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Olympia 1992
"Waren meilenweit davon entfernt, ein gesamtdeutsches Team zu sein"

Andreas Walzer nimmt 1992 zum ersten Mal an den Olympischen Spielen teil. Für ihn werden die Spiele zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle, weil er im Bahnrad-Finale zuschauen muss. Trotzdem sagt er heute, dass der Sport von der Wiedervereinigung von Ost und West profitiert hat.

Andreas Walzer im Gespräch mit Raphael Späth |
Der deutsche Bahnradvierer gewinnt die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Barcelona.
Der deutsche Bahnradvierer gewinnt die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Barcelona. (IMAGO / Thomas Zimmermann)
Als junger Bahnradfahrer darf Andreas Walzer 1992 in Barcelona an seinen ersten Olympischen Spielen teilnehmen. Er habe sich unbedingt dafür qualifizieren wollen: "Das Erste, an das ich mich erinnern kann, war die Einkleidung in Frankfurt. Vorher musste man um jedes Paar Socken kämpfen und da gab es dann plötzlich alles im Überfluss. Das war schon ein Kulturschock. Und dann erinnere ich mich natürlich auch an das Olympische Dorf und die Eröffnungsfeier." Eindrückliche Erfahrungen für einen jungen Sportler wie Walzer.
Trotzdem hatten die Spiele 1992 auch eine weitreichendere Bedeutung, die für Walzer spürbar war. Durch die Wiedervereinigung der BRD und DDR startete erstmals ein gesamtdeutsches Team bei Olympia. "Nach außen ist natürlich propagiert worden, dass wir ein gesamtdeutsches Team sind. Nach innen war man davon aber meilenweit entfernt", erklärt Walzer. Vor allem vor den Spielen habe es einen enormen Konkurrenzkampf gegeben. Auch die Zukunft einiger Funktionäre habe auf dem Spiel gestanden: "Wir haben so viele Jahre getrennt erlebt. Man konnte nicht erwarten, dass wir jetzt einfach eine Mannschaft sind und alle haben sich lieb."

Die sportliche Wiedervereinigung zwang zum Konkurrenzkampf

Walzer interessierte sich schon damals auch für andere Sportarten und verfolgte diese. Dabei stellte er schnell fest, dass Erfolg ein Kernaspekt der Identifikation im Sport war: "Vor allem wenn die Sportler erfolgreich sind wird das schnell eins. Nach kurzer zeit warst du genau so froh, wenn jemand aus Ostdeutschland gewonnen hat, wie jemand aus Westdeutschland." Im Bahnrad-Team ließ sich der Trainer aber noch etwas Anderes einfallen, um sein Team zusammenzuführen: "Bei uns hat der Trainer einen Ost- und einen Westdeutschen aufs Zimmer gepackt. Das war ein cleverer Schachzug und so haben sich auch schnell Freundschaften gebildet."
Die Wiedervereinigung von Ost- und West habe aber auch sportlich enorme Veränderungen mit sich gebracht, erklärt Walzer: "Mit der Grenzöffnung haben wir wirklich gelernt zu trainieren. Damit kam diese ganze Struktur und Trainingssteuerung bei uns rein. Das hat bei allen von uns im Westen für riesige Leistungssprünge gesorgt." Die Zusammenarbeit trug schnell Früchte. Gleichzeitig blieb aber das Wissen um die Doping-Hintergründe im DDR-Sport: "Das Misstrauen gegenüber den Sportlern aus der DDR war wirklich sehr groß. Trotzdem gab es ja auch im Westen Doping-Nester. Man wusste was da passiert ist, aber das Thema ist nie wirklich rübergeschwappt. Zu sagen uns war klar, dass die alle gedopt sind - das war definitiv nicht so."

Schockmoment statt Goldmedaille für Andreas Walzer

Trotz der positiven Eindrücke vor und bei den Spielen in Barcelona gab es für Walzer am Ende eine ganz persönliche Tragödie. Kurz vor dem Bahnrad-Vierer Finale wurde der Westdeutsche aus dem Kader genommen und von einem ostdeutschen Sportler ersetzt: "Das war für mich als 22-Jähriger Sportler ein riesengroßer Schock. Mir hat niemand gesagt warum und ich bin hinterher noch wie ein Aussätziger behandelt worden, weil ich nachgefragt habe. Heute kann ich damit leben, aber man hätte das anders kommunizieren können." Der Vierer gewann schließlich ohne Walzer die Goldmedaille. Insgesamt zieht Walzer 30 Jahre nach den Olympischen Spielen in Barcelona aber ein positives Fazit: "Es war schwierig, dass eine Schwemme von wirklich gut ausgebildeten Sportlern rüberkam und man sich da erstmal beweisen musste. Von dem Niveau haben wir aber absolut profitiert und allgemein denke ich, dass wir mehr davon profitiert haben, als dass es negative Erfahrungen waren."