Anatolij Rybakov erst durch seinen klugen und aufopferungsvollen Einsatz im Krieg befreien. Er gehört zu den russischen Soldaten, die Berlin einnehmen. Zurück nach Moskau fährt er mit seinem eigenen Opel-Kapitän, eine Schreibmaschine mit kyrillischen Buchstaben an Bord - 1947 ist das erste Werk fertig: das Jugendbuch "Der Marinedolch", weitere folgen. Aus dem russischen Tramp und Gelegenheitsarbeiter der Vorkriegszeit ist ein Schriftsteller geworden. "... Du biederst dich nicht an, aber die ganze Wahrheit sagst du auch nicht", kommentiert einer seiner Studienfreunde die ersten Bücher.
1958, mitten im Tauwetter, beginnt Anatolij Rybakov das Buch seines Lebens, und es verwundert nicht, dass der Kampf und die Auseinandersetzungen um dieses Buch fast die Hälfte seiner Erinnerungen einnehmen: Als er "Die Kinder des Arbat" neun Jahre später in die Redaktionen trägt, ist es bereits zu spät für Abrechnungen mit der Stalinzeit. Der Druck wird abgelehnt. Akribisch gibt Anatolij Rybakov Gespräche mit Chefredakteuren, die Meinung befreundeter Schriftsteller oder einflussreicher Funktionäre wieder. Der Versuchung, Solženicyns Beispiel zu folgen und den Roman im Ausland drucken zu lassen, widersteht der Autor - er will, dass sein Buch zuerst in der Sowjetunion erscheint. Anders als der kämpferische Dokumentar des Archipel GULAG mag sich Rybakov wohl auch vor den weitreichenden Folgen eines solchen Schritts gefürchtet haben. Mit großer Ausführlichkeit schildert er die schwierigen und immer wieder vom Scheitern bedrohten Verhandlungen um das Erscheinen des Romans in der Ära Gorbatschow - das ganze Stop-and-Go des Reformprozesses, die Angst der Parteifunktionäre vor der eigenen Courage. In den Sitzungsprotokollen des ZK erlebt man Gorbatschow noch als Hardliner, ehe er sich dann selbst an die Spitze der Bewegung setzte.
Bevor die Zeit reif war für "Die Kinder des Arbat", konnte Anatolij Rybakov 1979, wenn auch mit empfindlichen Streichungen und Änderungen, seinen Roman "Schwerer Sand" veröffentlichen. Die sowjetische Presse schwieg ihn tot, doch in 26 Ländern wurde er gedruckt: "Schwerer Sand" handelt vom Schicksal einer jüdischen Familie während des Zweiten Weltkriegs in den von den Deutschen besetzten Gebieten. Ein Thema, mit dem der sowjetische Schriftsteller Rybakov zu seinen jüdischen Wurzeln zurückkehrte - und ein Tabu brach: In der sowjetischen Erinnerung kamen die jüdischen Opfer nicht vor, sie wurden unter die Opfer des Faschismus subsumiert. Der Memoirenschreiber versichert, in seinem Buch habe der sowjetische Leser zum erstenmal die Zahl der Opfer des Holocaust erfahren.
Anatolij Rybakovs Erinnerungen kommen zu spät, um noch ein großes Publikum zu finden. Das ist schade, denn immerhin führen sie noch einmal vor Augen, auf welchen Umwegen und mit welcher Pein sich die Sowjetunion kurz vor ihrem Untergang der ihrer eigenen Geschichte stellte.
Anatoli Rybakow, "Roman der Erinnerung, Memoiren". Das Buch ist im Berliner Aufbau Verlag erschienen, umfasst 442 Seiten und kostet 22.96 Euro.
Das war 1968, und es sollten noch fast 20 Jahre vergehen, ehe "Die Kinder des Arbat" in der Sowjetunion erscheinen konnten und ihren damals schon betagten Autor in aller Welt berühmt machten. 1988, ein Jahr nach dem spektakulären Erscheinen der ersten Folge im Aprilheft der Zeitschrift "Družba narodov" (Freundschaft der Völker), kam er bei Kiepenheuer & Witsch in deutscher Sprache heraus, unter dem Titel "Die Kinder des Arbat", in einer Übersetzung, die die literarischen Schwächen des Originals augenfällig machte.
Joseph Brodsky sprach sogar verächtlich von "Makulatur". Das harsche Urteil des Nobelpreisträgers minderte den Erfolg des zwar spannend, aber schlicht und bieder erzählten Werks keineswegs. Doch mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Perestrojka und schließlich mit dem Zerfall des Imperiums erlahmte das Interesse für sowjetische Themen: Das weitere Schicksal der "Kinder des Arbat" fand im Westen wenig Resonanz. 1990 und 1994 erscheinen noch einmal zwei Fortsetzungen - "Jahre des Terrors" und "Stadt der Angst"; der letzte Band "Staub und Asche" wurde nicht mehr ins Deutsche übersetzt.
In den "Kindern des Arbat" hatte der 1911 geborene Autor seine eigene Jugend geschildert. Fabrikarbeit und Studium, Gefängnishaft und Verbannung, anschließend jahrelange Wanderungen durch Russland, der rechtlose und gefährdete Zustand eines vorbestraften Volksfeinds - all das kannte Anatolij Rybakow aus eigener Erfahrung.
