"Ich kann mich an Patienten erinnern, die gezielt einen Bürojob vorgezogen haben, damit sie nur nicht in Kundenkontakt kommen, weil das für sie sehr angstauslösend war; oder ein Patient, ein Krankenpfleger, für den massiv angstauslösend war, diese morgendlichen Übergaben auf der Station, weil dann jeder etwas sagen muss zu den Patienten. Das geht weit über das hinaus, was man als Schüchternheit oder Befangenheit bezeichnen kann, weil die Befürchtung besteht, dass das, was man sagt oder tut, als peinlich wahrgenommen wird, dass einen die anderen entsprechend zurückweisen. Das wären so die Kernängste der betroffenen Patienten."
Die Psychologieprofessorin Christiane Hermann leitet an der Universität Gießen den jüngst eingerichteten Behandlungs- und Forschungsschwerpunkt "soziale Angst", der ein neues integriertes Konzept anbietet: Patienten werden zum Diagnosetest mit verschiedenen Fragebögen eingeladen. Anschließend erfahren sie in einem Beratungsgespräch die Ergebnisse und welche Behandlungsmöglichkeiten es für sie gibt, vor allem aus dem Bereich der Verhaltenstherapie, die sich bei sozialen Angststörungen bewährt hat.
Darüber hinaus können die Patienten - natürlich freiwillig - an wissenschaftlichen Studien teilnehmen - mit einem für sie doppelten Vorteil: Die Wartezeit auf einen Therapieplatz ist ziemlich kurz und die Behandlungsmethode auf dem wissenschaftlich neuesten Stand.
"Wir haben uns hier überlegt, dass es sinnvoll wäre, tatsächlich an einem Störungsbild einen Schwerpunkt einzurichten, der Grundlagenforschung und therapeutische Versorgung von Patienten mit einer Angststörung besser integriert, mit der Idee, dass wir besser verstehen, wie die soziale Angst entsteht, wie sie aufrechterhalten wird und wie man sie auch entsprechend therapieren kann."
Eine der wissenschaftlichen Studien des Teams von Christiane Hermann führt die gleichnamige Psychologin Andrea Hermann durch. Sie untersucht die Gehirnaktivitäten bei Menschen mit sozialer Angst.
"Wir verwenden die funktionelle Magnetresonanztomografie. Man kennt das meistens auch aus dem Fernsehen. Da werden Patienten auf eine Liege gelegt, in so eine Röhre geschoben. Und man kann dann ganz indirekt die Gehirnaktivitäten messen, während verschiedene Bilder betrachtet werden, auch Filme, oder sonstige Aufgaben ausgeführt werden."
Der Proband in der Röhre schaut sich Bilder an, auf denen verärgerte Gesichter dargestellt sind. Gleichzeitig liefert der Computertomograf Daten jener Gehirnareale, in denen Emotionen verarbeitet werden.
"Wir vergleichen dann zum Beispiel verschiedene Versuchsbedingungen: die ärgerlichen Gesichtsausdrücke im Vergleich zu eher neutralen Gesichtsausdrücken, nicht so bedrohlichen Gesichtsausdrücken. Und sehen uns an, welche Bereiche im Gehirn stärker aktiviert sind, bei den Ärger-Gesichtsausdrücken."
Diese Studie über Gehirnaktivitäten liefert keine ursächliche Erklärung für die Entstehung von sozialen Ängsten. Vielmehr versucht sie zu erhellen, welche funktionalen Zusammenhänge zwischen neurobiologischen Vorgängen und psychischen Regungen bestehen, also zwischen Gehirn und Gefühl. Von dieser Untersuchung erhofft sich Andrea Hermann außerdem Aufschluss über den Effekt und die Nachhaltigkeit von Therapien bei einer sozialen Angststörung.
"Wir sind daran interessiert, welche neurobiologischen Grundlagen solche sozialen Ängste haben. Da gibt es schon einiges an Forschung zu. Was aber noch nicht so häufig untersucht wurde, ist tatsächlich, was Therapie an diesen neurobiologischen Grundlagen verändert, also was genau passiert im Gehirn, wenn ein Patient mit sozialen Ängsten eine Therapie bekommt und dann wieder in eine Situation gebracht wird, die emotional schwierig für ihn ist."
Sieht es in den Verarbeitungsprozessen des Gehirns nach einer Therapie anders aus? Zeigt sich ein neurologischer Niederschlag der Therapie? Zurzeit läuft am Gießener Forschungsschwerpunkt auch eine zweite grundlagenorientierte Studie zur Sozialphobie. Diese Untersuchung fokussiert den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Alkohol bei sozialer Angst. Man hat, so Christiane Hermann, festgestellt, dass Menschen die sozial ängstlich sind, dazu neigen, Alkohol zu trinken und auch in eine Alkoholabhängigkeit zu geraten.
