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"Angelopoulos glaubte an die Magie des Kinos"

Theo Angelopoulos hat in seinen Filmen keine Landschaften aufgenommen, sagt Kritiker Josef Schnelle, sondern Seelenlandschaften. Er sei ein großer Meister der Plansequenz gewesen - wo andere 400 Einstellungen brauchten, erzählte Angelopoulos seine Geschichte in 100 langsamen Bildern.

Das Gespräch führte Christoph Schmitz |
    O-Ton Theo Angelopoulos: "Ich habe mein ganzes Leben in den Auf- und Abschwüngen der Geschichte verbracht. Meine Kindheit erlebte ich im Krieg. Wenn Sie mich fragen, warum meine Landschaften so dunkel und wolkenverhangen sind, antworte ich, das sind die Landschaften meiner Kindheit. Das hat sich für immer eingeprägt. – Warum berühre und behandle ich diese Themen noch immer? Weil ich sie einfach nicht loswerde. Das sind Obsessionen, regelrechte Albträume."

    Christoph Schmitz: So erläuterte der griechische Filmregisseur Theo Angelopoulos seine Kino-Obsessionen. Im Alter von 76 Jahren ist Angelopoulos gestern in der Nähe von Piräus nach einem Verkehrsunfall gestorben. Während der Dreharbeiten erfasste ihn ein Motorrad.
    Zuerst aber die Filmkunst des Theo Angelopoulos. Hochgeehrt wurden seine Werke. Für "Ewigkeit und ein Tag" erhielt Angelopoulos 1998 die Goldene Palme in Cannes, für "Alexander der Große" den Goldenen Löwen 1980 in Venedig. Dabei war der Grieche gar nicht mal ein Frühstarter als Filmkünstler. Seinen ersten Spielfilm drehte er 1970 mit 35 Jahren, "Die Rekonstruktion", die Geschichte eines Gastarbeiters. Zuvor hatte Angelopoulos Jura studiert, Literatur und Anthropologie in Paris, auch Filmregie. Die schmerzhafte jüngere Geschichte Griechenlands war eines seiner frühen Themen, aber auch andere Dimensionen jenseits des Politischen zeigen seine Arbeiten. Noch mal Angelopoulos:

    O-Ton Theo Angelopoulos: "Als Junge kannte ich keine Märchen. Meine Märchen waren die Mythen, die wir in der Schule hörten, und diese Mythen wurden ein wichtiger Bezugspunkt für mich, weil ich glaube, dass sie ganz ursprüngliche Wahrheiten enthalten."

    Schmitz: Theo Angelopoulos über Mythos und Wahrheit. – Josef Schnelle im Studio, unser Filmkritiker. Was überwiegt bei Angelopoulos - Mythos oder Wirklichkeit?

    Josef Schnelle: Ja, das ist beides immer in seinen Filmen drin. Aber die Wirklichkeit ist natürlich immer überhöht. Angelopoulos glaubte an die Magie des Kinos und hat sie auch wunderbar entfaltet. Jedes Bild in seinen Filmen ist eigentlich so, dass man sich das aufhängen könnte, hat symbolische Anteile, ist aber aus der realen Landschaft genommen – es ist ja viel Landschaft dabei -, und wie wir in dem ersten O-Ton ja schon gehört haben: Es ist Griechenland im Winter. Nie scheint die Sonne, und Griechenland ist ja so ein Sonnenland – auch in unserer Wahrnehmung. Aber daran sieht man ja, dass er nicht wirklich Landschaften aufgenommen hat, sondern Seelenlandschaften. Das hat er ja gerade auch sehr schön erklärt.

    Schmitz: Aber er beginnt bei der politischen, bei der gesellschaftskritischen Geschichte und lässt darin dann das Grundsätzliche des Menschen aufscheinen? Kann man das so sagen?

    Schnelle: Ja, das kann man so sagen. Natürlich ist sein Werk auch sehr politisch. Es ist allerdings auf eine besondere Weise politisch. Man kann da jetzt keine - oft versteht man ja seine Geschichten auch gar nicht, er ist ja kein Geschichtenerzähler. Es geht darum, dass man durch diesen Film poetisch angeregt wird, das ist der Kern der Geschichte, und dann nimmt er halt politische Anlässe, um die Natur des Menschen zu beschreiben.

