" Vielleicht sollte ich voraus schicken, dass ich selbst kein religiöser Mensch bin. Der Bus hat mich deshalb begeistert, weil er die Geschichte einer Gläubigen geht, die trotzdem selbst bestimmt ihren Weg geht. Sonst sind Glaube und Religion ja immer eher autoritäre Denkmodelle. Das was Lukas Bärfuss mit Erika macht, ist ein ständiges Unterlaufen dieser Vorstellung. Lukas Bärfuss bohrt aber noch tiefer, er ist ein Meister des Zweifel-Sehens. Man ahnt schon, in jedem Satz dreht sich alles um 180 Grad. Das ist für mich das Beeindruckendste an diesem Stück, das Lukas Bärfuss sprachlich und dramaturgisch vorführt, in welcher Beziehung Glaube zu Angst und Unsicherheit steht. "
Womit er ganz ohne Zweifel den Nerv der Zeit getroffen hat. Das Thema nämlich ist derzeit auf vielen deutschen Bühnen präsent, die deutsche Bühne hat dem Glauben in ihrer jüngsten Ausgabe sogar einen ganzen Schwerpunkt gewidmet.
Überhaupt ist es ein Signum dieses Jahrgangs, dass der bereits im letzten Jahr konstatierte Trend weg von den Textflächen zurück zur Story und zum Wellmade Play sich fortsetzt. Und das mit durchaus gesellschaftskritischen Inhalten.
Theresia Walsers "Kriegsberichterstatterin" - eine doppelbödige Satire auf die Angestellten der 'kulturellen Klasse' - gehört dabei zu den schwächeren Stücken. Auch bei Rebekka Kricheldorfs "Ballade vom Nadelbaumkiller" kritisierte die Jury die holzschnittartige Typisierung der Figuren, auch wenn die Autorin das Generationendrama und ihre persönliche Abrechnung mit den erzieherischen Fehlleistungen der 68er klug mit einer Don Juan-Geschichte verschneidet.
Die zweite Mülheimer Debütantin Anja Hilling, 1975 geboren und damit noch ein Jahr jünger als Rebekka Kricheldorf setzt voll auf die Möglichkeiten des Zufalls und der Perspektivwechsel und hat mit ihrem einigermaßen verrückten Mietshaus-Panoptikum "Mein junges idiotisches Herz" auch einen neuen Theaterton auf die Bühne gebracht. 'Trotzdem zu konstruiert', befand die Jury, ein Vorwurf, den auch Roland Schimmelpfennig sich gefallen lassen musste.
"Die Frau von früher", eine moderne Medea-Geschichte, die Liebe und Romantik gegen alle Vernunft behauptet, erhielt deshalb nur eine Art Sympathie-Bonus.
In Mülheim werden, und das ist ein nicht zu unterschätzendes Konflikt- und Diskussionspotential seit 30 Jahren, Stücke bewertet, aber Inszenierungen gesehen. Mit der Einladung der Wiener statt der Berliner Variante von Handkes "Untertag-blues" hatte man Autor und Publikum keinen wirklichen Gefallen getan; andererseits: das Stück lief eh' außer Konkurrenz.
