Samstag, 20. April 2024


And the winner is... Die Preisträger 2012

Zum fünften Mal in Folge zeichnet der bundesweite Schülerwettbewerb »lyrix« zwölf vielversprechende Nachwuchsdichter aus. Die Preisträger nehmen im Juni gemeinsam an einer Schreibwerkstatt im Literarischen Colloquium Berlin teil.

30.05.2013
    Auch 2012 beteiligten sich wieder mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland am »lyrix«-Wettbewerb, der gemeinsam vom Deutschlandfunk, dem Deutschen Philologenverband und dem Deutschen Museumsbund veranstaltet und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Aus den Texten der insgesamt 60 Monatsgewinner hat die »lyrix«-Jury jetzt die Preisträger des Wettbewerbsjahres 2012 ausgewählt.

    Elf Schülerinnen und ein Schüler fahren nun im Juni gemeinsam nach Berlin, um dort gemeinsam an Schreibwerkstätten, Performance-Workshops und Sprechtrainings teilzunehmen. Zum Abschluss der Berlinreise stellen die Preisträger am Samstag, 15.06.2013, um 19 Uhr ihre Texte im Rahmen einer Lesung im Kulturkino Sputnik (Hasenheide 54, Berlin) vor.

    Sehr herzlich bedanken möchten wir uns bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der letzten Wettbewerbsrunde. Wir freuen uns jeden Monat über eure Gedichte und sind von euren Ideen und Umsetzungen der thematischen Vorgaben immer wieder aufs Neue beeindruckt. Macht weiter so! Das Wettbewerbsjahr 2013 ist in vollem Gange und auch im kommenden Jahr werden erneut zwölf Preisträger gemeinsam nach Berlin fahren.

    Ein ganz besonderer Dank geht an dieser Stelle an die »lyrix«-Jury 2012, die sich zusammensetzt aus: der Autorin und Verlegerin Daniela Seel, dem Lyriker Norbert Hummelt, dem Hauptabteilungsleiter Kultur des Deutschlandfunks, Dr. Matthias Sträßner, dem Verleger Manfred Metzner (Verlag Das Wunderhorn), Thorsten Dönges seitens des Literarischen Colloquiums Berlin sowie Malte Blümke für den Deutschen Philologenverband.


    Die lyrix-Preisträger 2012 in alphabetischer Reihenfolge:


    Sommernacht

    Wir tanzen auf Straßen.
    Solange der Teer noch glüht
    und unsere Herzen warm sind.
    Im Takt der Nacht.
    Angetrunkene Schmetterlinge.
    Punktelos.
    Denn nachts sind alle schön.
    Bunt gespannte Dreiecksgirlanden
    bewegen sich im Beat.
    Wir feiern unser eigenes Fest für sie.
    Wir brauchen kein Redbull zum fliegen,
    denn unsere Gedanken verleihen mir Flügel und
    die Musik lässt uns schweben,
    einen Moment.
    Wir tanzen uns den Schweiß aus den Füßen
    und ein bisschen Blut. Aber das ist egal.
    Für den Augenblick.
    Denn wir wollen nicht perfekt sein.
    Wir, wir haben unsere Füße um sie dreckig zu machen
    und um uns Blasen zu rennen.
    Wir wollen jamaikanischen Sand und Pariser Leben zwischen
    den Zehen kleben haben.
    Wir wollen nicht sauber sein.
    Wir wollen keine Geschichte schreiben
    nicht mal in sie eingehen.
    Wir wollen leben.
    Der Asphalt saugt das Blut auf,
    weil wir die Einzigen sind die
    der Sommer nicht austrocknen lies.
    Wir sind nur durstig.
    Und trinken uns gierig.
    Milliliter für Milliliter.
    Schritt für Schritt.
    Atemzug für Herzschlag.
    Wir drehen uns bis wir nicht mehr wissen
    ob die schwarze Katze von links oder rechts kam
    und tanzen bis es uns egal ist.
    Die Katze und vorhin und gleich.
    Bis wir nur noch das Hier kennen.
    Hier und jetzt.
    Denn jetzt sind wir wunderschön.
    Wunderschön bis der Teer erkaltet
    und das Intro einer neuen Nacht beginnt.

    (Johanna Fugmann aus Memmelsdorf
    Gedicht zum Monatsthema:
    Die Einfachheit der Dinge
    Dientzenhofer-Gymnasium Bamberg, Jahrgangsstufe: 9)




    taiwanese rain

    im scheitel nisten die jahre.

    wo wir anfingen nach innen zu atmen,
    kleine paläste am ausgang der dörfer,
    tanzschritte über den winter.

    wir hatten den bus verpasst - zu wenig haut
    für die unruhigen körper. um jedes gespräch
    streunte melancholie, dieses ferne massiv
    aus der kindheit.

    stelzen ins schlaflose. befremdliche gesten
    als erste pension - unsre haare wuchsen zusammen.

    lieder glasierten das schmale stück luft,
    das zwischen uns aufstieg.

    dann rückten die städte näher ans haus.
    jede weitere teilung wurde zähe tektonik. kontinente
    rieben uns wund.

    manchmal frieren wir noch. lösen die hymnen
    aus dem schwülen archiv.

