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Angelhaken für Allergene

Gesundheit.- Wer auf Soja, Sellerie oder Erdnuss allergisch ist, hat es beim Einkaufen oftmals schwer. Nicht selten finden sich auf Produktpackungen nur vage Angaben wie "kann Spuren von Soja enthalten" oder Ähnliches. Nun soll ein neues Analyseverfahren besser prüfbar machen, wie ehrlich die Lebensmittelhersteller ihre Produkte kennzeichnen.

Von Hellmuth Nordwig | 12.07.2011
    Mindestens jeder Hundertste ist auf ein Nahrungsmittel allergisch. Deshalb müssen Allergie auslösende Zutaten auf der Verpackung aufgeführt werden – die Liste reicht vom Weizen bis zu Weichtieren. Ob das wirklich eingehalten wird, testen Experten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

    "Das sind die gleichen Methoden, die wir hier verwenden, wie in der Kriminalistik, wenn ein genetischer Fingerabdruck erzeugt wird, wenn Spuren am Tatort sind. Wir haben keine Spuren am Tatort, wir haben Spuren in Lebensmitteln, aber wir arbeiten mit den gleichen Verfahren",

    sagt Dr. Ulrich Busch im Labor der Behörde. Sein Kollege Florian Luber hat gerade mit der Untersuchung einer Probe zartbitterer Schokolade begonnen. Es könnte ja sein, dass sich außer dem genetischen Fingerabdruck von Mandeln auch der von Cashewnüssen findet, der für manche Allergiker lebensbedrohlich ist. Genau zwei Gramm Schokolade hat der Forscher abgewogen.

    "Aus diesen zwei Gramm wird die Extraktion der DNA gemacht, vom Erbgut. Anschließend wird die Konzentration der DNA gemessen, und dann geht man mit der Probe weiter."

    Und zwar zu einer Zentrifuge, die das Erbgut zum Boden des nicht einmal fingerlangen Plastikgefäßes schleudert. Dort sammelt sich die Menge an, die für die weitere Untersuchung nötig ist.

    Jede pflanzliche Zutat in einem Lebensmittel hinterlässt – genau wie der Verbrecher am Tatort – eine ganz charakteristische Erbgutspur. Bis vor Kurzem mussten die Analytiker allerdings eine Nusssorte nach der anderen in einer Probe suchen. Das ist sehr aufwendig und langwierig. Ein schnellerer Nachweis wäre nur möglich gewesen, wenn sie viele Geräte gleichzeitig mit dem Erbmaterial hätten füttern könnten. Allein in der Gruppe der Nüsse gibt es neun Arten, die Allergikern gefährlich werden können, von Erdnüssen bis zu Macadamia. So viele parallele Untersuchungen sind aber in keinem Labor möglich, denn die Geräte sind zu teuer. Die Folge: Die Tests bleiben bisher unvollständig.

    "Wenn man in einem Routinelabor zwei oder drei Parameter untersucht, fallen die anderen sieben einfach weg, weil man sagt: Da hat man noch nie was gefunden oder da schauen wir nicht nach, das hat keine Bedeutung."

    Hat es aber sehr wohl für jemanden, dem zum Beispiel schon bei winzigsten Mengen von Paranuss der Hals so schnell zuschwillt, dass er zu ersticken droht. Deshalb haben die Experten des Landesamts nun ein Testverfahren entwickelt, bei dem sie alle Nüsse mit einer einzigen Untersuchung erfassen. Sie fischen sozusagen mit mehreren Angelhaken zugleich in der Erbgutprobe. Und jeder davon ist so gebaut, dass er nur das Erbmaterial einer einzigen Nusssorte aus der Mischung fischt. Nach einiger Zeit untersuchen die Forscher, an welchen Angelhaken Beute hängen geblieben ist. Und das zeigt ihnen an, welche Nüsse in der Probe enthalten waren. Ein Computer stellt das Ergebnis dar, sagt die Lebensmittelchemikerin Anja Demmel:

    "Im Moment brauchen wir noch relativ lange von der Schokolade bis zum Computerausdruck. Wir sind aber dabei, die Methode zu verkürzen: Statt eineinhalb Tage damit beschäftigt zu sein, sind wir schon so weit, dass wir es in einem Tag schaffen können. Und sind dabei, das nach Möglichkeit noch schneller zu machen."

    Mit ähnlichen Tests können die Analytiker auch erfassen, welche Gewürze in einem Fleischgericht verwendet wurden und ob Muscheln oder Krabben in einem Feinkostprodukt versteckt sind. Etwa in einem Jahr sollen diese Verfahren auf den Markt kommen und die Überwachung wesentlich effektiver machen. Dann wird es auch für die Lebensmittelhersteller leichter festzustellen, welche Allergene wirklich in ihren Produkten stecken. Weil der Aufwand heute noch so hoch ist, sichern sie sich bisher lieber durch nichtssagende Kennzeichnungen ab wie "kann Spuren von Sesam und Erdnüssen enthalten". Meist sind diese winzigen Mengen aber gar nicht vorhanden. Allergiker kaufen deshalb viele Lebensmittel nicht, die sie eigentlich essen könnten. Für die Hersteller werden die neuen Tests deshalb ein Anreiz sein, Produkte anzubieten, die wirklich frei von Allergenen sind.