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"Angst ist ein schlechter Ratgeber"

Ethik. - Regina Ammicht-Quinn ist Professorin am Zentrum für Ethik in der Wissenschaft der Universität Tübingen. Für die Nutzung sogenannter Nacktscanner fordert sie, die entstehenden Bilder zu anonymisieren. Anderenfalls könnten zum Beispiel Menschen mit verdeckten Behinderungen emotional verletzt werden, warnte sie im Gespräch mit Ralf Krauter.

    Krauter: Bundesinnenminister Thomas de Maizière ließ verlauten, Terahertz-Scanner dürften nur zum Einsatz kommen, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Die Geräte müssen zuverlässig sein, dürfen nicht krank machen und sie müssen die Persönlichkeitsrechte wahren. Ist dieser Forderungskatalog wirklich ausreichend? Das fragte ich vorhin die Wissenschafts-Ethikerin Professor Regina Ammicht-Quinn von der Universität Tübingen, die seit einigen Jahren die gesellschaftlichen Implikationen der Terahertz-Scanner erforscht.

    Ammicht-Quinn: Im Prinzip stimme ich damit überein, die ersten beiden Punkte sind auf jeden Fall richtig. Ich habe meine Schwierigkeiten mit dem Persönlichkeitsrecht. Das klingt so ein bisschen wie das Wahre, Schöne, Gute und ich glaube, wir müssen da sehr viel konkreter werden und sehr viel konkreter nachfragen, was dahinter steckt. Das kommt drauf an, welches Gerät an welchem Ort unter welchen Bedingungen und mit welchem Personal benutzt wird. Also wir müssen hier wirklich konkret werden. Nur mit Totschlagsargumenten wie Menschenwürde oder Persönlichkeitsrecht in die Debatte zu gehen, hat, glaube ich, keinen Sinn. Was dahinter steht, ist natürlich: Wir brauchen einen größtmöglichen Privatheitsschutz, einen Schutz, der dann aber schon wieder ganz schwierig wird, weil: es ist von Mensch zu Mensch und von Kultur zu Kultur völlig unterschiedlich, ob das Angesehenwerden oder das Angefasstwerden meine Intimsphäre stärker verletzt.

    Krauter: Die Ingenieure versprechen ja Auswege, die diese ethischen Fallstricke zu umschiffen helfen sollen, indem zum Beispiel – das sollen die neuen Geräte können – gar keine nackten Personen mehr gezeigt werden, keine echten Bilder, sondern nur noch symbolisierte Strichmännchen. Die künftigen Nacktscanner wären also gar keine im wörtlichen Sinne. Wär das dann schon ein erster wichtiger Schritt, um diese Forderung nach Privatsphäre zu erfüllen?

    Ammicht-Quinn: Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt. Und das ist auch eine Forschung, die wir von Beginn an eingefordert haben, die Forschung an der Anonymisierung von Bildern. Ich bin mir nicht sicher, was der technische Stand dieser Anonymisierung im Moment ist oder ob hier viel versprochen wird, was tatsächlich technisch noch nicht gehalten werden kann. Wenn das so ist, ist das ein wichtiger Schritt. Aber es löst nicht alle Probleme. Denn auch wenn die Bilder keine Nacktbilder mehr sind, ist eine Gruppe von Menschen besonders negativ betroffen und das sind Menschen mit verdeckten Behinderungen.

    Krauter: Weil die auf den Bildern trotzdem zu erkennen wären.

    Ammicht-Quinn: Man muss sich das so vorstellen: Die Geräte unterscheiden zwischen Mensch und Nichtmensch. Und alles was als Nichtmensch unter der Kleidung identifiziert wird, löst einen Alarm aus. Und dieses Nichtmensch mag ein Keramikmesser oder mag Plastiksprengstoff sein, es kann aber auch eine Brustprothese sein oder ein Insulin-Port oder ein künstlicher Darmausgang.

    Krauter: Aus diesem Grund hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar jetzt, heute, in einem Zeitungsinterview gefordert, dass die neuen Scanner das eben auch unterscheiden können müssen, also zwischen künstlichem Darmausgang zum Beispiel und einer Waffe ... Das ist technisch aber wahrscheinlich noch in weiter Zukunft.

    Ammicht-Quinn: Das geht, wenn wir einen Nacktscanner haben, und dann haben wir wieder die Probleme mit den nackten Bildern.

    Krauter: Das Bizarre an der Diskussion ist ja, dass namhafte Politiker innerhalb von einem Jahr ihre Meinung komplett geändert haben. Vor einem Jahr hieß es noch, diese Geräte sind Teufelszeug, die wollen wir auf keinen Fall. Jetzt plädieren viele für die möglichst rasche Einführung unter Einhaltung bestimmter Auflagen. Kann eine veränderte Bedrohungslage, wie sie sich an Weihnachten dargestellt hat, denn ethische Normen so schnell ins Wanken bringen?

    Ammicht-Quinn: Es kann ein allgemeines Lebensgefühl stark verändern. Und wir sehen ja auch, dass die Debatten vom Herbst 2008 und die aktuelle Debatte unter unterschiedlichen emotionalen Vorzeichen laufen. Die Debatte im Herbst 2008 lief unter dem emotionalen Vorzeichen der Empörung, der flächendeckenden Empörung. Und die Debatte heute läuft unter dem Vorzeichen von Angst. Angst ist ein schlechter Ratgeber und wir müssen uns selbst klarmachen, was passiert, wenn Angst der Ratgeber wird, und wie wir das verhindern können.

    Krauter: Angst ist ein schlechter Ratgeber bei der Einführung umstrittener Sicherheitstechnologien sagte Regina Ammicht-Quinn von der Universität Tübingen.