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"Anfangen, unsere Beziehung als beendet zu verstehen"

Pedantisch betrachtet, sind Abschiedsbriefe - Liebesabschiedsbriefe - ein Paradox. Wer wirklich entschlossen ist zur Trennung, braucht nicht viele Worte. Im Grunde reichen diese drei: Es ist aus. Briefe aber sind von Natur aus Mitteilungen, die den Kontakt halten. Wer also einen Abschiedsbrief schreibt, verabschiedet sich genauso lange nicht, wie der Brief dauert. Anders gesagt: je mehr Brief, desto weniger Abschied. In dieser Ökonomie liegt das Paradox des Abschiedsbriefes. Sein Wesen widerspricht seinem Inhalt.

Von Ursula März | 15.05.2006
    Das macht die Abschiedsbriefe von Frauen, die Sibylle Berg gesammelt und herausgegeben hat, so menschlich - der Widersprich zwischen trennungsentschlossenem Hirn und liebesgebundenem Herzen springt einem aus vielen Briefen förmlich entgegen - und gelegentlich nicht ganz unkomisch. Eine Frau, die hier Dietlinde R. heißt, schreibt an Herrn G., der der Mann ihrer Träume und ein "Meister im Bett" war, dies aber leider nicht nur für sie:

    Und wenn es jetzt auch Frühling ist und jeder Frühling einen neuen Anfang darstellt, müssen wir anfangen, unsere Beziehung als beendet zu verstehen. Und darüber will ich mit Dir ein letztes Mal reden, entweder in Erfurt oder besser auf neutralem Grund im Park oder Restaurant. Bei Dir zu Hause landen wir ja doch nur wieder im Bett und Du hast wieder nichts als leere Versprechungen für unsere Zukunft zu bieten. Dabei fällt mir diese blöde Situation in dieser Pizzeria ein, damals, nachdem Du mich mit meiner besten Freundin..., ach, ich will es mir gar nicht noch mal klar machen, was Du für ein Gigolo bist. Also schlag irgendwas irgendwo und irgendwann vor, ich werde dort sein. Dann können wir das finanzielle Auseinander klären. Ich will keins meiner Geschenke zurückhaben, sie sollen Dich an unsere Zeit erinnern, basta.

    Wirklich basta? Sie trennt sich und macht doch Zeile für Zeile Pläne und Vorschläge, die die Zukunft betreffen, bis hin zu der Idee, dass er sich an sie erinnern, also immer an sie denken soll. Zumindest so, als Frau in seinem Gedächtnis, will sie dem Gigolo erhalten bleiben. Es sind, fast durchweg, sehr komplizierte, sehr umständliche Gefühllagen und Gefühlsknoten, die diese weiblichen Korrespondenzen abbilden. Wenn das Gerücht stimmt, haben Männer eher die Tendenz, sich aus dem Staub zu machen. Frauen erklären, wie sich der Staub anfühlt, wie froh sie wären, einen Beziehungsweg ohne Staub unter den Füßen zu haben, wie traurig sie sind, einen solchen Weg nicht mehr zu sehen, etc....pp. Vor allem überlegen sie, ob und wenn, auf welche Weise sie schuld sind an der Staubigkeit der Liebe.

    Sibylle Berg macht erst gar nicht den Versuch, ihre Auswahl an Abschiedsbriefen mit einem theoretisch begründenden Konzept einzuengen. Sie schaut die Briefe nicht von oben an, sondern gleichsam von vorn, als nachdenkende Leserin. Es ist eine ziemlich wilde Mischung, die sie zusammengestellt hat, quer durch die Epochen, Stil- und Reflexionslagen. Sie reicht von Heloise über Sylvia Plath bis Else Buschheuer, von Elizabeth I. über Isadora Duncan bis zu Corinne Hofmann, von historischen zu heutigen Frauen, von berühmten bis zu einem eigenen Kapitel mit Briefen von unbekannten Frauen; Frauen wie du und ich. Das wirkt auf den ersten Blick ein wenig arg willkürlich und heterogen. Auf den zweiten plausibel und sympathisch. Plausibel deshalb, weil das Unsystematische, Konturschwache der Sammlung ziemlich gut zum Charakter der Gefühlschwankung passt, der die meisten Briefe prägt. Drei Fragen wirft der Band auf. Erstens: Schreiben Männer andere Abschiedbriefe als Frauen? Vermutlich ja, wie auch immer. Zweitens: Gehen moderne Abschiedsbriefe auch über den elektronischen Weg, oder ist der Abschiedsbrief im Zeitalter im Zweitalter von Telefon und SMS eine so altmodische Angelegenheit, dass nur der klassische Postweg für ihn in Frage kommt? Nein, der Abschiedsbrief ist medienflexibel, es gibt in dem Band eine Reihe von E-Mail-Abschieden. Drittens: Kommen die prominenten, schönen, begehrten Frauen a la Sarah Bernhardt und Simone de Beauvoir im Moment der Trennung besser zurecht als die normalen, durchschnittlichen ? Ganz klar: Nein. Die prominenten fühlen sich allerdings häufig zu einer Souveränität, einer überlegenen, disziplinierten Haltung genötigt, die die Lektüre ihrer Briefe im ersten Moment erträglicher macht als das larmoyante Eiern ihrer anonymen Schicksalsgefährtinnen. Für das psychische Wohlbefinden, für die Erholung vom Abschied aber dürfte die Zumutung von Chaos, Larmoyanz und Disziplinverlust günstiger sein.

    Sibylle Berg: "Und ich dachte, es sei Liebe"
    (Deutsche Verlagsanstalt)