    - hangeln uns menschen entlang.

    (Christiane Heidrich aus Vaihingen/Enz
    Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
    Friedrich-Abel-Gymnasium, Jahrgangsstufe: 12)




    Nebel

    Er umgibt dich wie ein undurchsichtiger Schleier
    Hinter dem du dich verbirgst
    Dich verbirgst
    Und glaubst
    Dich zu schützen

    Deine äußere Schale glänzt wie Marmor
    Kühl, glatt und perfekt

    Dein innerer Kern
    Völlig unberührt
    Unangetastet
    Wie mit einem PIN-Code geschützt

    Ich will sie knacken, die Walnussschale
    Und dich sehen
    Wie du bist
    Und nicht
    Was du vorgibst zu sein

    Doch du lässt mich nicht

    (Lena Marie Hinrichs aus Wentorf bei Hamburg
    Gedicht zum Monatsthema: Unter der Oberfläche
    Hansa-Gymnasium Bergedorf, Jahrgangsstufe: 7
    )




    GLOCKENSPIEL

    Plötzlich war da dieser Moment. Du schautest mich an,
    und irgendetwas war anders. Es war etwas in deinem Blick,
    das mich irritierte. Ich legte mich auf die Lauer, wie ein hungriger Tiger und wartete.
    Darauf. Auf dieses seltsam melancholische Sehnen in deinem Blick. Das ein Fremdkörper
    war zwischen uns.
    Eine Störung, die aufzufangen, weder du, noch ich, im Stande waren.
    Ein Etwas, das deine Alarmglocken in rosarot und meine in giftgrün schrillen ließ.
    Du nahmst einen Holzstock in die Hand. Schlugst verzweifelt einen Ton auf dem Glockenspiel an, das irgendetwas in mir gefährlich zum Flirren brachte. Chromatisch
    und dissonant.
    Du nahmst meine Hand, bevor ich sie wegzog.
    Du flüstertest: "Sag doch irgendetwas"
    Der Tiger in mir sagte nichts.
    Stumm betrachtete er wie der Scherbenhaufen unserer Freundschaft in der Sonne glitzerte. Wie einzelne Scherben das Licht reflektierten und brachen. Wie Licht gebrochen über die Trümmer kroch und sich schnitt an der Schärfe der Scherben.
    Gierig leckte er sich das Maul, sein Fleischatem lähmte dich.
    Mit peitschendem Schwanz
    schritt er
    über den roten Teppich davon.

    (Helena Kieß aus Dresden
    Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
    Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Jahrgangsstufe: 11)




    Wenn wir reden

    Im Gesicht des anderen lesen
    Weil die Sonne die Hülle gesprengt
    Und der Regen unsere Ängste weggeschwemmt hat
    Dann reicht alles nicht mehr aus also
    Stürzen sich die Worte todesmutig
    Von unseren Lippen
    Wir lassen ihnen Flügel wachsen
    Lachend, voller Zuversicht
    Sie schmiegen sich ins Ohr um sich
    Einzunisten und dann in
    Kopf und Seele Wurzeln zu schlagen
    Wir haben Post bekommen
    Einen Teil vom Gegenüber erhalten, unverpackt
    Betreff: Gedanken

    (Lena Kleist aus Wermelskirchen
    Gedicht zum Monatsthema: Freundschaft
    Städtisches Gymnasium Wermelskirchen, Jahrgangsstufe: 13)




    Wachstumsschmerz

    Wir standen da
    blaue Lippen, blauer Atem, blauer Kopf
    in grauem Regen über Häusern im Winterschlaf
    "sie leuchten für uns", hab ich gedacht
    und vergaß, wie klein wir doch sind.

    Auf fremden Schultern hatte mir die Welt gehört
    in deinen Armen zumindest so, wie ich sie mir wünschte
    dachte ich
    mit der steinschweren Krone aus Worten auf dem Kopf
    und ich schwor
    Größe zu bewahren.

    Heute stehe ich da
    graue Lippen, grauer Atem, grauer Kopf
    unter blauem Himmel und grinsender Sonne
    "sie lacht über uns", denke ich
    und wünschte, ich wäre kleiner.

    (Ines Konnerth aus Schwäbisch Gmünd
    Gedicht zum Monatsthema: Vom Sockel gestürzt
    Landesgymnasium Schwäbisch Gmünd, Jahrgangsstufe: 12)




    Fallbeispiel.

