"Okeydokey? Gut!"
Braungebrannt, die eine Hand lässig in der Hosentasche, lässt Peer Steinbrück das Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Das heißt, eigentlich genießt er es, aber nach außen verkauft Steinbrück lieber hanseatische Unterkühltheit. 500 Augenpaare blicken ihn derweil neugierig an, in der völlig überfüllten Ravensberger Spinnerei in Bielefeld, einem edlen Kulturzentrum. Gleich wird der SPD-Politiker über Europa und den Euro referieren. Aber um die K-Frage kommt er natürlich nicht drum rum. Der 65-Jährige weiß das und wird erst mal zickig:
"Nene, Moment, nicht so schnell. Ich möchte gerne vorher wissen, wozu Sie mich befragen wollen."
Zur Kanzlerkandidatur.
"Das ist zu plump."
Zweiter Versuch: Was er denn vorhat im nächsten Jahr? Steinbrück spult seine Sätze runter: Wahlkampf machen und die SPD mit den Grünen zurück in die Regierung führen, aber wer Spitzenkandidat wird, das werde sich erst noch herausstellen. Und dieser Europa-Abend in Bielefeld? Betreibt er Wahlkampf, Profilierung, ein wenig Werbung in eigener Sache? – alles Quatsch.
"Nein, das legt Ihre Branche da immer so rein. Ich mach regelmäßig solche Fahrten oder Reisen."
Früher flog der Ex-Finanzminister zu G8-Gipfeln, jetzt reist er nach Bielefeld. Dass ihm das genügt, nimmt man dem durchaus eitlen Genossen nicht ab. So gibt es dann doch ein Stöckchen, über das er springt: Die Konkurrenz. Gefragt nach Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel, dreht Steinbrück plötzlich auf. Und garniert seine Worte mit einem kleinen Ablenkungsmanöver: Es gehe doch nicht um seine Ambitionen, sondern um die Bürger:
"Ich glaub nicht, dass die Bevölkerung im Moment schlaflose Nächte hat über die Frage, wer Kanzlerkandidat wird. Gerd Schröder ist mal 1998, ein h-a-l-b-e-s Jahr vor der Bundestagswahl, nominiert worden. Wenn Sie zu früh nominiert werden, egal ob Steinmeier, oder Gabriel, oder Steinbrück, oder noch jemand, der sich berufen fühlen sollte, da werden Sie an der Wand entlang gezogen, 12, 15 Monate. Da müssen Sie in jede Hose reinspringen, die mir hingehalten wird, in Form von Mikrofonen.""
Das klingt, als habe sein ehemaliger Sprecher und Vertrauter, Torsten Albig, scheinbar ganz recht. Albig, seit Kurzem Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, hatte sich als erster führender Genosse aus der Deckung gewagt und Steinbrück von der Kanzlerkandidatur abgeraten – er solle sich nicht in dieses Korsett zwängen. Ob Albig mit Korsett die SPD meinte, blieb offen. Aber es tat auch so schon weh genug. Dass Albig dann auch noch Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten empfahl, löste in der SPD einen Shitstorm aus, und die Schneise reicht bis nach Bielefeld:
"Ja, das ist ein Fehler. Jeder Kandidat braucht auch Beinfreiheit, und deshalb kann er sich nicht nur im Korsett bewegen. Das ist der Denkfehler meines früheren Sprechers."
Während seine Freunde aus der SPD-Bundestagsfraktion, die ihn den ganzen Abend umkreisen, verunsichert lachen, wendet sich Steinbrück schnaubend ab und rauscht davon. Knipst sein Lächeln wieder an, wirft zackige Worte ins Publikum und schüttelt Hände. Steinbrück genießt. Dann auch noch warme Worte vom örtlichen Abgeordneten Klaus Brandner:
"Dass ein Referent zu uns gekommen ist, der dafür steht, auch für Verlässlichkeit, für klare Positionen, das freut uns natürlich ganz besonders. Und deshalb begrüßen Sie mir gemeinsam Peer Steinbrück, den Bundesfinanzminister a.D."
Ab jetzt wird "Peer, der Schreckliche", wie sie ihn früher in der SPD nannten, für den Rest des Abends bewundert, gelobt, beklatscht. Und seine Witze finden sie im sonst so wortkargen Ostwestfalen auch gut:
"Ich weiß, dass alle Politiker immer ankündigen, sich an die verabredete Redezeit zu halten, Es gibt einen, der statt der verabredeten 30 nachher 40, 45 Minuten redete. Ganz zum Schluss saß da nur noch ein einziges Männeken vorne in der ersten Reihe. Da unterbrach der Redner etwas irritiert seinen Schwall, und sagte: Sagen Sie mal, warum sitzen Sie denn noch hier? Und darauf antwortet dieses Männeken: Ich bin derjenige, der nach Ihnen reden soll."
