Auch 2012 beteiligten sich wieder mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland am »lyrix«-Wettbewerb, der gemeinsam vom Deutschlandfunk, dem Deutschen Philologenverband und dem Deutschen Museumsbund veranstaltet und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Aus den Texten der insgesamt 60 Monatsgewinner hat die »lyrix«-Jury jetzt die Preisträger des Wettbewerbsjahres 2012 ausgewählt.
Elf Schülerinnen und ein Schüler fahren nun im Juni gemeinsam nach Berlin, um dort gemeinsam an Schreibwerkstätten, Performance-Workshops und Sprechtrainings teilzunehmen. Zum Abschluss der Berlinreise stellen die Preisträger am Samstag, 15.06.2013, um 19 Uhr ihre Texte im Rahmen einer Lesung im Kulturkino Sputnik (Hasenheide 54, Berlin) vor.
Sehr herzlich bedanken möchten wir uns bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der letzten Wettbewerbsrunde. Wir freuen uns jeden Monat über eure Gedichte und sind von euren Ideen und Umsetzungen der thematischen Vorgaben immer wieder aufs Neue beeindruckt. Macht weiter so! Das Wettbewerbsjahr 2013 ist in vollem Gange und auch im kommenden Jahr werden erneut zwölf Preisträger gemeinsam nach Berlin fahren.
Ein ganz besonderer Dank geht an dieser Stelle an die »lyrix«-Jury 2012, die sich zusammensetzt aus: der Autorin und Verlegerin Daniela Seel, dem Lyriker Norbert Hummelt, dem Hauptabteilungsleiter Kultur des Deutschlandfunks, Dr. Matthias Sträßner, dem Verleger Manfred Metzner (Verlag Das Wunderhorn), Thorsten Dönges seitens des Literarischen Colloquiums Berlin sowie Malte Blümke für den Deutschen Philologenverband.
Die lyrix-Preisträger 2012 in alphabetischer Reihenfolge:
Sommernacht
Wir tanzen auf Straßen.
Solange der Teer noch glüht
und unsere Herzen warm sind.
Im Takt der Nacht.
Angetrunkene Schmetterlinge.
Punktelos.
Denn nachts sind alle schön.
Bunt gespannte Dreiecksgirlanden
bewegen sich im Beat.
Wir feiern unser eigenes Fest für sie.
Wir brauchen kein Redbull zum fliegen,
denn unsere Gedanken verleihen mir Flügel und
die Musik lässt uns schweben,
einen Moment.
Wir tanzen uns den Schweiß aus den Füßen
und ein bisschen Blut. Aber das ist egal.
Für den Augenblick.
Denn wir wollen nicht perfekt sein.
Wir, wir haben unsere Füße um sie dreckig zu machen
und um uns Blasen zu rennen.
Wir wollen jamaikanischen Sand und Pariser Leben zwischen
den Zehen kleben haben.
Wir wollen nicht sauber sein.
Wir wollen keine Geschichte schreiben
nicht mal in sie eingehen.
Wir wollen leben.
Der Asphalt saugt das Blut auf,
weil wir die Einzigen sind die
der Sommer nicht austrocknen lies.
Wir sind nur durstig.
Und trinken uns gierig.
Milliliter für Milliliter.
Schritt für Schritt.
Atemzug für Herzschlag.
Wir drehen uns bis wir nicht mehr wissen
ob die schwarze Katze von links oder rechts kam
und tanzen bis es uns egal ist.
Die Katze und vorhin und gleich.
Bis wir nur noch das Hier kennen.
Hier und jetzt.
Denn jetzt sind wir wunderschön.
Wunderschön bis der Teer erkaltet
und das Intro einer neuen Nacht beginnt.
(Johanna Fugmann aus Memmelsdorf
Gedicht zum Monatsthema:
Die Einfachheit der Dinge
Dientzenhofer-Gymnasium Bamberg, Jahrgangsstufe: 9)
taiwanese rain
im scheitel nisten die jahre.
wo wir anfingen nach innen zu atmen,
kleine paläste am ausgang der dörfer,
tanzschritte über den winter.
wir hatten den bus verpasst - zu wenig haut
für die unruhigen körper. um jedes gespräch
streunte melancholie, dieses ferne massiv
aus der kindheit.
stelzen ins schlaflose. befremdliche gesten
als erste pension - unsre haare wuchsen zusammen.
lieder glasierten das schmale stück luft,
das zwischen uns aufstieg.
dann rückten die städte näher ans haus.
jede weitere teilung wurde zähe tektonik. kontinente
rieben uns wund.
manchmal frieren wir noch. lösen die hymnen
aus dem schwülen archiv.