"Wir untersuchen beispielsweise: Wie verändert Alkohol die Wahrnehmung in solchen sozialen Situationen? Reagiere ich dann auf meine Interaktionspartner etwas anders? Nehme ich beispielsweise Gesichtsausdrücke anders wahr, als wenn ich keinen Alkohol zu mir nehme? Das ist eine Studie die wir im Moment auch noch durchführen. Und der Patient würde dann unter Umständen die Therapie durchlaufen, würde dann erneut an so einer Untersuchung teilnehmen, damit wir herausfinden können, was verändert sich tatsächlich auch im Gehirn, beziehungsweise bei anderen Informationsverarbeitungsprozessen durch die Therapie."
Diese Studie arbeitet nicht mit Computertomografie, sondern mit klassischen psychologischen Tests. Man will herausfinden, worauf sich die Aufmerksamkeit der Teilnehmer konzentriert.
"Man weiß aus vielen Studien, dass Personen die sozial ängstlich sind, ihre Aufmerksamkeit automatisch mehr auf potenziell bedrohliche soziale Reize richten, also beispielsweise auf ärgerliche Gesichtsausdrücke. Wir machen ein entsprechendes Experiment und bieten tatsächlich den Teilnehmern Alkohol an. Das heißt, eine Gruppe bekommt Alkohol, eine andere Gruppe nicht; und wir vergleichen dann, was sich verändert, wenn man entsprechend Promille intus hat. Man geht natürlich nicht volltrunken aus der Studie heraus, das ist sichergestellt, dass da nichts passiert, aber wir machen das tatsächlich mit Alkoholgabe, sonst könnte man nicht untersuchen, was sich durch den Alkohol verändert."
In der Therapie selbst wiederum geht es darum, in Rollenspielen Angst besetzte Situationen zu meistern. Viele Patienten haben sich vermeintliche Sicherheitsstrategien zugelegt. Sie tragen hochgeschlossene Kleidung, um eventuelle rote Flecken der Aufregung zu verbergen. Oder sie halten, um durch kein Zittern ihre Unsicherheit zu verraten, krampfhaft einen Stift fest - und werden dadurch erst recht auffällig.
"Ziel dieser Therapie ist nicht, dass ich grundsätzlich keine Angst mehr habe, das wäre eher schädlich, sondern dass ich lerne, mit der Angst anders umzugehen, und die entsprechend in den Situationen zu kontrollieren und auf ein realistisches Maß zu reduzieren. Und das Interessante in der Therapiestudie ist sicher, dass sie tatsächlich überprüft, ob so eine Psychotherapie auch entsprechende Veränderungen im Gehirn bewirkt, also auch wirklich biologisch nachweisbare Veränderungen erzielt."
Die Psychologieprofessorin Christiane Hermann leitet an der Universität Gießen den jüngst eingerichteten Behandlungs- und Forschungsschwerpunkt "soziale Angst", der ein neues integriertes Konzept anbietet: Patienten werden zum Diagnosetest mit verschiedenen Fragebögen eingeladen. Anschließend erfahren sie in einem Beratungsgespräch die Ergebnisse und welche Behandlungsmöglichkeiten es für sie gibt, vor allem aus dem Bereich der Verhaltenstherapie, die sich bei sozialen Angststörungen bewährt hat.
Darüber hinaus können die Patienten - natürlich freiwillig - an wissenschaftlichen Studien teilnehmen - mit einem für sie doppelten Vorteil: Die Wartezeit auf einen Therapieplatz ist ziemlich kurz und die Behandlungsmethode auf dem wissenschaftlich neuesten Stand.
"Wir haben uns hier überlegt, dass es sinnvoll wäre, tatsächlich an einem Störungsbild einen Schwerpunkt einzurichten, der Grundlagenforschung und therapeutische Versorgung von Patienten mit einer Angststörung besser integriert, mit der Idee, dass wir besser verstehen, wie die soziale Angst entsteht, wie sie aufrechterhalten wird und wie man sie auch entsprechend therapieren kann."
Eine der wissenschaftlichen Studien des Teams von Christiane Hermann führt die gleichnamige Psychologin Andrea Hermann durch. Sie untersucht die Gehirnaktivitäten bei Menschen mit sozialer Angst.
"Wir verwenden die funktionelle Magnetresonanztomografie. Man kennt das meistens auch aus dem Fernsehen. Da werden Patienten auf eine Liege gelegt, in so eine Röhre geschoben. Und man kann dann ganz indirekt die Gehirnaktivitäten messen, während verschiedene Bilder betrachtet werden, auch Filme, oder sonstige Aufgaben ausgeführt werden."
Der Proband in der Röhre schaut sich Bilder an, auf denen verärgerte Gesichter dargestellt sind. Gleichzeitig liefert der Computertomograf Daten jener Gehirnareale, in denen Emotionen verarbeitet werden.