"Sie haben Ihren Goldschatz gefunden. Dieser Schatz ist Ihr eigenes Leben", hatte Aleksandr Tvardovskij dem Autor der "Kinder des Arbat" 1968 versichert. 30 Jahre später, im hohen Alter von 86 Jahren, ein Jahr vor seinem Tod, hat Anatolij Rybakov diesen Goldschatz für die Nachwelt geborgen: Seine Memoiren, 1997 in Moskau erschienen, liegen nun in deutscher Übersetzung vor unter dem Titel "Roman der Erinnerung".
Auch Anatolij Rybakov war ein "Kind des Arbat" - es gab einen Becker-Flügel im Kinderzimmer und eine Französischlehrerin. Doch die Eltern trennten und die Zeiten änderten sich: der junge Anatolij wird nach der Schule erst einmal Kraftfahrer und beginnt 1930 ein Studium am Institut für Transportwirtschaft. Wegen ein paar harmlosen Versen auf einer Wandzeitung wird er verhaftet und zu ein paar Jahren Verbannung verurteilt - diese Zeit übergeht er in seinen Memoiren, er hat sie seinen Helden Saša Pankratov aus den "Kindern des Arbat" erleben lassen. 1936 endet die Verbannung, von dem Makel, ein Volksfeind zu sein, kann sich Anatolij Rybakov erst durch seinen klugen und aufopferungsvollen Einsatz im Krieg befreien. Er gehört zu den russischen Soldaten, die Berlin einnehmen. Zurück nach Moskau fährt er mit seinem eigenen Opel-Kapitän, eine Schreibmaschine mit kyrillischen Buchstaben an Bord - 1947 ist das erste Werk fertig: das Jugendbuch "Der Marinedolch", weitere folgen. Aus dem russischen Tramp und Gelegenheitsarbeiter der Vorkriegszeit ist ein Schriftsteller geworden. "... Du biederst dich nicht an, aber die ganze Wahrheit sagst du auch nicht", kommentiert einer seiner Studienfreunde die ersten Bücher.
1958, mitten im Tauwetter, beginnt Anatolij Rybakov das Buch seines Lebens, und es verwundert nicht, dass der Kampf und die Auseinandersetzungen um dieses Buch fast die Hälfte seiner Erinnerungen einnehmen: Als er "Die Kinder des Arbat" neun Jahre später in die Redaktionen trägt, ist es bereits zu spät für Abrechnungen mit der Stalinzeit. Der Druck wird abgelehnt. Akribisch gibt Anatolij Rybakov Gespräche mit Chefredakteuren, die Meinung befreundeter Schriftsteller oder einflussreicher Funktionäre wieder. Der Versuchung, Solženicyns Beispiel zu folgen und den Roman im Ausland drucken zu lassen, widersteht der Autor - er will, dass sein Buch zuerst in der Sowjetunion erscheint. Anders als der kämpferische Dokumentar des Archipel GULAG mag sich Rybakov wohl auch vor den weitreichenden Folgen eines solchen Schritts gefürchtet haben. Mit großer Ausführlichkeit schildert er die schwierigen und immer wieder vom Scheitern bedrohten Verhandlungen um das Erscheinen des Romans in der Ära Gorbatschow - das ganze Stop-and-Go des Reformprozesses, die Angst der Parteifunktionäre vor der eigenen Courage. In den Sitzungsprotokollen des ZK erlebt man Gorbatschow noch als Hardliner, ehe er sich dann selbst an die Spitze der Bewegung setzte.
Bevor die Zeit reif war für "Die Kinder des Arbat", konnte Anatolij Rybakov 1979, wenn auch mit empfindlichen Streichungen und Änderungen, seinen Roman "Schwerer Sand" veröffentlichen. Die sowjetische Presse schwieg ihn tot, doch in 26 Ländern wurde er gedruckt: "Schwerer Sand" handelt vom Schicksal einer jüdischen Familie während des Zweiten Weltkriegs in den von den Deutschen besetzten Gebieten. Ein Thema, mit dem der sowjetische Schriftsteller Rybakov zu seinen jüdischen Wurzeln zurückkehrte - und ein Tabu brach: In der sowjetischen Erinnerung kamen die jüdischen Opfer nicht vor, sie wurden unter die Opfer des Faschismus subsumiert. Der Memoirenschreiber versichert, in seinem Buch habe der sowjetische Leser zum erstenmal die Zahl der Opfer des Holocaust erfahren.
Anatolij Rybakovs Erinnerungen kommen zu spät, um noch ein großes Publikum zu finden. Das ist schade, denn immerhin führen sie noch einmal vor Augen, auf welchen Umwegen und mit welcher Pein sich die Sowjetunion kurz vor ihrem Untergang der ihrer eigenen Geschichte stellte.
Anatoli Rybakow, "Roman der Erinnerung, Memoiren". Das Buch ist im Berliner Aufbau Verlag erschienen, umfasst 442 Seiten und kostet 22.96 Euro.