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Angriff auf die Weihnachtsbäume

Biologie. – In genau einer Woche werden sich Familien in ganz Deutschland in feierlicher Stimmung unter dem Weihnachtsbaum versammeln und dabei möglicherweise hier und da auch ein bekanntes Festtagslied anstimmen. ''Oh, Tannenbaum'' rufen aber auch immer mehr jener Züchter aus, die die Nation mit dem traditionellen Grün versorgen. Denn eine ganze Reihe neuer Schädlinge bedroht ihre Forste.

    Rechte Adventsstimmung will sich am Arbeitsplatz von Rolf Kehr und Leo Pehl nicht einstellen, obwohl die Biologen auf ihrem Tisch einiges an Nadelgrün ausgelegt haben, darunter Zweige etwa von Nordmannstannen oder Stechfichten. Die verschiedenen Sorten werden jedes Jahr zahlreich geschlagen und wandern dann in die weihnachtlichen Wohnzimmer. Doch feierlich ist den Wissenschaftler kaum zumute, angesichts der von Krankheit gezeichneten Äste, die vor ihnen im pathologischen Labor der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig liegen. Auf den ersten Blick erkennen die Experten die abgestorbenen Gewebe an den Ästen und bei näherer Betrachtung findet sich auch ein Hinweis auf den Verursacher, erläutert Kehr: "Mit dem bloßen Auge sind die kleinen gelben Fruchtkörper gerade eben noch erkennbar. Sie stammen von einem Pilz, einer Pezicula-Art." Die auch unter "Rindenscheibe" firmierende Pilzart könne zum Absterben ganzer Weihnachtsbäume führen und zu einem Problem ganzer Tannenkulturen werden.

    Jedes Jahr stehen rund 25 Millionen Weihnachtsbäume Lametta geschmückt in deutschen Wohnzimmern. Ein Mehrfaches davon wächst in Forsten und Kulturen heran. Bislang wurde der gewaltige Bedarf an Fichten und Tannen stets gedeckt, doch ob das so bleibt, scheint fraglich. Denn immer öfter setzen Schädlinge, darunter auch einige neue Krankheitserreger, den Bäumen zu. So etwa ein erst seit kurzem bekannter Mikropilz der Gattung Kabatina, der Tannen-Nadeln in der Mitte absterben und braun werden lässt. Ein anderer Nadelparasit ist so neu, dass ihn bislang noch niemand exakt identifizierte, konstatiert Forstpathologe Pehl: "Wir kriegen vermehrt seit ein bis eineinhalb Jahren Einsendungen von diesem Pilz." Dazu gesellt sich zu allem Überfluss auch noch der Hallimasch, ein großer Ständerpilz, der sich von Nadel- und Laubholz ernährt. Seine Fruchtkörper durchbrechen die Rinde der Bäume und sitzen dann in Büscheln auf dem Stamm, berichtet Rolf Kehr: "Der Hallimasch kann in Weihnachtsbaum-Plantagen ganze Bäume töten. Besonders in Aufforstungen auf ehemaligen Ackerstandorten nimmt er zu. Ebenso ein weiterer Pilz, der so genannte Wurzelschwamm."

    Forstpathologe Kehr rechnet auch in diesem Jahr mit einem Ernteausfall von bis zu zehn Prozent: "In diesem Jahr erwarten wir eine hohe Rate an Nadelschäden, weil es ein sehr nasses Jahr war und Pilzen gute Infektionsbedingungen bescherte." Der Biologe geht davon aus, dass in diesem Jahr einige Pflanzer ihre Ware möglicherweise nicht absetzen können. Dass hinter dem Pilz-Problem der Klimawandel stecken könnte, hält Kehr nicht für ausgeschlossen. Zwar wollen sich Kehr und Pehl dazu nicht festlegen, doch es gebe Hinweise in diese Richtung: "Die Trockenjahre Mitte der 90er Jahre waren ein großer Stress für viele Weihnachtsbaum-Kulturen. Viele Erreger stecken in der Pflanze schon drin und schlagen dann zu , wenn sie merken, dass die Pflanze in eine Stresssituation kommt." Doch trockenere Sommer und regenreichere Winter – so lauten die Prognosen für Europa bei einem Fortdauern des Klimawandels. Nur eine Sorte wird dem widerstehen können – der zerlegbare Weihnachtsbaum aus Plastik.

    [Quelle: Volker Mrasek]