Umgekehrt machte der Regisseur Andreas Kriegenburg aus Dea Lohers halbdokumentarischem "Leben auf der Praca Roosevelt" - ein Stück, das das schnelle Leben und brutale Sterben in der brasilianischen 17-Millionen Stadt Sao Paolo erzählt - eine Fabel von ungewöhnlicher poetischer Kraft. Dietmar N. Schmidt saß für das Mülheimer Auswahlgremium in der Jury:
" In der Aufführung "Das Leben auf der P.R. erleben wir die Verwandlung einer Sozialbeschreibung, einer halbdokumentarischen Authentizität in etwas ganz anderes. In einen Vorgang, der uns Himmel und Hölle, Leben und Sterben hier in Deutschland und nicht nur in Brasilien, der uns ein Erlebnis, Randexistenz zu sein in etwas verwandelt, was jedem von uns passiert, näher bringt, und dagegen gesetzt wird die Kraft, die Energie, sich im Leben behaupten zu wollen, und darüber hinaus zu entdecken so etwas wie Zärtlichkeit, wie Poesie, wie aufblühende Verhältnisse von Menschen, die sich sonst nur überkreuzen. Das Theater als Ganzheit, Text und Aufführung, hat mich so fasziniert, dass ich sagen würde, ich habe lange nichts, was so viel Schwung, soviel Leben über die Bühne vermittelt wie dieses Stück. "
Und dann war da noch Fritz Kater, dessen Alter Ego und Regisseur Armin Petras im nächsten Jahr das Gorki-Theater in Berlin übernimmt; beide stehen seit langem für theatralisches Ost-West-Grenzgängertum. "Drei von fünf Millionen" ist Romanadaption, künstlerisches Manifest, Krimi-Groteske, Vergangenheitsbewältigung und Zeitkommentar in einem und will damit vielleicht ein bisschen viel. Es verhandelt aber auch viel, und nicht nur Kunsttheorien von Bacon bis Beuys. Vor allem ist das Triptychon als Ode über Arbeitslosigkeit und Freundschaft zu lesen. Andrea Koschwitz, die Chefdramaturgin am Schauspiel Dresden:
"Viele Figuren, die Sie vielleicht nicht kennen, kenne ich gut, und ich finde es wirklich grandios, wie es Fritz Kater gelingt, diese Wirklichkeit, die so zerrissen ist, so zerklüftet, und das Verhalten dieser Menschen in Ostdeutschland in solch einer Tiefe, in der Tiefe der Verzweiflung zu beschreiben auch der zweite Teil, also für mich ist das ein Beispiel ein Beispiel für das Sein des Künstlers heute, wie ich ihn seit Heiner Müller nicht mehr gelesen habe, für mich ist das ein Horrortrip von Menschen, die keine Perspektive haben und dieses: ihr müsst etwas tun! das ist für mich eine ganz wichtige Botschaft und deshalb ein ganz knappes Votum für Fritz Kater."
"Der Bus" von Lukas Bärfuss bekam dann doch die Mehrheit, schließlich hatte Fritz Kater in Mülheim ja schon in den letzten Jahren abgeräumt. Mit ihm kommen die Freunde der Romantik und der surrealen Welten ebenso auf ihre Kosten wie die nachdenklichen Beobachter einer Gesellschaft, die sich gerade wieder anschickt, Wertefragen neu zu stellen. Antworten, das ist klar, wird es von den deutschen Theaterbühnen darauf keine geben. Aber dieser Mülheimer Jahrgang hat zumindest eines bewiesen: die Potenz der neuen Stücke, uns andere Bilder der Gesellschaft vor Augen zu führen.
Womit er ganz ohne Zweifel den Nerv der Zeit getroffen hat. Das Thema nämlich ist derzeit auf vielen deutschen Bühnen präsent, die deutsche Bühne hat dem Glauben in ihrer jüngsten Ausgabe sogar einen ganzen Schwerpunkt gewidmet.
Überhaupt ist es ein Signum dieses Jahrgangs, dass der bereits im letzten Jahr konstatierte Trend weg von den Textflächen zurück zur Story und zum Wellmade Play sich fortsetzt. Und das mit durchaus gesellschaftskritischen Inhalten.
Theresia Walsers "Kriegsberichterstatterin" - eine doppelbödige Satire auf die Angestellten der 'kulturellen Klasse' - gehört dabei zu den schwächeren Stücken. Auch bei Rebekka Kricheldorfs "Ballade vom Nadelbaumkiller" kritisierte die Jury die holzschnittartige Typisierung der Figuren, auch wenn die Autorin das Generationendrama und ihre persönliche Abrechnung mit den erzieherischen Fehlleistungen der 68er klug mit einer Don Juan-Geschichte verschneidet.
Die zweite Mülheimer Debütantin Anja Hilling, 1975 geboren und damit noch ein Jahr jünger als Rebekka Kricheldorf setzt voll auf die Möglichkeiten des Zufalls und der Perspektivwechsel und hat mit ihrem einigermaßen verrückten Mietshaus-Panoptikum "Mein junges idiotisches Herz" auch einen neuen Theaterton auf die Bühne gebracht. 'Trotzdem zu konstruiert', befand die Jury, ein Vorwurf, den auch Roland Schimmelpfennig sich gefallen lassen musste.
