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Anfassen, ohne zu berühren

Technik. - Manche Dinge mag man einfach nicht gerne anfassen: Gülle zum Beispiel, Abwasser, oder auch glutheißes Flüssig-Metall. Trotzdem will man all das technisch ebenso handhaben wie angenehmere Fluide. Dabei helfen Magnetfelder in der Messtechnik.

Von Björn Schwentker |
    Die Londoner staunten nicht schlecht, als der britische Physiker Michael Faraday im Jahr 1832 ein merkwürdiges Experiment am Fluss Themse aufbaute. In der Nähe der Waterloo Bridge hängte er an beiden Ufern Elektroden ins Wasser. Indem er zwischen ihnen eine elektrische Spannung maß, wollte er feststellen, wie schnell die Themse fließt. Doch der Versuch schlug fehl, sagt Alan Pothérat von der Forschergruppe Magnetofluiddynamik an der Technischen Universität Ilmenau.

    "Leider hätte er eine so schwache Spannung messen müssen, dass er damals keine Chance hatte, das technisch hinzukriegen. Heute wird das Prinzip aber genutzt: Wenn durch ein Rohr etwas elektrisch Leitendes strömt und man quer dazu ein Magnetfeld einschaltet, kann man in der Flüssigkeit eine Spannung messen und damit die Geschwindigkeit."

    Michael Faraday nutzte nur das schwache Magnetfeld der Erde. Heute verwendet man künstliche Magneten, die viel stärker sind. So misst man in der Industrie etwa die Geschwindigkeit von fließendem Bier, Joghurt oder Schokolade. Oder aber von Gülle, Abwasser oder glühend heißem Flüssig-Metall – alles Dinge, die man nicht berühren kann oder will. Mit Magnetfeldern kann man aber auch leitende Flüssigkeiten bewegen – ebenfalls berührungslos. Vorausgesetzt, es fließt ein elektrischer Strom hindurch. Industriell wird das in der Metallproduktion genutzt. Doch leider ist die Technik dort noch recht ungenau, sagt Alan Pothérat:

    "Flüssige Metalle haben den Vorteil, dass sie sehr gut Strom leiten. Das heißt: Die Magnetfelder bewegen so ein flüssiges Metal sehr stark. Unglücklicherweise ist Metall aber undurchsichtig. Man kann nicht hineinsehen."

    Doch das wäre notwendig, um zu verstehen, wie die Magnetfelder das heiße Material bewegen. Denn das Metall reagiert so gut, dass sich schnell kaum kontrollierbare Turbulenzen bilden. Problematisch ist das in der elektrischen Aluminium-Produktion. Das reine Metall wird in einem großen Bottich aus einer Schmelze des Rohmaterials Tonerde gewonnen. Von oben stecken darin große Elektroden, durch die mehrere Tausend Ampère Strom fließen. Es bilden sich zwei Lagen: Oben die schwach leitende Schmelze, unten das stark leitende Aluminium.

    Der starke Strom erzeugt dabei unweigerlich ein Magnetfeld, das das Aluminium so sehr zum Schwappen bringen kann, dass es mit den Strom-Kontakten in der Schmelze zusammenstößt. Es kommt zum Kurzschluss und ein Teil der Anlage wird zerstört. Um zu erforschen, wie sich das verhindern lässt, haben die Ilmenauer im Labor eine Produktionswanne im Kleinformat nachgebaut. Shouqiang Men schaltet den Druckluft-Rüttler an. In einem Glaszylinder schwappen übereinander zwei Flüssigkeiten: Unten eine Metallverbindung und obendrauf eine durchsichtige wässrige Lösung.

    "Die zwei Flüssigkeiten mischen sich nicht. Darum sieht man hier eine klare Trennfläche dazwischen. Wir leiten einen Strom durch die Zelle und erzeugen dadurch ein magnetisches Feld, das wir dann mit Sensoren außen am Zylinder messen."

    Eine Kamera nimmt gleichzeitig auf, wie sich die Oberfläche der Metallschicht beult und bewegt. Im Labor geht das, denn die obere Flüssigkeit ist ja durchsichtig – anders als die Schmelze in der großtechnischen Aluminiumproduktion. Am Computer vergleichen die Magnetfeld-Forscher schließlich die Kameraaufnahmen mit den Messungen des Magnetfeldes. So wollen sie ein mathematisches Modell entwickeln, mit dem sich allein aus den Sensor-Daten auf die Verformung der Metallfläche schließen lässt.

    Wenn ein solches Modell erst gefunden ist, ließe sich die Methode auch in der Industrie anwenden. Sensoren an den richtigen Stellen der Aluminium-Wanne würden das Magnetfeld im Inneren messen. Die Kraft zusätzlicher Magneten könnte dann das hüpfende heiße Metall im Bottich gezielt zur Ruhe bringen. Die Herstellung würde so nicht nur sicherer, sondern auch energieeffizienter. Ein Plus also nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Umwelt.