"Wir vergleichen dann zum Beispiel verschiedene Versuchsbedingungen: die ärgerlichen Gesichtsausdrücke im Vergleich zu eher neutralen Gesichtsausdrücken, nicht so bedrohlichen Gesichtsausdrücken. Und sehen uns an, welche Bereiche im Gehirn stärker aktiviert sind, bei den Ärger-Gesichtsausdrücken."
Diese Studie über Gehirnaktivitäten liefert keine ursächliche Erklärung für die Entstehung von sozialen Ängsten. Vielmehr versucht sie zu erhellen, welche funktionalen Zusammenhänge zwischen neurobiologischen Vorgängen und psychischen Regungen bestehen, also zwischen Gehirn und Gefühl. Von dieser Untersuchung erhofft sich Andrea Hermann außerdem Aufschluss über den Effekt und die Nachhaltigkeit von Therapien bei einer sozialen Angststörung.
"Wir sind daran interessiert, welche neurobiologischen Grundlagen solche sozialen Ängste haben. Da gibt es schon einiges an Forschung zu. Was aber noch nicht so häufig untersucht wurde, ist tatsächlich, was Therapie an diesen neurobiologischen Grundlagen verändert, also was genau passiert im Gehirn, wenn ein Patient mit sozialen Ängsten eine Therapie bekommt und dann wieder in eine Situation gebracht wird, die emotional schwierig für ihn ist."
Sieht es in den Verarbeitungsprozessen des Gehirns nach einer Therapie anders aus? Zeigt sich ein neurologischer Niederschlag der Therapie? Zurzeit läuft am Gießener Forschungsschwerpunkt auch eine zweite grundlagenorientierte Studie zur Sozialphobie. Diese Untersuchung fokussiert den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Alkohol bei sozialer Angst. Man hat, so Christiane Hermann, festgestellt, dass Menschen die sozial ängstlich sind, dazu neigen, Alkohol zu trinken und auch in eine Alkoholabhängigkeit zu geraten.
"Wir untersuchen beispielsweise: Wie verändert Alkohol die Wahrnehmung in solchen sozialen Situationen? Reagiere ich dann auf meine Interaktionspartner etwas anders? Nehme ich beispielsweise Gesichtsausdrücke anders wahr, als wenn ich keinen Alkohol zu mir nehme? Das ist eine Studie die wir im Moment auch noch durchführen. Und der Patient würde dann unter Umständen die Therapie durchlaufen, würde dann erneut an so einer Untersuchung teilnehmen, damit wir herausfinden können, was verändert sich tatsächlich auch im Gehirn, beziehungsweise bei anderen Informationsverarbeitungsprozessen durch die Therapie."
Diese Studie arbeitet nicht mit Computertomografie, sondern mit klassischen psychologischen Tests. Man will herausfinden, worauf sich die Aufmerksamkeit der Teilnehmer konzentriert.
"Man weiß aus vielen Studien, dass Personen die sozial ängstlich sind, ihre Aufmerksamkeit automatisch mehr auf potenziell bedrohliche soziale Reize richten, also beispielsweise auf ärgerliche Gesichtsausdrücke. Wir machen ein entsprechendes Experiment und bieten tatsächlich den Teilnehmern Alkohol an. Das heißt, eine Gruppe bekommt Alkohol, eine andere Gruppe nicht; und wir vergleichen dann, was sich verändert, wenn man entsprechend Promille intus hat. Man geht natürlich nicht volltrunken aus der Studie heraus, das ist sichergestellt, dass da nichts passiert, aber wir machen das tatsächlich mit Alkoholgabe, sonst könnte man nicht untersuchen, was sich durch den Alkohol verändert."
In der Therapie selbst wiederum geht es darum, in Rollenspielen Angst besetzte Situationen zu meistern. Viele Patienten haben sich vermeintliche Sicherheitsstrategien zugelegt. Sie tragen hochgeschlossene Kleidung, um eventuelle rote Flecken der Aufregung zu verbergen. Oder sie halten, um durch kein Zittern ihre Unsicherheit zu verraten, krampfhaft einen Stift fest - und werden dadurch erst recht auffällig.
"Ziel dieser Therapie ist nicht, dass ich grundsätzlich keine Angst mehr habe, das wäre eher schädlich, sondern dass ich lerne, mit der Angst anders umzugehen, und die entsprechend in den Situationen zu kontrollieren und auf ein realistisches Maß zu reduzieren. Und das Interessante in der Therapiestudie ist sicher, dass sie tatsächlich überprüft, ob so eine Psychotherapie auch entsprechende Veränderungen im Gehirn bewirkt, also auch wirklich biologisch nachweisbare Veränderungen erzielt."