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"Angebot und Nachfrage"

Der tägliche Börsenbericht, jetzt gibt es ihn auch am Theater: Die harte Wirklichkeit des ökonomisch Ausgesteuerten wird neuerlich Thema einer Bühnenstücks. Mit "Angebot und Nachfrage", einer Phantasie über die freie Zeit nach dem Ende aller Arbeit, wird ein Stück von Roland Schimmelpfennig in Bochum uraufgeführt.

Von Michael Laages |
    Inzwischen kann sich kaum noch jemand wehren gegen dieses Bild vom Scheitern, wie es Freundin, Freund, Verwandte oder Nachbarin beim Heimkommen ins Gesicht geschrieben tragen – dieses Bild vom "Wieder nix gewesen!". Wir fragen dann immer das gleiche:

    Aus Monologen und Miniaturen zusammengesetzt ist das neue Stück, der neue Text von Roland Schimmelpfennig, ein älterer Mann und eine jüngere Frau spüren darin den "Angeboten" nach, die sie dieser Arbeitswelt womöglich noch zu machen hätten; für die es allerdings "Nachfrage" längst schon nicht mehr gibt, und absehbar nicht mehr geben kann. Auch deshalb ist von den Vermittlern in den Agenturen kein gerader Blick mehr zu erwarten:

    Sie, spezialisiert auf die pantomimische Darstellung von eher exotischem Getier wie Seehund und Krokodil, bringt die aussichtslose Lage philosophischer auf den Punkt – weil einerseits mittelfristig mit lausigen Imitaten von ehedem originalem Leben, also falschem im richtigen, niemand mehr zufrieden sein wird, andererseits aber nach Aussterben der Originale auch niemand mehr den Unterschied erkennen wird zwischen dem einen und dem anderen, müsse eine Gesellschaft zu Grunde gehen, die sich Echtes nicht mehr leiste, keine Wirklichkeit mehr kennt. Aus mal mehr, mal weniger großer Distanz erzählen er und sie einander Geschichten wie diese; aber auch andere, von der Farbe des Himmels und wie sie entsteht, von Sehnsucht und Träumen aus längst vergangener Zeit, zuweilen (siehe Seehund und Krokodil) absurde Geschichten, die mit der Zeit immer quälender vom Leerlauf künden, vom unterschwelligen Verlust der Wahrnehmung bei gleichzeitigem Zuwachs an Empfindlichkeit – weswegen er zum Beispiel mittlerweile allergisch ist gegen alles, was Farbe ist. Nur nicht gegen Ocker.

    Schimmelpfennigs Text ist ein wundersames Geflecht aus Banalität, Poesie und philosophischer Spökenkiekerei; und er ist im Grunde auch nur Text – die szenischen Angebote beschränken sich auf den regelmäßigen Spaziergang, den dieses ungewöhnliche Paar regelmäßig, und nur zum Anschauen, nicht zum Kaufen natürlich, durch irgendein Kaufhaus des Westens unternimmt – da haben Katja Uffelmann und Manfred Böll für wenige Augenblicke die Gelegenheit, auch miteinander zu spielen. Sonst sind sie eher füreinander da – hören und schauen einander zu, geben einander Zeichen für ein Spiel, das jenseits der Gemeinsamkeit liegt. Sie ist zu Beginn (und wie nach einem wieder mal erfolglosen Vorstellungsgespräch) herein gestürmt in die beim ersten Hinschauen völlig leer geräumte Kellerbühne des Bochumer Schauspielhauses, das "Theater unter Tage", und hat als wilde Furie voller Enttäuschung Teller um Teller zerdeppert; sie weiß warum, er sagt es:

    Bei genauerem Hinsehen sind dann aber auf Johannes Leiackers Bühne immer neue Zeichen der Zeit zu entdecken: Kirchenglocken kleinerer und größerer Art, eine sogar unsichtbar, aber gut zu hören, weil von ihr wie als Glöckner aus früheren Zeiten geläutet; auch Ritterschild und Schwert und Rüstung stehen herum, gleich neben reichlich Filmprojektoren. Am Ende phantasieren sich die beiden, die da übrig bleiben in der Asservatenkammer der Arbeitsgeschichte, ihren ganz persönlichen Film zusammen – noch einmal ein Traum im ewigen Gleichmass der Zeit.

    Jan Langenheims Bochumer Inszenierung rückt der Ortlosigkeit in Schimmelpfennigs Text mit gezügelter Phantasie zu Leibe, er erfindet nicht mehr als der Text verträgt. So beginnt das Stück mit der Zeit erst wirklich zu atmen, zu leben. Es versteigt sich auch nicht (wie Rinkes "Cafe Umberto") in real nachvollziehbare Geschichten vom Abstieg, es folgt keiner gleichnishaften Idee wie das Stück der Kanadierin Frechette. Schimmelpfennig setzt das Publikum eher jenem Zustand aus, der die erfasst, denen alle Sicherheit abhanden kam – und die in der Erkenntnis enden, dass das Leben bis zu Ende gelebt werden muss.

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