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Anfang einer Karriere

Paläontologie. - 2009 fand ein Bauer wieder einmal ein Fossil in einer der berühmten Fossilfundstellen im Nordwesten der Liaoning-Provinz in China. Forscher kauften es - und es erwies sich als ausgesprochener Glücksgriff. Denn dieses Fossil, dessen Analyse heute im Wissenschaftsmagazin Science vorgestellt wird, ist das bislang älteste fast vollständig erhaltene Fossil der erfolgreichsten Säugetiergruppe aller Zeiten, der Multituberculata.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Multituberculata gehören zu jenen Fossilien, die keinen vertraut klingenden Namen besitzen. Vielleicht, weil sie mit keinem heute lebenden Wesen verwandt sind. Zu ihrer Zeit aber wuselten diese meist kleinen Tiere anscheinend überall herum: Manche Arten bevorzugten Bäume als Lebensraum, andere den Boden und wieder andere gruben Tunnel. Im Grunde hatten die Multituberculata die ökologischen Nischen inne, die heute die Nagetiere besetzen. Und wie die Nager brachten auch sie zahlreiche Arten hervor und waren weit verbreitet. Immerhin 135 Millionen Jahre liefen sie über die Erde - länger als jede andere Säugetiergruppe. Dabei überlebten sie sogar die Dinosaurier:

    "Die Multituberculata entstanden vor rund 170 Millionen Jahren im Mittleren Jura und starben vor etwa 35 Millionen Jahren aus. Sie waren die erfolgreichsten Säugetiere ihrer Zeit. Unser 160 Millionen Jahre altes Fossil Rugosodon eurasiaticus wirft nun ein Licht auf die Anfangszeit dieser Linie, und so konnten wir viel Interessantes über die Lebensweise dieser frühen Multituberculata lernen","

    erklärt Zhe-Xi Luo von der University of Chicago. Zwar hat es bereits Funde von Rugosodon gegeben, in Portugal. Aber die bestanden nur aus ein paar isolierten Zähnen, wie überhaupt von vielen der frühen und kleinen Säugetiere oft nur die Zähne erhalten geblieben sind. Dieses Exemplar - Rugosodon eurasiaticus - ist jedoch fast vollständig. Luo:

    ""Das Fossil hat einen flachen Schädel, wir haben alle seine Zähne und seine Kiefer, und das Skelett ist zu 80 Prozent komplett. Wir können sogar seine Behaarung erkennen und zwischen Deckhaaren und Unterwolle unterscheiden."

    Etwa 80 Gramm könnte das streifenhörnchengroße Tier gewogen haben. Und seine Zähne waren stark ornamentiert, runzelig. Das bedeutet auch sein Name Rugosodon, und das eurasiaticus soll seine weite Verbreitung in ganz Eurasien bezeichnen.

    "Interessant sind auch seine hochentwickelten, sehr beweglichen Knöchelgelenke. Obwohl dieses Tier am Beginn der Entwicklung der Multituberculata steht, ist mit diesem anatomischen Merkmal schon die Grundlage gelegt worden für die unterschiedliche Bewegungsabläufe, die sich in dieser Gruppe entwickeln sollten. Rugosodon eurasiaticus selbst lebte jedoch am Boden, und mit seinen beweglichen Zehen war er wohl auch in schwierigem Gelände flink. Er konnte wohl auch klettern, war aber nicht darauf spezialisiert."

    Rugosodon war schnell und geschickt und sein Rückgrat sehr beweglich. Er lebte in gemäßigten Klimazonen, und dieses Exemplar starb vielleicht, weil es im Wasser unvorsichtig war. Jedenfalls wurde sein Kadaver direkt in die Sedimente eines Sees eingebettet, und so blieb diesmal mehr erhalten als nur ein paar Zähne, auch wenn die schon sehr viel über das spezielle Tier [Im Hörfunkbeitrag war versehentlich von "Nager" die Rede, die Redaktion] aussagen:

    "Seine Zähne verraten uns, dass Rugosodon eurasiaticus Allesfresser waren. Das war der Anfang einer wichtigen Entwicklung, denn die Multituberculata sollten später die erste wichtige Säugetiergruppe werden, in der es auch Pflanzenfresser gab. Rugosodon verzehrte schon Pflanzen, Früchte und Samen, aber auch Insekten. Wir vermuten außerdem, dass er im Wasser kleine Gliederfüßer fing oder Würmer im Boden."

    Schon Rugosodon besaß also die späteren Erfolgsrezepte der Multituberculata: ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Mobilität. Die Ursprünge dieser erfolgreichsten Säugetiergruppe aller Zeiten sind mit diesem Fossil nun besser zu fassen. Anders sieht es mit ihrem Ende aus. Warum sie vor 35 Millionen Jahren verschwanden, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Vielleicht spielten die Nagetiere dabei eine Rolle, die sich genau zu dieser Zeit entwickelten. Und das, so Zhe-Xi Luo, könnte mehr als Zufall sein.