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Anderer Leute Dreck

Man hat mit dem Besuch gerechnet. Vielmehr: Einen ersten Termin zur Einweisung in die häuslichen Gepflogenheiten vereinbart. Jeder hat seine Macken, kein Kühlschrank ist gleich sortiert, und mancher mag Aprilfrische aus dem Wäscheschrank ebensowenig wie essigsauren Dunst auf dem WC. Es klingelt - und man ist verdutzt. Vor der Tür steht eine attraktive Mittdreißigerin, der man unbesehen eine Lebensversicherung abkaufen würde, streckt einem die Hand entgegen und stellt sich vor: "Gestatten, Dr. Louise Rafkin - ich bin Ihre neue Putzfrau." Natürlich, der Witz mit dem Taxifahrer, der auf dem Weg zum Flughafen mal eben eine Ergänzung zur Relativitätstheorie vorträgt, ist alt und entbehrt jeder Grundlage. Bestenfalls sind Taxifahrer Experten für altenglische Versepik oder die Dehnbarkeit des Bach´schen Fugenmaterials. Aber Putzfrau? Das wäre das Ende des akademischen Traumes. Wozu noch Universitäten unterhalten, wenn die Damen und Herren Doctores anschließend ihre Position in der sozialen Rangordnung um drei Stufen korrigierten? Nach unten, versteht sich.

Florian Felix Weyh |
    "Halt!" würde Louise Rafkin scharf einwenden: Wer freiwillig putzt, putzt nicht als Sklave. "Anderer Leute Dreck" - so der Buchtitel - beschämt den Akademiker nämlich weit weniger als eine illegale mexikanische Einwanderin, die keine Alternative kennt. Wer studiert hat, könnte den unterqualifizierten Job zumindest theoretisch von heute auf morgen wieder beenden. Ohnehin eine Frage des Pragmatismus. Eines Tages stellte die Literaturwissenschaftlerin Rafkin fest, daß ihr Dozentenjob an der Universität mit einem Stundensatz vergütet wurde, der unter dem ihrer Putzfrau lag. Amerikanern wird marktwirtschaftliches Denken in die Wiege gelegt, also folgerte sie bereitwillig: a) Die Putzfrau zu entlassen, verminderte ihre Verluste. b) Den Lehrauftrag abzugeben und selber putzen zu gehen, erbrachte eine höhere Rendite pro Zeiteinheit. Nun ließe sich dagegen einwenden, daß selbst der langweiligste Anfängerkurs an der Universität mehr Spaß macht als fremde Badezimmerkacheln zu schrubben, doch das ignorierte den ideellen Mehrwert der Reinmachtätigkeit. Schon Don DeLilo hat in seinem Epos "Unterwelt" festgestellt: Am Müll erkennt man das wahre Antlitz einer Gesellschaft. Der Dreck ist die Visitenkarte der Hausbewohner. Louise Rafkin putzt nicht. Louise Rafkin sichert Spuren.

    Davon gibt es mehr als genug. Die Gemeinschaft der Putzenden, stellt die reflektierte Reinlichkeitsexpertin fest, ist mit einer Überfülle an Informationen konfrontiert, und eine Spezialistin für "Faulis" - Leichen im nicht mehr ganz appetitlichen Zustand - fügt an: "Es ist ein respektloser Beruf." Wahrscheinlich macht sich niemand so recht klar, welche Rückschlüsse seine Putzfrau aus den Indizien entlang ihres Weges ziehen kann, und was sie über die Bewohner eines Hauses weiß: schlichtweg alles. Da Putzen keiner großen geistigen Anstrengung bedarf, beginnt der Kopf, die Batterie an leeren Flaschen, die vertrockneten Kondome unterm Bett und die verschiedenfarbigen Haare am Badewannenrand zu einem komplexen Bild zusammenzusetzen. Man kann ziemlich sicher sein, daß es dem Auftraggeber nicht schmeichelt. Wo Luise Rafkin am Werk ist, wird so der simple Putzvorgang zu einem semiotischen Abenteuer. Weh dem, der dieser Wölfin im Schafspelz die Tür geöffnet hat - nun kann er schwarz auf weiß lesen, was er nicht mal seinen engsten Freunden preisgeben würde.

    Das zumindest wollen wir der Autorin glauben, denn bis zuletzt bleibt der vage Verdacht bestehen, daß ihre essayistische Reportage auf einer literarischen Konstruktion beruht - am Schreibtisch ausgedacht, in den Semesterferien mit Interviews untermauert. Doch hier entlarvt sich der Rezensent als Unkundiger: Er putzt nicht. Er hat auch keine Putzfrau. Er lebt einfach in seinem Augiasstall vor sich hin und fühlt sich dabei pudel-, um nicht zu sagen: sauwohl. Daher kann er schwer abschätzen, ob die von der Autorin geschilderten Fleckentfernungstechniken auf Empirie beruhen. Man müßte das im Einzelfall nachprüfen, doch das ist nicht Aufgabe der Literaturkritik, sondern der "Stiftung Warentest".

    Literarisch läßt sich feststellen, daß Louise Rafkins Streifzug durch amerikanische Oberklassevillen, ihr Blick auf die Hygieneobsessionen ihrer Bewohner beim Leser einen Anflug intellektueller Überheblichkeit hervorrufen. Die Welt durch die Augen der Putzenden zu betrachten, läßt den Glanz der High Society rasch abstumpfen. Leben ist Dreckerzeugung - wer übermäßigen Wert darauf legt, keinen Dreck zu hinterlassen, lebt auch nicht. Fremder, meide blitzblanke Haushalte!