- hangeln uns menschen entlang.
(Christiane Heidrich aus Vaihingen/Enz
Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
Friedrich-Abel-Gymnasium, Jahrgangsstufe: 12)
Nebel
Er umgibt dich wie ein undurchsichtiger Schleier
Hinter dem du dich verbirgst
Dich verbirgst
Und glaubst
Dich zu schützen
Deine äußere Schale glänzt wie Marmor
Kühl, glatt und perfekt
Dein innerer Kern
Völlig unberührt
Unangetastet
Wie mit einem PIN-Code geschützt
Ich will sie knacken, die Walnussschale
Und dich sehen
Wie du bist
Und nicht
Was du vorgibst zu sein
Doch du lässt mich nicht
(Lena Marie Hinrichs aus Wentorf bei Hamburg
Gedicht zum Monatsthema: Unter der Oberfläche
Hansa-Gymnasium Bergedorf, Jahrgangsstufe: 7)
GLOCKENSPIEL
Plötzlich war da dieser Moment. Du schautest mich an,
und irgendetwas war anders. Es war etwas in deinem Blick,
das mich irritierte. Ich legte mich auf die Lauer, wie ein hungriger Tiger und wartete.
Darauf. Auf dieses seltsam melancholische Sehnen in deinem Blick. Das ein Fremdkörper
war zwischen uns.
Eine Störung, die aufzufangen, weder du, noch ich, im Stande waren.
Ein Etwas, das deine Alarmglocken in rosarot und meine in giftgrün schrillen ließ.
Du nahmst einen Holzstock in die Hand. Schlugst verzweifelt einen Ton auf dem Glockenspiel an, das irgendetwas in mir gefährlich zum Flirren brachte. Chromatisch
und dissonant.
Du nahmst meine Hand, bevor ich sie wegzog.
Du flüstertest: "Sag doch irgendetwas"
Der Tiger in mir sagte nichts.
Stumm betrachtete er wie der Scherbenhaufen unserer Freundschaft in der Sonne glitzerte. Wie einzelne Scherben das Licht reflektierten und brachen. Wie Licht gebrochen über die Trümmer kroch und sich schnitt an der Schärfe der Scherben.
Gierig leckte er sich das Maul, sein Fleischatem lähmte dich.
Mit peitschendem Schwanz
schritt er
über den roten Teppich davon.
(Helena Kieß aus Dresden
Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Jahrgangsstufe: 11)
Wenn wir reden
Im Gesicht des anderen lesen
Weil die Sonne die Hülle gesprengt
Und der Regen unsere Ängste weggeschwemmt hat
Dann reicht alles nicht mehr aus also
Stürzen sich die Worte todesmutig
Von unseren Lippen
Wir lassen ihnen Flügel wachsen
Lachend, voller Zuversicht
Sie schmiegen sich ins Ohr um sich
Einzunisten und dann in
Kopf und Seele Wurzeln zu schlagen
Wir haben Post bekommen
Einen Teil vom Gegenüber erhalten, unverpackt
Betreff: Gedanken
(Lena Kleist aus Wermelskirchen
Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
Städtisches Gymnasium Wermelskirchen, Jahrgangsstufe: 13)
Wachstumsschmerz
Wir standen da
blaue Lippen, blauer Atem, blauer Kopf
in grauem Regen über Häusern im Winterschlaf
"sie leuchten für uns", hab ich gedacht
und vergaß, wie klein wir doch sind.
Auf fremden Schultern hatte mir die Welt gehört
in deinen Armen zumindest so, wie ich sie mir wünschte
dachte ich
mit der steinschweren Krone aus Worten auf dem Kopf
und ich schwor
Größe zu bewahren.
Heute stehe ich da
graue Lippen, grauer Atem, grauer Kopf
unter blauem Himmel und grinsender Sonne
"sie lacht über uns", denke ich
und wünschte, ich wäre kleiner.
(Ines Konnerth aus Schwäbisch Gmünd
Gedicht zum Monatsthema: Vom Sockel gestürzt
Landesgymnasium Schwäbisch Gmünd, Jahrgangsstufe: 12)
Fallbeispiel.
Wir brauchen keine Fantasie. Uns
fällt
nichts mehr ein, aber
Facebook weiß alles, Google vergisst nichts.
Wir wollen alles, tun nichts.
