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Angst vor den Banlieues

In den Pariser Vorstädten gibt es keine guten Schulen, kaum Freizeitangebote und keine Sozialarbeiter, statt dessen kleine Wohnungen, Armut und immer mehr islamische Prediger. Die Polizisten in den Banlieues haben Angst, denn die Kriminalität im berüchtigten Vorort Saint Denis hat seit Beginn des Jahres um über sieben Prozent zugenommen. Burkhard Birke berichtet.

22.09.2006
    Man will uns aus den Vorstädten verbannen: Das ist die Interpretation der Polizeigewerkschaft. Die Frauen und Männer in Blau sind geschockt: Zwei Kollegen der CRS, der Spezialeinheit Compagnies Republicaines de Sécurité liegen im Krankenhaus. Zunächst war ihr Wagen am Dienstag in der Nacht in der Cité des Tarterets in Corbeil Essonne von Jugendlichen mit Steinen beworfen, dann ist der Polizist, der sich der Bande stellte, von etwa 20 Jugendlichen verprügelt worden. Der Fahrer wurde am Gesicht schwer verletzt. Und der Premierminister verspricht, seine Regierung werde alles unternehmen, um die Unsicherheit zu verringern.

    "Wir werden reagieren und insbesondere dafür sorgen, dass die Sicherheitskräfte ihre Aufgaben mit den entsprechenden Garantien wahrnehmen können. Wir werden Lehren ziehen!"

    Welche? Wollte die Regierung nicht auch aus den Vorstadtunruhen Lehren ziehen?

    "Es ist immer gleich - meiner Meinung nach gibt es weder mehr noch weniger Kriminalität","

    meint dieser Anwohner der Cité Karl Marx in Saint Denis und findet mit seiner Meinung durchaus Echo:

    ""Ich habe nicht den Eindruck, als würden mehr Straftaten verübt."
    Die vom Präfekten zitierte Statistik freilich besagt etwas anderes: Um 14 Prozent sollen die Übergriffe gegen Personen, um 22 Prozent Diebstähle unter Gewaltanwendung zugenommen haben.

    "Es gibt nicht genügend Sicherheit. Für eine gewisse Zeit wird für Sicherheit gesorgt, dann wird man nachlässig und nach einer Weile nimmt die Kriminalität wieder zu."

    Ein Eindruck, den auch die Politiker in Saint Denis teilen. Für seinen mutigen Schritt erhielt der Präfekt Beifall von Vertretern jedweder Couleur. Über die nötigen Konsequenzen freilich lässt sich streiten, so wie über die Ursachen, die für diese anonym bleiben wollende Sozialarbeiterin auf der Hand liegen:

    "Seit den Unruhen letzten November hat sich nichts geändert. Es wurden keine Maßnahmen eingeleitet, die den Jugendlichen eine echte Hilfestellung geben. Kurzum: Die Situation ist genauso prekär, wenn nicht gar schlimmer."

    Seine-Saint-Denis bleibt ein sozialer Brennpunkt, das Konzentrat der Armut der Weltstadt Paris: Eine Million Menschen leben hier und etwa ein Drittel aller sozial Ausgegrenzten der Hauptstadtregion.

    Mit Sorge beobachtet dabei der Präfekt das Schicksal der Jüngsten.

    "Die werden systematisch vom Islam bearbeitet","

    schreibt er,

    ""die Bärtigen nehmen immer mehr die Zügel des Handels in die Hand, man sieht die Jungen in Begleitung von Animateuren und Mediatoren an bestimmten Orten, um - wie sie behaupten - für Ruhe zu sorgen."

    Nach den Erfahrungen der Briten, hegen die Franzosen Ängste vor einer Radikalisierung, zumal die jüngste Terrorwarnung von El Sawahiri, der Nummer 2 von El Kaida im Raum schwebt. Der Brandbrief des Präfekten hebt aber vor allem auf die viel nahe liegenderen Missstände ab: Wie mangelnde Polizeipräsenz und zu laxes Durchgreifen der Justiz.

    Zwar hat der rührige Innenminister, Nicolas Sarkozy, der einst die Vorstädte mit dem Kärcher, dem Dampfstrahler, reinigen wollte, nominal die Polizei verstärkt.Aber das Gros der 12 Prozent Zuwachs in Saint Denis entfällt auf Grenzschutz und Kräfte der Compagnie Republicaine de Securité CRS, und vor allem sinkt das Durchschnittsalter der Polizisten.

    "Es wird nichts unternommen, die älteren Kollegen zu halten. Die gehen so bald sie können weg, bewerben sich auf andere Posten und wir kriegen dann die Schulabgänger."

    klagt Polizistin Natalie Orili. Länger als drei Jahre in der Banlieu hält es keiner aus: Das Durchschnittsalter der Polizisten soll deshalb bei 22 Jahren liegen, eine Zahl, die die Polizei offiziell zu relativieren sucht, so wie die Justiz sich gegen die Vorwürfe des Präfekten wehrt, von 1651 minderjährigen Straftätern nur 132 hinter Gittern gebracht zu haben.

    In der Tat lassen sich Jugendliche unter 16 auch nach den verschärften Regeln für Wiederholungstäter nicht belangen. Statt über Zahlen und Details zu diskutieren, so fordern Kommentatoren, sollte das Übel endlich an der Wurzel gepackt werden. Und die sozialistische Präsidentschaftsanwärterin Ségolène Royal meinte: Der Alarmschrei des Präfekten müsste gehört werden! Damit scheint eines sicher, ob mit Gewalt oder Worten: Das Thema steht mit auf der Agenda des herannahenden Wahlkampfs!