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Angriff der Ambrosie

Botanik.- Neue Daten aus Nordamerika belegen: Die Saison für allergene Pollen der Beifußambrosie hat sich um mehrere Wochen verlängert - und das innerhalb weniger Jahre. Als Ursache dafür sehen die Forscher den Klimawandel.

Von Volker Mrasek | 22.02.2011
    Sie wächst bevorzugt auf Schutt- und Brachflächen, wird bis zu 1,50 Meter hoch, hat große, gefiederte Blätter, einen oft rötlichen Stängel und männliche Blütenstände, die wie Getreide-Ähren aussehen– das ist der Steckbrief der Beifußambrosie. Das Gewächs aus der Familie der Korbblütler hat einen denkbar schlechten Ruf. Sein Blütenstaub ist nämlich stark allergieauslösend. Dabei kann jede einzelne Ambrosie bis zu einer Milliarde Pollen pro Saison freisetzen.

    Karl-Christian Bergmann, Lungenfacharzt im Allergiezentrum der Berliner Charité-Klinik:

    "10 bis 15 Pollen reichen aus, um akute Symptome zu machen. Die Birke ist ja auch relativ aggressiv. Aber wir brauchen bei der Birke mindestens 30 bis 40."

    In Ihrer Heimat Nordamerika gilt die Beifußambrosie vor allen anderen Pflanzen als häufigster Verursacher von Heuschnupfen und allergischem Asthma.

    Von dort kommen jetzt schlechte Nachrichten über das ungeliebte Kraut. Wissenschaftler haben die Daten von zehn Messstellen ausgewertet, in denen Blütenstaub systematisch gesammelt wird, in sogenannten Pollenfallen. Die Stationen überspannen fast den gesamten Kontinent von Norden nach Süden - von Saskatoon in Kanada bis Georgetown in Texas. Die Daten zeigen, dass die Saison für Pollen der Ambrosie heute zum Teil beträchtlich länger ist als noch vor 15 Jahren – mit einem starken Nord-Süd-Gefälle.

    Der Pflanzenphysiologe Lewis Ziska aus dem staatlichen Agrarforschungszentrum der USA in Beltsville nahe Washington:

    "In Stationen im Süden der USA wie in Texas und Arkansas sehen wir keine so starke Verlängerung der Pollensaison. Aber je weiter man nach Norden kommt, desto größer werden die Veränderungen. In Süd-Kanada ist die Saison für Pollen der Ambrosie heute etwa vier Wochen länger als vor fünfzehn Jahren."

    Damit verlängert sich auch die Leidenszeit für Allergiker, in der sie mit Heuschnupfen oder Asthmaanfällen durch Blütenstaub rechnen müssen. Die Beifußambrosie ist ein Spätzünder in der Saison. Im wärmeren Süden blüht sie schon immer bis in den Spätherbst hinein. Doch nun verlängert sich die Phase der Pollenproduktion auch im Norden. Als Ursache dafür sehen die Forscher den Klimawandel. Er mache sich in höheren Breiten stärker bemerkbar:

    "Sobald der erste Frost-Tag im Herbst auftritt, stoppt die Beifußambrosie ihre Pollenproduktion. Und was wir beobachten, ist: Je weiter man nach Norden geht, desto stärker hat sich der erste Herbstfrost in den letzten Jahren nach hinten verschoben. Dadurch bekommt die Ambrosie mehr Zeit, um ihren Pollen zu produzieren. Ich muss gestehen, dass ich vom Ausmaß dieses Effektes sehr überrascht bin. Ich rechnete damit, dass die Blüteperiode vielleicht um eine Woche länger geworden sein könnte. Aber nicht gleich um vier Wochen!"

    In Mitteleuropa breitet sich die Beifußambrosie inzwischen auch stärker aus. Die Pflanze gilt als wärmeliebend. Steigende Temperaturen begünstigen deshalb ihre Expansion.

    Lewis Ziska kann sich ähnliche Entwicklungen wie in Nordamerika auch für Europa vorstellen:

    "Wenn man die ungleich stärkere Erwärmung in höheren Breiten betrachtet, kann man erwarten, dass die Beifußambrosie weiter nach Norden wandert. Und dass man zum Beispiel auch in Skandinavien allmählich stärkere Pollen-Belastungen sieht. Das gilt übrigens nicht nur für die Ambrosie. Auch die Birke und andere allergene Pflanzen könnten ihre Pollenproduktion klimabedingt steigern."

    Hinweise darauf gibt es schon jetzt. So hat die Belastung der Luft mit Blütenstaub von Birke, Erle und Haselnuss nachweislich zugenommen. Ebenso die Zahl von Pollen-Allergikern. Das zeigen aktuelle Daten für Deutschland. Es handelt sich also um ein Gesundheitsproblem, das größer wird - und das die eingeschleppte Beifußambrosie zusätzlich verschärft ...