Stellen die Nachrichten aus,
verlieren den Verstand, lachen nervös.
Eheringe. Schlagringe. Augenringe.
Vorbilder.
Ein bisschen Gandhi bei den Lieblingszitaten,
ein bisschen Ackermann im Herzen,
Handabdrücke im Gesicht, Löcher in Erinnerungen,
Fußabdrücke in Hollywood, Löcher über Australien,
CO2-Abdrücke im Kosmos, Löcher in der Kleidung
der Heimatlosen und Kreuzberg ist überall,
im Himalaya gibt es Massentourismus,
Pisa kippt, Griechenland brennt,
ich bin achtzehn, weißt du, ich träume vom Frieden.
Hab Pfefferspray in der Hand,
Salz in meinen Wunden,
Süßstoff statt Zucker,
denn verdammt, wir müssen doch wenigstens
schön
zu Grunde gehen.
Nehmen uns den Boden unter den
Füßen, haben die Hände in den Sternen,
den Kopf in den Wolken,
wollen alles, können nichts.
Ein Schritt zurück, sechzigtausend vor.
Bis wir merken, dass da längst ein Abgrund
war und wenn wir fallen, fallen wir still, beim Aufprall ist es zu spät
und wenn wir stürzen, taumeln, fallen
(Bemerkungen) wie Bomben
fallen wir zum Opfer, tappen wir in Fallen
fallen aus, einfältig, verloren - falloren.
Eine letzte Statusmeldung
(bloß nicht auffallen)
Aber
vielleicht reichen
140 Zeichen
nicht aus,
um die Welt zu retten
(Verena Kramer aus Münster
Gedicht zum Monatsthema:
Der Irrsinn dieser Welt
Gymnasium St. Mauritz, Jahrgangsstufe: 12)
Ohne Lichtblick im Meer
Mit dir verbinde ich alles,
die Luft zum Atmen,
das Wasser zum Spüren,
den Himmel zum Sehen,
die Kälte zum Fühlen.
Versinke allein in der Kälte,
du schnürst mir die Luft ab,
ich will schreien,
du hinderst mich dran.
Ganz langsam und doch voller Wucht,
lässt du mich stranden in dieser Nacht,
mit blauen Fingern und kaltem Gesicht,
wurde ich gefunden, allein in der Bucht.
(Josephin Küttner aus Berlin
Gedicht zum Monatsthema: Blau
Immanuel-Kant-Gymnasium, Jahrgangsstufe: 8)
o.T.
Rauschend
Knisternd
Wie von Zauberhand
Wirft das Meer eine Welle nach der anderen
Über den Kies
Mit ihm kommen
Wasserschätze
Salzig
Verkrustet
Und zugleich wunderschön und unergründlich
Wie aus dem Nichts
Flüsternd
Streichelt der Wind durch den Sand
Durch das Gras
Treibt körnigen Zucker über Gegenden
Ein Feuerball am Horizont
Unbeschreiblich und
Gefährlich schön
Beginnt das
Blaue gläserne Universum
Zu brennen
(Lena Leix aus Augsburg
Gedicht zum Monatsthema: Blau
A.B. von Stettensches Institut, Jahrgangsstufe: 9)
wir
zwischen uns
fliegt flüstern durch die luft
leise
es lockt der liebe blütenduft
leise
wo der leben träume sind
leise
blätter rascheln rot im wind
leise
der herbst trifft ein
leise
du sagst wir können sein
aber nur leise
(Nina Rastinger aus Gmunden
Gedicht zum Monatsthema: Stille Post
BG Gmunden, Jahrgangsstufe: 11)
schnee im september
herzen blinkten und
neon
sie trug ihr gefärbtes
lächeln, synthetikfasern
in hohen schuhen
zwischen hauseingängen und
mittag
aus den Schaufenstern blickten
puppen an ihr
vorbei
(Ansgar Riedißer aus Renningen
Gedicht zum Monatsthema: natürlich künstlich
Gymnasium Renningen, Jahrgangsstufe: 8)
Im Sonnenschein
Wir standen bis zu den knien in
laubmeeren in wortflussschlachten
stundenlang, haben uns inseln
aus lächelndem schweigen gebaut
um uns sprangen lachende fische
um uns trieben ruhende boote
Jetzt versuchen wir einzelne blätter
mit löchrigen netzen von der ober-
fläche zu fischen und tauchen
nach den letzten tropfen meer
ich blicke dir ins gesicht und sehe
nur zwei mandelförmige münzen
sie schimmern tief auf dem grund
eines wunschbrunnens
(Benita Salomon aus Schriesheim
Gedicht zum Monatsthema: Verwandlungen
Kurpfalzgymnasium Schriesheim, Jahrgangsstufe: 12)
Elf Schülerinnen und ein Schüler fahren nun im Juni gemeinsam nach Berlin, um dort gemeinsam an Schreibwerkstätten, Performance-Workshops und Sprechtrainings teilzunehmen. Zum Abschluss der Berlinreise stellen die Preisträger am Samstag, 15.06.2013, um 19 Uhr ihre Texte im Rahmen einer Lesung im Kulturkino Sputnik (Hasenheide 54, Berlin) vor.
