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Angst als Sicherheit

Italiens Regierungspartei Lega Nord hat sogenannte Bürgerwehren legalisiert. Seitdem patrouillieren viele selbsternannte Sheriffs durch die Straßen Mailands, um ihre Vorstellunen von Recht und Ordnung durchzusetzen. Ein neu gegründeter Verein, "Milano sicura", will sogar alle Stadtviertel Mailands von freiwilligen Bürgerwehren kontrollieren lassen.

Von Kirstin Hausen |
    Kurz nach 22 Uhr im Mailänder Stadtteil Porta Romana. Es ist nicht etwa ein Problembezirk, sondern hier wohnt der Mailänder Mittelstand: Gepflegte Häuser, hohe Mieten, gute Restaurants. Und doch gibt es Grund genug, abends durch die Straße zu patrouillieren, meinen die Freiwilligen der Bürgerwehr, die sich am vereinbarten Treffpunkt eingefunden haben.

    "Die Prostitution ist das Hauptproblem. Hier ist nachts der Jungenstrich."

    Stefano Villa verzieht das Gesicht.

    "Wer hier wohnt, sieht widerliche Dinge: die Verhandlungen mit den Freiern und manchmal auch den Sex, die verstecken sich nämlich nicht. Für mich und meine Tochter ist das auch gefährlich, die stehen ja alle unter Drogen und können gewalttätig werden."

    Franca Peretti, die einzige Frau der Gruppe, gibt zwar zu, dass sich die Situation gebessert hat, seitdem die Stadt Videokameras installiert hat. Trotzdem ist sie genauso wie ihr Mann Guido von der Idee der Bürgerwehr begeistert.

    "Wir wollen nicht nur tatenlos zuschauen, sondern etwas tun!"

    Derzeit schießen die Bürgerwehren in Italien wie Pilze aus dem Boden. Grund dafür ist auch das anhaltende Entsetzen über die Vergewaltigung einer 14-Jährigen am Valentinstag in Rom. Dieses Verbrechen, über dessen Einzelheiten Tag für Tag in den Zeitungen berichtet wird, war der Auslöser für die Legalisierung von Bürgerwehren im Sicherheitsdekret der Regierung und hat bewirkt, dass diese Form der kollektiven Selbstverteidigung nun auch in liberalen Kreisen auf Akzeptanz stößt, zum Beispiel bei der moderaten Oppositionspartei "Partito Democratico".

    Bei den anderen Oppositionsparteien, von den Grünen bis zu den Kommunisten, sorgt das für Kopfschütteln. Bei einem Treffen von Politikern und Gewerkschaftern kürzlich in Mailand hat der Lokalpolitiker Eugenio Balsamo die Bürgerwehren scharf kritisiert.

    "Das ist pure Propaganda, damit die Regierung zeigen kann, wie entschlossen sie sich für mehr Sicherheit einsetzt. Und gleichzeitig ist es eines zivilisierten Landes nicht würdig, sondern entspricht der Kultur, die die Lega Nord verbreitet: Jeder ist sich selbst der Nächste und muss sein Haus eigenhändig verteidigen. Das ist sehr gefährlich. Wir sind hier wirklich an einem Wendepunkt und müssen diese Aktionen mit allen Mitteln bekämpfen"."

    Für Eugenio Balsamo, Mitglied der Grünen, entfernt sich Italien immer mehr von seinen demokratischen Grundsätzen. Erst habe die Regierung Berlusconi kurz nach ihrem Wahlsieg vergangenes Jahr Soldaten eingesetzt, um für mehr Sicherheit auf den Straßen zu sorgen, nun werde der Weg für paramilitärische Gruppen geebnet.

    Der Lega-Nord-Aktivist Alessandro Morelli, der die Bürgerwehren in Mailand koordiniert, und auch bei der abendlichen Patrouille dabei ist, weist diese Sichtweise zurück.

    " "Wir organisieren dann eine solche Gruppe, wenn wir von Bürgern angesprochen werden. Wir wollen, dass die Bürger das irgendwann autonom machen."

    Alessandro Morelli verteilt blaue Westen mit der Aufschrift "Milano sicura", sicheres Mailand, dann geht es los.

    Die Freiwilligen zücken ihre Handys, um verdächtige Vorkommnisse fotografieren zu können, und überqueren die Piazza Trento.

    "Unsere Präsenz hier heute Abend, bei Regen und Wind, dient dazu, dieses Viertel zu befreien. Wir können das Problem nicht lösen, aber es ist doch gut zu wissen, dass hier jemand auch zu nächtlicher Stunde unterwegs ist und beobachtet, was passiert. So schüchtern wir die Herren hier vielleicht etwas ein"

    Von den "Herren", die hier angeblich Sex gegen Geld anbieten, ist niemand zu sehen. Die einzigen Männer, die ebenfalls unterwegs sind, entpuppen sich als Polizisten in zivil. Sie sind hier, um ein Auge auf die Bürgerwehr zu haben. Absurd, nennt das der grüne Oppositionspolitiker Eugenio Balsamo.

    "Die Polizei hat jetzt die doppelte Arbeit: Sie muss Verbrecher fassen und auch noch auf diese sogenannten Bürgerwehren aufpassen."