Kandidaten-Wahlkampf pur – nach fünf Minuten liegt ihm der Saal voller SPD-Anhänger zu Füßen. Dass der konservative Genosse Steinbrück einst über "linke Heulsusen" witzelte und die SPD mit einem alten Sofa voller Katzenhaare verglich, trägt ihm hier, 400 Kilometer entfernt vom Willy-Brandt-Haus in Berlin, niemand nach. Dabei ist Steinbrück ganz der Alte. Selbst vor dem SPD-Trauma namens Agenda 2010 schreckt er nicht zurück:
"Meiner eigenen Partei sag ich gelegentlich, etwas mehr Stolz über das, was gelungen ist in der Zeit von Gerd Schröder, wär auch nicht so schlecht!"
Dann endlich Europa. Blitzgescheit, mit langen Pausen, rhetorischen Fragen und viel Sprachwitz durchpflügt er die Europapolitik, wirbt für den Euro, verspricht eine Volksabstimmung, falls Souveränitätsrechte nach Brüssel verlagert werden sollten. Und: Der Hanseat wird ungewohnt emotional:
"Europa ist der Ort, wo nachts niemand bei Ihnen klingelt und Sie einfach rausholen kann. Europa ist, dass Sie sofort da draußen hingehen können und gegen mich demonstrieren können. Und dass ich dies akzeptiere. All dies ist Europa."
Peer, der Europäer. Der 65-Jährige weiß ganz genau, dass er nur so eine Chance gegen Angela Merkel hat – sollte er denn Kanzlerkandidat werden dürfen. An diesem Abend führt er vor, warum er sich besser findet als die Kanzlerin:
"Was ich ihr am meisten vorwerfe, ist, dass Sie Ihnen keine Erklärung und Erzählung über Europa bietet."
Nach 40 Minuten brillanter Rede verlässt Steinbrück die Bühne und hinterlässt einen erschöpften Moderator:
"Uff! Würd ich dazu mal sagen. Eine Frage wollt ich stellen: War das die Bewerbungsrede um die Kanzlerkandidatur?"
Braungebrannt, die eine Hand lässig in der Hosentasche, lässt Peer Steinbrück das Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Das heißt, eigentlich genießt er es, aber nach außen verkauft Steinbrück lieber hanseatische Unterkühltheit. 500 Augenpaare blicken ihn derweil neugierig an, in der völlig überfüllten Ravensberger Spinnerei in Bielefeld, einem edlen Kulturzentrum. Gleich wird der SPD-Politiker über Europa und den Euro referieren. Aber um die K-Frage kommt er natürlich nicht drum rum. Der 65-Jährige weiß das und wird erst mal zickig:
"Nene, Moment, nicht so schnell. Ich möchte gerne vorher wissen, wozu Sie mich befragen wollen."
Zur Kanzlerkandidatur.
"Das ist zu plump."
Zweiter Versuch: Was er denn vorhat im nächsten Jahr? Steinbrück spult seine Sätze runter: Wahlkampf machen und die SPD mit den Grünen zurück in die Regierung führen, aber wer Spitzenkandidat wird, das werde sich erst noch herausstellen. Und dieser Europa-Abend in Bielefeld? Betreibt er Wahlkampf, Profilierung, ein wenig Werbung in eigener Sache? – alles Quatsch.
"Nein, das legt Ihre Branche da immer so rein. Ich mach regelmäßig solche Fahrten oder Reisen."
Früher flog der Ex-Finanzminister zu G8-Gipfeln, jetzt reist er nach Bielefeld. Dass ihm das genügt, nimmt man dem durchaus eitlen Genossen nicht ab. So gibt es dann doch ein Stöckchen, über das er springt: Die Konkurrenz. Gefragt nach Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel, dreht Steinbrück plötzlich auf. Und garniert seine Worte mit einem kleinen Ablenkungsmanöver: Es gehe doch nicht um seine Ambitionen, sondern um die Bürger:
"Ich glaub nicht, dass die Bevölkerung im Moment schlaflose Nächte hat über die Frage, wer Kanzlerkandidat wird. Gerd Schröder ist mal 1998, ein h-a-l-b-e-s Jahr vor der Bundestagswahl, nominiert worden. Wenn Sie zu früh nominiert werden, egal ob Steinmeier, oder Gabriel, oder Steinbrück, oder noch jemand, der sich berufen fühlen sollte, da werden Sie an der Wand entlang gezogen, 12, 15 Monate. Da müssen Sie in jede Hose reinspringen, die mir hingehalten wird, in Form von Mikrofonen.""