Sehr herzlich bedanken möchten wir uns bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der letzten Wettbewerbsrunde. Wir freuen uns jeden Monat über eure Gedichte und sind von euren Ideen und Umsetzungen der thematischen Vorgaben immer wieder aufs Neue beeindruckt. Macht weiter so! Das Wettbewerbsjahr 2013 ist in vollem Gange und auch im kommenden Jahr werden erneut zwölf Preisträger gemeinsam nach Berlin fahren.
Ein ganz besonderer Dank geht an dieser Stelle an die »lyrix«-Jury 2012, die sich zusammensetzt aus: der Autorin und Verlegerin Daniela Seel, dem Lyriker Norbert Hummelt, dem Hauptabteilungsleiter Kultur des Deutschlandfunks, Dr. Matthias Sträßner, dem Verleger Manfred Metzner (Verlag Das Wunderhorn), Thorsten Dönges seitens des Literarischen Colloquiums Berlin sowie Malte Blümke für den Deutschen Philologenverband.
Die lyrix-Preisträger 2012 in alphabetischer Reihenfolge:
Sommernacht
Wir tanzen auf Straßen.
Solange der Teer noch glüht
und unsere Herzen warm sind.
Im Takt der Nacht.
Angetrunkene Schmetterlinge.
Punktelos.
Denn nachts sind alle schön.
Bunt gespannte Dreiecksgirlanden
bewegen sich im Beat.
Wir feiern unser eigenes Fest für sie.
Wir brauchen kein Redbull zum fliegen,
denn unsere Gedanken verleihen mir Flügel und
die Musik lässt uns schweben,
einen Moment.
Wir tanzen uns den Schweiß aus den Füßen
und ein bisschen Blut. Aber das ist egal.
Für den Augenblick.
Denn wir wollen nicht perfekt sein.
Wir, wir haben unsere Füße um sie dreckig zu machen
und um uns Blasen zu rennen.
Wir wollen jamaikanischen Sand und Pariser Leben zwischen
den Zehen kleben haben.
Wir wollen nicht sauber sein.
Wir wollen keine Geschichte schreiben
nicht mal in sie eingehen.
Wir wollen leben.
Der Asphalt saugt das Blut auf,
weil wir die Einzigen sind die
der Sommer nicht austrocknen lies.
Wir sind nur durstig.
Und trinken uns gierig.
Milliliter für Milliliter.
Schritt für Schritt.
Atemzug für Herzschlag.
Wir drehen uns bis wir nicht mehr wissen
ob die schwarze Katze von links oder rechts kam
und tanzen bis es uns egal ist.
Die Katze und vorhin und gleich.
Bis wir nur noch das Hier kennen.
Hier und jetzt.
Denn jetzt sind wir wunderschön.
Wunderschön bis der Teer erkaltet
und das Intro einer neuen Nacht beginnt.
(Johanna Fugmann aus Memmelsdorf
Gedicht zum Monatsthema:
Die Einfachheit der Dinge
Dientzenhofer-Gymnasium Bamberg, Jahrgangsstufe: 9)
taiwanese rain
im scheitel nisten die jahre.
wo wir anfingen nach innen zu atmen,
kleine paläste am ausgang der dörfer,
tanzschritte über den winter.
wir hatten den bus verpasst - zu wenig haut
für die unruhigen körper. um jedes gespräch
streunte melancholie, dieses ferne massiv
aus der kindheit.
stelzen ins schlaflose. befremdliche gesten
als erste pension - unsre haare wuchsen zusammen.
lieder glasierten das schmale stück luft,
das zwischen uns aufstieg.
dann rückten die städte näher ans haus.
jede weitere teilung wurde zähe tektonik. kontinente
rieben uns wund.
manchmal frieren wir noch. lösen die hymnen
aus dem schwülen archiv.
- hangeln uns menschen entlang.
