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Andreas Vesalius
Weg von der Vier-Säfte-Lehre

Das Buch "Über den Bau des menschlichen Körpers" von Andreas Vesalius war eines der bedeutendsten Werke der Renaissance. Damit revolutionierte er als Begründer der modernen Anatomie das medizinische Denken. Vor 500 Jahren wurde der flämische Mediziner geboren.

Von Andrea Westhoff | 31.12.2014
    Der Mediziner Andreas Vesalius, flämischer Anatom der Renaissance
    Der Mediziner Andreas Vesalius, flämischer Anatom der Renaissance (Imago / United Archives International)
    Paris 1533: Voller Elan und wissbegierig kommt Andreas Vesalius zum Medizinstudium an die berühmte Universität – und ist bald bitter enttäuscht:
    "Alles wird falsch gelehrt, man verschwendet ganze Tage mit absurden Fragen, und in der Verwirrung wird dem Zuschauer weniger geboten, als ein Schlachter auf seinem Marktstand einen Doktor lehren könnte."
    Grundlage der Medizinerausbildung dieser Zeit sind die Vier-Säfte-Lehre und das anatomische Wissen über den Aufbau des menschlichen Körpers, das der griechische Arzt Galen im zweiten nachchristlichen Jahrhundert in zahlreichen Schriften festgehalten hat. Daraus liest nun jeder Medizinprofessor vor, während unten im Hörsaal Barbiere die niedere, handwerkliche Arbeit einer Sektion verrichten – nur zur Illustration.
    Professor Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums an der Berliner Charité: "Und Vesal sagt, er möchte gerne für sich das Recht herausnehmen, wieder, was man im dritten vorchristlichen Jahrhundert in Alexandria schon getan hat, den menschlichen Körper aufzuschneiden, mit den eigenen Händen und mit den eigenen Augen eine Anatomie zu betreiben."
    Vesalius wird am 31. Dezember 1514 in Brüssel geboren als Sohn des Apothekers Kaiser Karls V. Er ist ein "Kind der Renaissance", vertraut mit den antiken Autoren, erkenntnishungrig und kritisch. In seiner Pariser Studentenzeit streift er tagelang über den Stadtfriedhof und studiert die dort herumliegenden Knochenhaufen.
    Vesalius geht nach Padua
    Thomas Schnalke: "Er hat bei seinen Studien festgestellt, dass Galen seine Erkenntnisse am Tierkadaver gewonnen hat und das als Menschenanatomie ausgegeben hat."
    1537 geht der gerade 23-jährige Vesalius an die berühmte Ärzteschule von Padua, promoviert noch im selben Jahr und wird sogleich zum Professor für Chirurgie und Anatomie ernannt. Von nun an seziert er systematisch Leichen, gehenkte Verbrecher meist, die ihm die Gerichte offiziell überlassen. Denn anders als oft behauptet, gibt es kein generelles christliches Sektionsverbot, betont der Medizinhistoriker Schnalke: "Interessanterweise kann er seine erste fachöffentliche Demonstration für Studenten in der Bologneser Kirche San Francesco machen. Das heißt: Da hat ihm die Kirche tatsächlich einen geweihten Ort zur Verfügung gestellt, um das Wunderwerk der göttlichen Schöpfung unter der Haut demonstriert zu bekommen."
    1543 erscheint schließlich Vesals berühmtes Lehrbuch "De corporis humani fabrica – 'Über den Bau des menschlichen Körpers'" - ein 700 Seiten starkes Meisterwerk, mit fast 300 von Künstlern gestalteten Holzschnittabbildungen.
    Thomas Schnalke: "Und dieses Buch schlägt ein, sprichwörtlich wie eine Bombe. Weil er hier tatsächlich den menschlichen Körper so vorstellt und beschreibt, wie er selber, im Rahmen einer sinnlichen Anatomie, ihn auf dem Sektionstisch vorfindet, und hier nimmt er eben auch kein Blatt vor den Mund, hier sagt er auch klipp und klar, wo andere Autoren vor ihm geirrt haben. Insbesondere auch Galen."
    Falsche Vorstellung über Herz und Blutfluss
    Thomas Schnalke nennt als Beispiel Galens falsche Vorstellung über das Herz und den Blutfluss: "... dass man gesagt hat, das Blut fließt gleichgerichtet in die Körperperipherie und wird dort komplett verbraucht. Und hier hat nun Vesal festgestellt, eine Verbindung zwischen rechter und linker Herzkammer, die es brauchte, damit das Blut gleichgerichtet fließen konnte, gibt es nicht. Und das stellt er fest, weil er selber nachschaut, weil er selber das Messer in die Hand nimmt, das Herz aufschneidet und prüft."
    So hat Andreas Vesalius als Begründer der modernen Anatomie nicht nur einen wichtigen Grundstein für die naturwissenschaftliche Medizin gelegt. Er bringt auch den über 1000 Jahre alten Sockel des Galenschen Denkens erstmals ins Wanken. Unverzeihlich in den Augen seines einstigen Pariser Lehrers Sylvius, der an Karl V. schreibt: "Ich flehe Seine Kaiserliche Majestät an, ihn schwer zu bestrafen, wie er es verdient, dieses Monster, dieses schlimme Beispiel von Ignoranz, Undankbarkeit, Anmaßung und Respektlosigkeit."
    Doch der Kaiser tut nichts dergleichen. Er beruft den streitbaren Anatomen sogar zu seinem Leibarzt und erhebt ihn 1556 in den Adelsstand.
    Am 15. Oktober 1564 stirbt Andreas Vesalius – auf einer Pilgerfahrt nach Jerusalem. Die genauen Umstände sind unklar, ebenso wie das Motiv dieser Reise. Die Spekulationen darüber blühen bis heute.