    Wir brauchen keine Fantasie. Uns
    fällt
    nichts mehr ein, aber
    Facebook weiß alles, Google vergisst nichts.
    Wir wollen alles, tun nichts.
    Stellen die Nachrichten aus,
    verlieren den Verstand, lachen nervös.
    Eheringe. Schlagringe. Augenringe.
    Vorbilder.
    Ein bisschen Gandhi bei den Lieblingszitaten,
    ein bisschen Ackermann im Herzen,
    Handabdrücke im Gesicht, Löcher in Erinnerungen,
    Fußabdrücke in Hollywood, Löcher über Australien,
    CO2-Abdrücke im Kosmos, Löcher in der Kleidung
    der Heimatlosen und Kreuzberg ist überall,
    im Himalaya gibt es Massentourismus,
    Pisa kippt, Griechenland brennt,
    ich bin achtzehn, weißt du, ich träume vom Frieden.
    Hab Pfefferspray in der Hand,
    Salz in meinen Wunden,
    Süßstoff statt Zucker,
    denn verdammt, wir müssen doch wenigstens
    schön
    zu Grunde gehen.

    Nehmen uns den Boden unter den
    Füßen, haben die Hände in den Sternen,
    den Kopf in den Wolken,
    wollen alles, können nichts.

    Ein Schritt zurück, sechzigtausend vor.
    Bis wir merken, dass da längst ein Abgrund
    war und wenn wir fallen, fallen wir still, beim Aufprall ist es zu spät
    und wenn wir stürzen, taumeln, fallen
    (Bemerkungen) wie Bomben
    fallen wir zum Opfer, tappen wir in Fallen
    fallen aus, einfältig, verloren - falloren.

    Eine letzte Statusmeldung
    (bloß nicht auffallen)
    Aber
    vielleicht reichen
    140 Zeichen
    nicht aus,
    um die Welt zu retten

    (Verena Kramer aus Münster
    Gedicht zum Monatsthema:
    Der Irrsinn dieser Welt
    Gymnasium St. Mauritz, Jahrgangsstufe: 12)




    Ohne Lichtblick im Meer

    Mit dir verbinde ich alles,
    die Luft zum Atmen,
    das Wasser zum Spüren,
    den Himmel zum Sehen,
    die Kälte zum Fühlen.
    Versinke allein in der Kälte,
    du schnürst mir die Luft ab,
    ich will schreien,
    du hinderst mich dran.
    Ganz langsam und doch voller Wucht,
    lässt du mich stranden in dieser Nacht,
    mit blauen Fingern und kaltem Gesicht,
    wurde ich gefunden, allein in der Bucht.

    (Josephin Küttner aus Berlin
    Gedicht zum Monatsthema: Blau
    Immanuel-Kant-Gymnasium, Jahrgangsstufe: 8)




    o.T.

    Rauschend
    Knisternd
    Wie von Zauberhand
    Wirft das Meer eine Welle nach der anderen
    Über den Kies
    Mit ihm kommen
    Wasserschätze
    Salzig
    Verkrustet
    Und zugleich wunderschön und unergründlich
    Wie aus dem Nichts
    Flüsternd
    Streichelt der Wind durch den Sand
    Durch das Gras
    Treibt körnigen Zucker über Gegenden
    Ein Feuerball am Horizont
    Unbeschreiblich und
    Gefährlich schön
    Beginnt das
    Blaue gläserne Universum
    Zu brennen

    (Lena Leix aus Augsburg
    Gedicht zum Monatsthema: Blau
    A.B. von Stettensches Institut, Jahrgangsstufe: 9)




    wir

    zwischen uns
    fliegt flüstern durch die luft
    leise
    es lockt der liebe blütenduft
    leise
    wo der leben träume sind
    leise
    blätter rascheln rot im wind
    leise
    der herbst trifft ein
    leise
    du sagst wir können sein
    aber nur leise

    (Nina Rastinger aus Gmunden
    Gedicht zum Monatsthema: Stille Post
    BG Gmunden, Jahrgangsstufe: 11)




    schnee im september

    herzen blinkten und
    neon

    sie trug ihr gefärbtes
    lächeln, synthetikfasern

    in hohen schuhen
    zwischen hauseingängen und

    mittag
    aus den Schaufenstern blickten

    puppen an ihr
    vorbei

    (Ansgar Riedißer aus Renningen
    Gedicht zum Monatsthema: natürlich künstlich
    Gymnasium Renningen, Jahrgangsstufe: 8)




    Im Sonnenschein

    Wir standen bis zu den knien in
    laubmeeren in wortflussschlachten
    stundenlang, haben uns inseln
    aus lächelndem schweigen gebaut
    um uns sprangen lachende fische
    um uns trieben ruhende boote

    Jetzt versuchen wir einzelne blätter
    mit löchrigen netzen von der ober-
    fläche zu fischen und tauchen
    nach den letzten tropfen meer

    ich blicke dir ins gesicht und sehe
    nur zwei mandelförmige münzen
    sie schimmern tief auf dem grund
    eines wunschbrunnens

    (Benita Salomon aus Schriesheim
    Gedicht zum Monatsthema: Verwandlungen
    Kurpfalzgymnasium Schriesheim, Jahrgangsstufe: 12)