(Christiane Heidrich aus Vaihingen/Enz
Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
Friedrich-Abel-Gymnasium, Jahrgangsstufe: 12)
Nebel
Er umgibt dich wie ein undurchsichtiger Schleier
Hinter dem du dich verbirgst
Dich verbirgst
Und glaubst
Dich zu schützen
Deine äußere Schale glänzt wie Marmor
Kühl, glatt und perfekt
Dein innerer Kern
Völlig unberührt
Unangetastet
Wie mit einem PIN-Code geschützt
Ich will sie knacken, die Walnussschale
Und dich sehen
Wie du bist
Und nicht
Was du vorgibst zu sein
Doch du lässt mich nicht
(Lena Marie Hinrichs aus Wentorf bei Hamburg
Gedicht zum Monatsthema: Unter der Oberfläche
Hansa-Gymnasium Bergedorf, Jahrgangsstufe: 7)
GLOCKENSPIEL
Plötzlich war da dieser Moment. Du schautest mich an,
und irgendetwas war anders. Es war etwas in deinem Blick,
das mich irritierte. Ich legte mich auf die Lauer, wie ein hungriger Tiger und wartete.
Darauf. Auf dieses seltsam melancholische Sehnen in deinem Blick. Das ein Fremdkörper
war zwischen uns.
Eine Störung, die aufzufangen, weder du, noch ich, im Stande waren.
Ein Etwas, das deine Alarmglocken in rosarot und meine in giftgrün schrillen ließ.
Du nahmst einen Holzstock in die Hand. Schlugst verzweifelt einen Ton auf dem Glockenspiel an, das irgendetwas in mir gefährlich zum Flirren brachte. Chromatisch
und dissonant.
Du nahmst meine Hand, bevor ich sie wegzog.
Du flüstertest: "Sag doch irgendetwas"
Der Tiger in mir sagte nichts.
Stumm betrachtete er wie der Scherbenhaufen unserer Freundschaft in der Sonne glitzerte. Wie einzelne Scherben das Licht reflektierten und brachen. Wie Licht gebrochen über die Trümmer kroch und sich schnitt an der Schärfe der Scherben.
Gierig leckte er sich das Maul, sein Fleischatem lähmte dich.
Mit peitschendem Schwanz
schritt er
über den roten Teppich davon.
(Helena Kieß aus Dresden
Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Jahrgangsstufe: 11)
Wenn wir reden
Im Gesicht des anderen lesen
Weil die Sonne die Hülle gesprengt
Und der Regen unsere Ängste weggeschwemmt hat
Dann reicht alles nicht mehr aus also
Stürzen sich die Worte todesmutig
Von unseren Lippen
Wir lassen ihnen Flügel wachsen
Lachend, voller Zuversicht
Sie schmiegen sich ins Ohr um sich
Einzunisten und dann in
Kopf und Seele Wurzeln zu schlagen
Wir haben Post bekommen
Einen Teil vom Gegenüber erhalten, unverpackt
Betreff: Gedanken
(Lena Kleist aus Wermelskirchen
Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
Städtisches Gymnasium Wermelskirchen, Jahrgangsstufe: 13)
Wachstumsschmerz
Wir standen da
blaue Lippen, blauer Atem, blauer Kopf
in grauem Regen über Häusern im Winterschlaf
"sie leuchten für uns", hab ich gedacht
und vergaß, wie klein wir doch sind.
Auf fremden Schultern hatte mir die Welt gehört
in deinen Armen zumindest so, wie ich sie mir wünschte
dachte ich
mit der steinschweren Krone aus Worten auf dem Kopf
und ich schwor
Größe zu bewahren.
Heute stehe ich da
graue Lippen, grauer Atem, grauer Kopf
unter blauem Himmel und grinsender Sonne
"sie lacht über uns", denke ich
und wünschte, ich wäre kleiner.
(Ines Konnerth aus Schwäbisch Gmünd
Gedicht zum Monatsthema: Vom Sockel gestürzt
Landesgymnasium Schwäbisch Gmünd, Jahrgangsstufe: 12)
Fallbeispiel.
Wir brauchen keine Fantasie. Uns
fällt
nichts mehr ein, aber
Facebook weiß alles, Google vergisst nichts.
Wir wollen alles, tun nichts.
Stellen die Nachrichten aus,
verlieren den Verstand, lachen nervös.
Eheringe. Schlagringe. Augenringe.
Vorbilder.
