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"Angesagt ist eine Kreislaufwirtschaft"

"Wir müssen die Art, wie wir produzieren und konsumieren, grundlegend überdenken", sagt EU-Umweltkommissar Janez Potocnik. Weniger Abfall zu produzieren und mehr zu recyceln, sei das Ziel. Das gelte auch für Plastiktüten. Derzeit würden entsprechende Richtlinien erarbeitet, deren Umsetzung aber bei den Ländern liege.

Janez Potocnik im Gespräch mit Georg Ehring | 15.04.2013
    Georg Ehring: Immer wenn es konkret wird, kommt der Widerstand. Gerade in Deutschland ging ein Sturm der Entrüstung durch das Land, als die Europäische Union die Glühlampe nach und nach aus den Geschäften verbannte. Man darf gespannt sein, was aus der Forderung von Umweltschützern wird, Plastiktüten nicht mehr kostenlos an Verbraucher abzugeben, um damit die Müllflut einzudämmen. Trotzdem hat sich die Europäische Union vorgenommen, sparsamer mit Naturressourcen umzugehen.

    Wie sie das machen will, darüber habe ich vor dieser Sendung mit dem für die Umwelt zuständigen EU-Kommissar Janez Potocnik gesprochen. Ich habe ihn auch gefragt, was er von der Idee hält, dass Verbraucher für Plastiktüten bezahlen müssen.

    Janez Potocnik: Was wir im Augenblick auf europäischer Ebene machen ist, dass wir alle Mitgliedsstaaten zu einer Initiative zusammenbringen, um das Problem der Plastiktüten zu bewältigen. Wir haben das Problem umfassend analysiert; unsere Schlussfolgerung ist eindeutig, dass nämlich wirtschaftliche Steuerungsmechanismen am besten funktionieren. Man könnte auch über Verbote nachdenken, aber das scheint uns hier nicht die angemessene Reaktion. Selbstverständlich haben nach der Vorlage unseres Vorschlages die Mitgliedsstaaten das Recht, diesen Vorschlag umfassend zu diskutieren und dann für ihre Zwecke am geeignetsten umzusetzen.

    Ehring: Plastiktüten sind nur ein Beispiel. Ressourcen werden knapp und Abfälle verschmutzen die Umwelt. Sie sprechen sich für mehr Recycling aus. Welche Ideen haben Sie denn, das umzusetzen?

    Potocnik: Diese Entscheidung liegt nicht bei uns. Auf europäischer Ebene erarbeiten wir eine Richtlinie, und das Wesen der Richtlinie ist, dass bestimmte Zielvorgaben gesetzt werden. Wie dann das umgesetzt wird, liegt dann bei den Mitgliedsstaaten. Wir haben zum Beispiel diese Müllrichtlinie, und da wird festgelegt, dass zunächst einmal die Mitgliedsstaaten eine Hierarchie des Abfalls festzulegen haben, und das erste Ziel dabei ist es, die Menge des Abfalls insgesamt zu senken. Zweitens muss Abfall so weit wie möglich wiederverwertet oder recycled werden. Alles, was recyclebar ist, soll auch so in den Kreislauf zurückgeführt werden. Nur das, was übrig bleibt, darf dann verbrannt oder auf die Deponie verfüllt werden. Wir haben als Zielvorstellung, dass im Jahr 2020 die EU ganz von der Mülldeponie weg kommt. Die Art, wie das dann bestmöglich erreicht wird, liegt bei den Mitgliedsstaaten.

    Ehring: Verbraucher fühlen sich oft von staatlichen Vorgaben für die Gestaltung von Produkten bevormundet, zum Beispiel bei der Abschaffung der Glühbirne. Darf die EU den Verbrauchern vorschreiben, was sie zu kaufen haben?

    Potocnik: Nun, ich habe erfahren, das war ein Fall, der zu erheblicher Missstimmung in Deutschland geführt hat und übrigens nicht in anderen Ländern. Mitunter treffen wir sehr spezifische Entscheidungen, die dann eben nicht überall behagen. Wir müssen hier auch hinhören, was die Verbraucher von uns erwarten. Letztlich aber macht die Kommission Vorschläge, wir können nicht die Entscheidungen direkt beschließen. Es liegt dann bei den Regierungen und bei dem Parlament, hier für Klarheit zu sorgen.