Das klingt, als habe sein ehemaliger Sprecher und Vertrauter, Torsten Albig, scheinbar ganz recht. Albig, seit Kurzem Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, hatte sich als erster führender Genosse aus der Deckung gewagt und Steinbrück von der Kanzlerkandidatur abgeraten – er solle sich nicht in dieses Korsett zwängen. Ob Albig mit Korsett die SPD meinte, blieb offen. Aber es tat auch so schon weh genug. Dass Albig dann auch noch Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten empfahl, löste in der SPD einen Shitstorm aus, und die Schneise reicht bis nach Bielefeld:
"Ja, das ist ein Fehler. Jeder Kandidat braucht auch Beinfreiheit, und deshalb kann er sich nicht nur im Korsett bewegen. Das ist der Denkfehler meines früheren Sprechers."
Während seine Freunde aus der SPD-Bundestagsfraktion, die ihn den ganzen Abend umkreisen, verunsichert lachen, wendet sich Steinbrück schnaubend ab und rauscht davon. Knipst sein Lächeln wieder an, wirft zackige Worte ins Publikum und schüttelt Hände. Steinbrück genießt. Dann auch noch warme Worte vom örtlichen Abgeordneten Klaus Brandner:
"Dass ein Referent zu uns gekommen ist, der dafür steht, auch für Verlässlichkeit, für klare Positionen, das freut uns natürlich ganz besonders. Und deshalb begrüßen Sie mir gemeinsam Peer Steinbrück, den Bundesfinanzminister a.D."
Ab jetzt wird "Peer, der Schreckliche", wie sie ihn früher in der SPD nannten, für den Rest des Abends bewundert, gelobt, beklatscht. Und seine Witze finden sie im sonst so wortkargen Ostwestfalen auch gut:
"Ich weiß, dass alle Politiker immer ankündigen, sich an die verabredete Redezeit zu halten, Es gibt einen, der statt der verabredeten 30 nachher 40, 45 Minuten redete. Ganz zum Schluss saß da nur noch ein einziges Männeken vorne in der ersten Reihe. Da unterbrach der Redner etwas irritiert seinen Schwall, und sagte: Sagen Sie mal, warum sitzen Sie denn noch hier? Und darauf antwortet dieses Männeken: Ich bin derjenige, der nach Ihnen reden soll."
Kandidaten-Wahlkampf pur – nach fünf Minuten liegt ihm der Saal voller SPD-Anhänger zu Füßen. Dass der konservative Genosse Steinbrück einst über "linke Heulsusen" witzelte und die SPD mit einem alten Sofa voller Katzenhaare verglich, trägt ihm hier, 400 Kilometer entfernt vom Willy-Brandt-Haus in Berlin, niemand nach. Dabei ist Steinbrück ganz der Alte. Selbst vor dem SPD-Trauma namens Agenda 2010 schreckt er nicht zurück:
"Meiner eigenen Partei sag ich gelegentlich, etwas mehr Stolz über das, was gelungen ist in der Zeit von Gerd Schröder, wär auch nicht so schlecht!"
Dann endlich Europa. Blitzgescheit, mit langen Pausen, rhetorischen Fragen und viel Sprachwitz durchpflügt er die Europapolitik, wirbt für den Euro, verspricht eine Volksabstimmung, falls Souveränitätsrechte nach Brüssel verlagert werden sollten. Und: Der Hanseat wird ungewohnt emotional:
"Europa ist der Ort, wo nachts niemand bei Ihnen klingelt und Sie einfach rausholen kann. Europa ist, dass Sie sofort da draußen hingehen können und gegen mich demonstrieren können. Und dass ich dies akzeptiere. All dies ist Europa."
Peer, der Europäer. Der 65-Jährige weiß ganz genau, dass er nur so eine Chance gegen Angela Merkel hat – sollte er denn Kanzlerkandidat werden dürfen. An diesem Abend führt er vor, warum er sich besser findet als die Kanzlerin:
"Was ich ihr am meisten vorwerfe, ist, dass Sie Ihnen keine Erklärung und Erzählung über Europa bietet."
Nach 40 Minuten brillanter Rede verlässt Steinbrück die Bühne und hinterlässt einen erschöpften Moderator:
"Uff! Würd ich dazu mal sagen. Eine Frage wollt ich stellen: War das die Bewerbungsrede um die Kanzlerkandidatur?"