Ein bisschen Gandhi bei den Lieblingszitaten,
ein bisschen Ackermann im Herzen,
Handabdrücke im Gesicht, Löcher in Erinnerungen,
Fußabdrücke in Hollywood, Löcher über Australien,
CO2-Abdrücke im Kosmos, Löcher in der Kleidung
der Heimatlosen und Kreuzberg ist überall,
im Himalaya gibt es Massentourismus,
Pisa kippt, Griechenland brennt,
ich bin achtzehn, weißt du, ich träume vom Frieden.
Hab Pfefferspray in der Hand,
Salz in meinen Wunden,
Süßstoff statt Zucker,
denn verdammt, wir müssen doch wenigstens
schön
zu Grunde gehen.
Nehmen uns den Boden unter den
Füßen, haben die Hände in den Sternen,
den Kopf in den Wolken,
wollen alles, können nichts.
Ein Schritt zurück, sechzigtausend vor.
Bis wir merken, dass da längst ein Abgrund
war und wenn wir fallen, fallen wir still, beim Aufprall ist es zu spät
und wenn wir stürzen, taumeln, fallen
(Bemerkungen) wie Bomben
fallen wir zum Opfer, tappen wir in Fallen
fallen aus, einfältig, verloren - falloren.
Eine letzte Statusmeldung
(bloß nicht auffallen)
Aber
vielleicht reichen
140 Zeichen
nicht aus,
um die Welt zu retten
(Verena Kramer aus Münster
Gedicht zum Monatsthema:
Der Irrsinn dieser Welt
Gymnasium St. Mauritz, Jahrgangsstufe: 12)
Ohne Lichtblick im Meer
Mit dir verbinde ich alles,
die Luft zum Atmen,
das Wasser zum Spüren,
den Himmel zum Sehen,
die Kälte zum Fühlen.
Versinke allein in der Kälte,
du schnürst mir die Luft ab,
ich will schreien,
du hinderst mich dran.
Ganz langsam und doch voller Wucht,
lässt du mich stranden in dieser Nacht,
mit blauen Fingern und kaltem Gesicht,
wurde ich gefunden, allein in der Bucht.
(Josephin Küttner aus Berlin
Gedicht zum Monatsthema: Blau
Immanuel-Kant-Gymnasium, Jahrgangsstufe: 8)
o.T.
Rauschend
Knisternd
Wie von Zauberhand
Wirft das Meer eine Welle nach der anderen
Über den Kies
Mit ihm kommen
Wasserschätze
Salzig
Verkrustet
Und zugleich wunderschön und unergründlich
Wie aus dem Nichts
Flüsternd
Streichelt der Wind durch den Sand
Durch das Gras
Treibt körnigen Zucker über Gegenden
Ein Feuerball am Horizont
Unbeschreiblich und
Gefährlich schön
Beginnt das
Blaue gläserne Universum
Zu brennen
(Lena Leix aus Augsburg
Gedicht zum Monatsthema: Blau
A.B. von Stettensches Institut, Jahrgangsstufe: 9)
wir
zwischen uns
fliegt flüstern durch die luft
leise
es lockt der liebe blütenduft
leise
wo der leben träume sind
leise
blätter rascheln rot im wind
leise
der herbst trifft ein
leise
du sagst wir können sein
aber nur leise
(Nina Rastinger aus Gmunden
Gedicht zum Monatsthema: Stille Post
BG Gmunden, Jahrgangsstufe: 11)
schnee im september
herzen blinkten und
neon
sie trug ihr gefärbtes
lächeln, synthetikfasern
in hohen schuhen
zwischen hauseingängen und
mittag
aus den Schaufenstern blickten
puppen an ihr
vorbei
(Ansgar Riedißer aus Renningen
Gedicht zum Monatsthema: natürlich künstlich
Gymnasium Renningen, Jahrgangsstufe: 8)
Im Sonnenschein
Wir standen bis zu den knien in
laubmeeren in wortflussschlachten
stundenlang, haben uns inseln
aus lächelndem schweigen gebaut
um uns sprangen lachende fische
um uns trieben ruhende boote
Jetzt versuchen wir einzelne blätter
mit löchrigen netzen von der ober-
fläche zu fischen und tauchen
nach den letzten tropfen meer
ich blicke dir ins gesicht und sehe
nur zwei mandelförmige münzen
sie schimmern tief auf dem grund
eines wunschbrunnens
(Benita Salomon aus Schriesheim
Gedicht zum Monatsthema: Verwandlungen
Kurpfalzgymnasium Schriesheim, Jahrgangsstufe: 12)