    Lassen Sie mich aber auch sagen: Wir dürfen nicht das große Ganze unterschätzen. Wir müssen wirklich die Herausforderungen erkennen. Zwei davon sind besonders schwerwiegend. Wir werden im Laufe nur einer Generation, in 30 Jahren also, zwei Milliarden zusätzliche Menschen auf diesem Planeten haben. Das ist also ein Zuwachs, der allein mehr Menschen bedeutet als zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf der ganzen Welt lebten. Und wir werden innerhalb von 15 Jahren drei Milliarden Menschen haben, die aus dem Bereich der Armut in die Mittelschicht aufsteigen, also zweimal so viel wie zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts auf dem Planeten lebten. Wenn jemand annehmen sollte, man könnte weiterhin so produzieren und konsumieren, wie das in der Vergangenheit der Fall war, dann würde er wirklich einem groben Irrtum aufsitzen. Wir müssen wirklich die Art, wie wir produzieren und konsumieren, grundlegend überdenken, und das ist fundamental nicht nur für die Frage des Umweltschutzes, sondern es ist auch ein zentrales Thema, damit die Europäische Union ihre Wettbewerbskraft behalten kann. Es geht darum, mit weniger Ressourcenverbrauch, weniger Wasser, weniger Energie, mit weniger Rohstoffen zu produzieren. Angesagt ist eine Kreislaufwirtschaft, eine Kreislaufwirtschaft, die aber nicht als Last für die Zukunft zu verstehen ist, sondern als Chance für uns, damit wir als Europäische Union wettbewerbsstark in die Zukunft gehen und uns als eingebettet in dieses globale Wirtschaftsgeschehen begreifen.

    Ehring: Reichen dafür marktwirtschaftliche Mittel aus?

    Potocnik: Das ist höchst wahrscheinlich, dass wir auch in der Zukunft mit Marktwirtschaft leben werden. Wir haben einfach keinen besseren Rahmen gefunden, um unser Wirtschaftsleben zu organisieren. Dennoch gilt, dass die Marktwirtschaft häufig auch zu Marktversagen geführt hat. Wir hätten sicherlich nicht diese Überfischung von Fischbeständen gehabt, wenn nicht der Markt hier aus dem Ruder gelaufen wäre. Das heißt also: Marktwirtschaft ja, aber stets auch mit den richtigen Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Preise Steuern, Subventionen, die öffentliche Beschaffung, all das zählt, all diese im Wesentlichen wirtschaftlichen Mechanismen wirken. Wir müssen also klare Ziele setzen, damit die Volkswirtschaften in die richtige Richtung gehen. Aber wir brauchen auch die verantwortliche Politik, um die Dinge umzusetzen, von denen ich vorhin bereits gesprochen habe.

    Ehring: Woher soll der Verbraucher wissen, welches Produkt umweltverträglich erzeugt ist? Für Biolebensmittel gibt es ein EU-Siegel, für andere Waren bisher nicht. Wollen Sie das ändern?

    Potocnik: Wir beobachten ein Aufsprießen von den unterschiedlichsten Labels und Etiketten. Wir haben mittlerweile mehr als 400 davon in den unterschiedlichsten Ländern und Kategorien. 48 Prozent der Befragten, also etwa die Hälfte, sagen, dass sie keinerlei Vertrauen mehr in diese Umweltetiketten hätten. Das heißt, durch die verschiedenen Etiketten ist eine Verwirrung entstanden. Wir haben deshalb begonnen, in der Kommission einen Vorschlag auszuarbeiten, wie man das Problem durch eine klare Methodologie in den Griff bekommt. Wir wollen klare einheitliche Normen setzen, sodass sowohl Produkte wie auch Produktionsweisen wie auch die Unternehmen selbst eindeutig klassifizierbar sind, wer ist nun ein umweltfreundliches oder grünes Unternehmen oder Produkt.

    Ehring: Ist der ökologische Fußabdruck eines Produkts etwas, was der Normalverbraucher verwenden kann?

    Potocnik: Ja dieser ökologische Fußabdruck, den ich auch vorhin erwähnt habe, nimmt das gesamte Leben eines Produkts in den Blick. Er erfasst nicht nur die direkten Umweltkosten, sondern auch die indirekten Kosten für die Umwelt, die Belastungen, und er verwendet dabei nicht nur einen Indikator, sondern er ist eine Zusammensetzung von unterschiedlichen Indikatoren. Alles wird mit berücksichtigt in dieser Methode, gestützt auf Erfahrungen und auf die gesamten Umweltfolge-Analysen. Das war auch der Inhalt unseres Vorschlages, den wir vorletzte Woche vorlegten. Wir wollen, dass ein derartiger Indikator eingebaut wird in die gesamten Überlegungen, die sowohl die Verbraucher wie auch die Produzenten anstellen.

    Ehring: EU-Umweltkommissar Janez Potocnik war das im Interview mit dem Deutschlandfunk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.