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Andocken an große Vergangenheit

Zum Auftakt wurde ins Theater an der Wien geladen und dort das gefeiert, was der gegenwartsorientierte Sektor des österreichischen E-Musik-Betriebs mit Erfolg exportiert: Halbwegs unterhaltsame und heiter irrlichternde Produktionen von Olga Neuwirth.

Von Frieder Reininghaus |
    Die erzielt im laufenden Geschäftsjahr eine bemerkenswerte Quote: Allein in Deutschland wurden zwei neue Opern von ihr herausgebracht ("Outcast" in Mannheim und "American Lulu" in Berlin). Neuwirth ist, wie die Veranstalter zutreffend bemerkten, tatsächlich "wie kaum eine andere an den Schnittpunkten" (gemeint sind: Inkasso-Stellen) "mit verschiedenen Formaten und Themenkreisen anzutreffen". Die Künstlerin, die sich in Interviews unverdrossen selbst als Outcast charakterisiert, ist im Kerngeschäft angekommen.

    In Wien brachte Neuwirth mit "Kloing!" nochmals eine Arbeit in Erinnerung, die einen Pianisten mit einem Welte-Mignon-Klavierautomaten in Konkurrenz treten und mit seiner traditionsgestützten Handwerklichkeit den Kürzeren ziehen lässt. Da schlägt köstlicher Musikerinnen-Humor zu. Bei der "Hommage à Klaus Nomi" ist’s eher die Nostalgie. Die Song-Suite huldigt einem "Kultsänger". Neuwirth stellte für einen Countertenor ein Song-Play zusammen, das von großformatigen Video-Animationen begleitet wird und v.a. auch noch einmal amerikanische Träume träumt (d.h. vom Wünschen und Träumen handelnde Unterhaltungsmusiktitel bearbeitet, überschreibt, übertönt bzw. Radierungen unterzieht). Da operiert eine ‚neue Musik‘ in hohem Maß mit Patterns von vorgestern. Aber das von Herzen intensiv. Andrew Watts ist als Interpret der Show-biz-Titel eine schräge Wucht.

    Für "Wien modern" wurde "ein Netz zeitgenössischer musikalischer Formate über die Stadt" gezogen und mit "einer Vielzahl von Vermittlungsangeboten" zusammengespannt. Das Netz fällt aus nahe liegenden Gründen in der inneren Stadt engmaschiger aus als an den Peripherien.

    Das Wiener Konzerthaus ist ein Pendant zu den Multiplex-Kinos. In der Haupt-Abfüllstation, dem Großen Saal, findet große "Klassik" statt; dann geht es abwärts, dem Rang der Meister entsprechend, bis hinunter in den geduckt neben dem Heizungskeller untergebrachten Berio-Saal. Für den wurden ein halbes Dutzend Erinnerungsstücke zusammengestellt – von Mauricio Kagels "Stücken der Windrose" bis zu einer Pièce von Vinko Globokar für dirigierenden Posaunisten. Allesamt Botschaften aus einer entrückten Zeit.

    Das Kabelwerk, jenseits der Graffitistraße im Mezzogiorno der Stadt gelegen, hinter einem Alten- und Pflegeheim sowie einem neu eingezäunten Friedhof, definiert sich als einer der Brennpunkte der Stadterneuerung und wurde vom Neue-Musik-Netz fest ins Schlepptau genommen. Hier stellte sich eine lange Nacht hindurch die ganze Palette der besonders gezielten Komponistinnen-Förderung unter Beweis: Neue Kammermusik, die sich teilweise mit Filmprojektoren verbindet oder mit live-generierter Elektronik. Anne La Berge lud mit einer "geführten Improvisation" (der Begriff erinnert an den der "gelenkten Demokratie") ins Reich der Sümpfe, wobei die Autorin "Sumpf sowohl als Landschaftsform als auch als Vorgang des Versumpfens" meint. Dem wird, gerade auch in Wien, wohl ein gewisses Verständnis entgegengebracht.

    Elisabeth Schimana verwies im Kontext ihrer Raummusik für fünf Blechblasinstrumente und zwei Schlagwerke auf das Herannahen von Viren, deren Andocken bei "Wirt und Wirtin" sowie ihre Vermehrung. Zu hören waren subtil-kräftige Variationen über einzelne Bläsertöne, die eher rudimentäre gruppendynamische Prozesse auszulösen scheinen. Obwohl mir beim Tuten und Blasen der anonym bleibenden jungen Männer nichts weniger als Krankheitserreger in den Sinn kamen, empfand ich den Schwebezustand dieser Gruppenarbeit als angenehm. Aber ich wüsste ihn nicht wirklich kompositionstechnisch zu begründen.

    Informationen des Festivals Wien Modern