"Die Frau von früher", eine moderne Medea-Geschichte, die Liebe und Romantik gegen alle Vernunft behauptet, erhielt deshalb nur eine Art Sympathie-Bonus.
In Mülheim werden, und das ist ein nicht zu unterschätzendes Konflikt- und Diskussionspotential seit 30 Jahren, Stücke bewertet, aber Inszenierungen gesehen. Mit der Einladung der Wiener statt der Berliner Variante von Handkes "Untertag-blues" hatte man Autor und Publikum keinen wirklichen Gefallen getan; andererseits: das Stück lief eh' außer Konkurrenz.
Umgekehrt machte der Regisseur Andreas Kriegenburg aus Dea Lohers halbdokumentarischem "Leben auf der Praca Roosevelt" - ein Stück, das das schnelle Leben und brutale Sterben in der brasilianischen 17-Millionen Stadt Sao Paolo erzählt - eine Fabel von ungewöhnlicher poetischer Kraft. Dietmar N. Schmidt saß für das Mülheimer Auswahlgremium in der Jury:
" In der Aufführung "Das Leben auf der P.R. erleben wir die Verwandlung einer Sozialbeschreibung, einer halbdokumentarischen Authentizität in etwas ganz anderes. In einen Vorgang, der uns Himmel und Hölle, Leben und Sterben hier in Deutschland und nicht nur in Brasilien, der uns ein Erlebnis, Randexistenz zu sein in etwas verwandelt, was jedem von uns passiert, näher bringt, und dagegen gesetzt wird die Kraft, die Energie, sich im Leben behaupten zu wollen, und darüber hinaus zu entdecken so etwas wie Zärtlichkeit, wie Poesie, wie aufblühende Verhältnisse von Menschen, die sich sonst nur überkreuzen. Das Theater als Ganzheit, Text und Aufführung, hat mich so fasziniert, dass ich sagen würde, ich habe lange nichts, was so viel Schwung, soviel Leben über die Bühne vermittelt wie dieses Stück. "
Und dann war da noch Fritz Kater, dessen Alter Ego und Regisseur Armin Petras im nächsten Jahr das Gorki-Theater in Berlin übernimmt; beide stehen seit langem für theatralisches Ost-West-Grenzgängertum. "Drei von fünf Millionen" ist Romanadaption, künstlerisches Manifest, Krimi-Groteske, Vergangenheitsbewältigung und Zeitkommentar in einem und will damit vielleicht ein bisschen viel. Es verhandelt aber auch viel, und nicht nur Kunsttheorien von Bacon bis Beuys. Vor allem ist das Triptychon als Ode über Arbeitslosigkeit und Freundschaft zu lesen. Andrea Koschwitz, die Chefdramaturgin am Schauspiel Dresden:
"Viele Figuren, die Sie vielleicht nicht kennen, kenne ich gut, und ich finde es wirklich grandios, wie es Fritz Kater gelingt, diese Wirklichkeit, die so zerrissen ist, so zerklüftet, und das Verhalten dieser Menschen in Ostdeutschland in solch einer Tiefe, in der Tiefe der Verzweiflung zu beschreiben auch der zweite Teil, also für mich ist das ein Beispiel ein Beispiel für das Sein des Künstlers heute, wie ich ihn seit Heiner Müller nicht mehr gelesen habe, für mich ist das ein Horrortrip von Menschen, die keine Perspektive haben und dieses: ihr müsst etwas tun! das ist für mich eine ganz wichtige Botschaft und deshalb ein ganz knappes Votum für Fritz Kater."
"Der Bus" von Lukas Bärfuss bekam dann doch die Mehrheit, schließlich hatte Fritz Kater in Mülheim ja schon in den letzten Jahren abgeräumt. Mit ihm kommen die Freunde der Romantik und der surrealen Welten ebenso auf ihre Kosten wie die nachdenklichen Beobachter einer Gesellschaft, die sich gerade wieder anschickt, Wertefragen neu zu stellen. Antworten, das ist klar, wird es von den deutschen Theaterbühnen darauf keine geben. Aber dieser Mülheimer Jahrgang hat zumindest eines bewiesen: die Potenz der neuen Stücke, uns andere Bilder der Gesellschaft vor Augen zu führen.