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Angst vor dem Wahlkampfthema AKW

Seit 1983 gilt in Spanien ein Moratorium für neue Kernkraftwerke, neue Anlagen wurden seither nicht mehr gebaut. So sind von den rund 20 einstmals vorgesehenen AKW heute nur acht Anlagen in Betrieb. Zwei davon sind besonders umstritten.

Von Hans-Günter Kellner |
    "Die entschlossenste Reaktion auf die Nuklear-Krise in Japan kommt aus Deutschland."

    So berichten die spanischen Fernsehnachrichten über die Debatte um Konsequenzen aus den Störfällen in den japanischen Kernkraftwerken. Die beiden großen spanischen Parteien hingegen winden sich bei ihren Pressekonferenzen an diesen Tagen um konkrete Antworten zur Kernenergie. Marcelino Iglesias, Generalsekretär der regierenden Sozialisten erklärt:

    "Herr Rajoy von der Opposition erstaunt uns, wie er mitten in dieser Informationsflut nur über dieses Thema sprechen möchte. Das ist jetzt wirklich nicht der Augenblick für eine ernsthafte Debatte."

    Denn im Mai wählen die Spanier neue Kommunalparlamente, und die Politiker fürchten das Wahlkampfthema Atomkraft ganz offensichtlich. Auch Dolores de Cospedal von der konservativen Volkspartei antwortet nur noch verklausuliert auf die Frage, ob ihre Partei an der Kernenergie festhält:

    "Entscheidungen über die Möglichkeit zum Bau neuer Kernkraftwerke müssen gemeinsam mit den Technikern und Experten von der Atomaufsicht gefällt werden. Politische Entscheidungen werden wir hier nicht treffen."

    Vor den Ereignissen in Japan haben sich die Politiker beider großen Parteien klar für die Kernenergie ausgesprochen – jetzt fürchten sie, dabei zu deutlich geworden zu sein. Die Stiftung der Volkspartei hatte empfohlen, Spanien solle sein bisheriges Moratorium zum Bau neuer Atomkraftwerke aufkündigen und mehrere neue Anlagen bauen. Die Sozialisten lehnen das zwar ab, haben den Kraftwerksbetreibern per Gesetz aber erst vor wenigen Wochen Laufzeitverlängerungen ermöglicht. Dabei halten Umweltaktivisten die Kernenergie in Spanien für überflüssig. Diesen Winter produzierten die erneuerbaren Energiequellen dem Netzbetreiber zufolge die Hälfte des Stroms und könnten nach Meinung von Energieexperte Carlos Bravo von Greenpeace diesen Anteil noch ausbauen:

    "Wir haben beim Institut für Technologische Untersuchungen der Katholischen Universität von Comillas ein Gutachten über das Potenzial der erneuerbaren Energiequellen in Spanien in Auftrag gegeben. Das Institut legt dabei einen wachsenden Stromverbrauch zugrunde und kommt zu dem Schluss, dass wir bis zum Jahr 2050 vor allem mit der Fotovoltaik, der thermischen Solarenergie, der Windenergie, Wasserkraft und anderen ergänzenden erneuerbaren Energiequellen unseren Bedarf zuverlässig um ein Vielfaches decken könnten."

    Ähnliche Studien liegen auch der Parteistiftung der regierenden Sozialisten vor. Doch die Regierung hat zuletzt unter dem Spardruck die Subventionen für die Fotovoltaik gekürzt und gleichzeitig die Laufzeit des 1971 in Betrieb genommenen AKW Garoña in Nordspanien bis 2013 verlängert. Das Kraftwerk trägt mit etwa eineinhalb Prozent zum gesamten Stromverbrauch in Spanien bei, hat sich aber auch als pannenanfällig erwiesen. Zudem sieht Carlos Bravo nicht nur in Naturkatastrophen wie in Japan oder menschlichem Versagen wie in Harrisburg Gefahren.

    Im Kraftwerk Cofrentes in der Nähe von Valencia deckte eine Greenpeace-Aktion vor kurzem andere Sicherheitsmängel auf:

    "Unsere Leute hatten überhaupt keine Probleme, da rein zu kommen. Sie brauchten zehn Minuten dafür. Als die Polizei kam, waren wir längst auf dem Kühlturm – ohne irgendwelche Gewaltanwendung. Ich hatte zu Beginn bei der Atomaufsicht angerufen und die Aktion angekündigt. Trotzdem konnten unsere Leute auf den Turm klettern, das Wort "Atomgefahr" drauf malen, ohne, dass es die Leute im Kraftwerk überhaupt merkten. Die Polizei kam erst nach einer Stunde."

    Die Aktion sollte auf die Anfälligkeit der Kernkraftwerke für terroristische Anschläge aufmerksam machen.

    Während die großen Parteien ihre Argumente in der für sie unerwarteten Energiedebatte noch sortieren, formiert sich schon seit einigen Monaten eine neue Partei als Sammelbecken vor allem für von den Sozialisten enttäuschte umweltbewusste Wähler. Ihre Chancen sind ungewiss, keine grüne Partei hat je den Einzug ins spanische Parlament geschafft. Die Betreiber hoffen trotzdem auf zehn Prozent bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr und werden von den europäischen Grünen unterstützt.