    Schmitz: Wonach sucht er? Was war die Spur, die er verfolgte in seinen Filmen – thematisch zuerst mal?

    Schnelle: Also man kann sagen, die Reise ist ein großes Motiv und auch die Reise in der Zeit. Man kann fast keinen seiner Filme auf eine bestimmte Zeit und Episode nur so festlegen, sondern er schwebt dann durch die Zeit. Er wollte eigentlich untersuchen, wohin die Utopien verschwunden sind. Das sind ja oft enttäuschte Revolutionäre, die da im Mittelpunkt stehen, oder Menschen, die in der Einsamkeit gefangen sind und sich noch mal auf die Suche nach ihrem wahren Kern begeben. Also das Politische ist schon das Enttäuschte, und dann kommen natürlich die verschiedenen Zeitbrüche – von denen hat er auch gesprochen -, die im Balkan insbesondere stattgefunden haben, aber auch Sowjetunion, Russland, das revolutionäre Russland, das kommt da alles vor. Er hat dann so eine enzyklopädische Art, das aufzufächern.

    Schmitz: Bleibt denn die Utopie als Hoffnung noch bestehen bei ihm, oder ist die Resignation das Dominante?

    Schnelle: Die Resignation ist schon das Dominante. Es zeigt sich auch – das ist ja auch in der Wirklichkeit so -, dass viele Utopien gar keine waren und dass aus den Utopien da ganz schreckliche Dinge erwachsen. Das erzählt er schon alles mit.

    Schmitz: Wie würden Sie seine Filmästhetik, seine Handschrift beschreiben? Mit welchen Bildern, Farben, Schatten stattet er diese Suche aus?

    Schnelle: Er ist ja der große Meister der Plansequenz. Manche Filme von ihm haben 100 Einstellungen. Dazu muss man wissen, dass so ein Hollywood-Film 350 bis 400 Einstellungen hat. Also die Einstellungen sind sehr lang, die Bewegungen sind sehr langsam. Manchmal dreht die Kamera sich dann auch im Kreis und man muss sich darauf einlassen – das ist nicht immer allen gelungen -, man muss sich darauf einlassen, zu sehen. Das ist ein richtiges Kino in dem Sinne, das nicht so dialoglastig ist, sondern das man Bilder analysierend sehen will.

    Schmitz: Geduld musste und muss der Zuschauer immer mitbringen. Entwickelt das eine Magie, oder will er den nüchternen rationalen Zuschauer?

    Schnelle: Nein, das sind schon magische Bilder. Mein Lieblingsfilm ist ja "Der Bienenzüchter", der letzte Film von Marcello Mastroianni. Er hat ja auch mit tollen Schauspielern zusammengearbeitet, Bruno Ganz und so weiter. Auch Marcello Mastroianni in "Der Bienenzüchter", das ist eine Reise in den Tod, aber auch eine Reise zu dem inneren Kern des Seins. Schon die erste Einstellung, wenn der sein Haus abschließt und verlässt, da ist der Tod schon drin, und in der letzten Einstellung lässt er sich von den Bienen zerstechen.

    Schmitz: Die Griechen sind ja gar nicht so begeistert von Angelopoulos wie die Deutschen. Wie kam er nach Deutschland und zu dem Ruhm in Deutschland?

    Schnelle: Ja die Griechen haben ihn natürlich immer beneidet und viele junge Regisseure kamen gar nicht so über ihre Landesgrenzen hinaus. Man muss ja sagen: Eine wichtige Rolle hat einfach die deutsche Filmkritik gespielt, um ihn hier durchzusetzen, zu erklären – mit der Idee, das Land der Griechen mit der Seele suchen -, und das ist ihm gelungen. Das ist leider vorbei, keine schönen Filme mehr von Theo Angelopoulos.

    Schmitz: ... , sagt unser Filmkritiker Josef Schnelle über den griechischen Regisseur Theo Angelopoulos, der gestern nach einem Verkehrsunfall gestorben ist.