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Angst vor der "schmutzigen Bombe"

Technik. - Nicht nur der 11. September 2001 demonstrierte der westlichen Gesellschaft, wie verwundbar sie ist. Auch auf die darauf folgenden Anschläge mit biologischen Waffen - wie etwa die noch immer ungeklärten Anthrax-Attentate - waren die Behörden nur unzureichend vorbereitet. Es fehlte an einer klaren Strategie, wie die Gebäude schnell und effizient dekontaminiert werden konnten. Das Ganze dauerte lange und war unnötig teuer. Nun wiesen Sicherheitsexperten auf der Tagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft in Denver, die am Dienstag zu Ende ging, auf eine weitere Gefahr hin, auf die die USA nicht vorbereitet sind: Anschläge mit "schmutzigen Bomben".

Von Jan Lublinski |
    Es ist eigentlich ganz einfach: Man nehme eine gewöhnliche Bombe, gebe ein wenig radioaktives Material bei und zünde sie mitten in einer Stadt. Die Explosion einer solchen "schmutzigen Bombe" hätte schreckliche Folgen. Zwar würden - im Vergleich zu einer richtigen Atombombe - nur relativ wenige Menschen sterben und es würden auch keine sehr großen Gebiete kontaminiert werden. Aber: die Menschen würden in Panik geraten, betont der Verteidigungsexperte Peter Zimmermann.

    Es ist schon seit langem bekannt und unbestritten, dass radiologische Waffen ungeeignete Waffen sind, wenn man möglichst viele Leute umbringen will. Aber es sind wahre Terror-Waffen, weil die Leute Angst vor dem Wort "Strahlung" haben.

    Peter Zimmermann hat über viele Jahre für die US-Regierung und den Senat gearbeitet, neuerdings lehrt er am Kings College in London. Was nach der Explosion einer "schmutzigen Bombe" passieren könnte, wurde im Jahr 1987 in der brasilianischen Stadt Goiana deutlich: Dort stahlen Schrotthändler eine Kapsel mit radioaktivem Cäsium aus einer verlassenen radiologischen Klinik. Sie öffneten die Kapsel, verstreuten das seltsam leuchtende Pulver, verschenkten es in ihrer Familie weiter - so dass sich das Cäsium langsam aber sicher in der Stadt verteilte. Nachdem der Fall aufgeklärt war, kamen 120.000 Menschen in das Fußballstadion der Stadt, um sich untersuchen zu lassen. Wirklich behandelt werden mussten am Ende aber nur 150. Der ökonomische Schaden war derweil immens.

    Goiana und die ganze Region lebte vom Verkauf ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Aber niemand wollte ihre Nahrungsmittel mehr kaufen. Obwohl nur etwa zehn, 20 Hektar wirklich kontaminiert waren. Also eigentlich nicht viel.

    "Schmutzigen Bomben" könnten also eine ganze Gesellschaft in Panik versetzen und destabilisieren. Jaime Yassif von der "Federation vom American Scientists" hat im Auftrag des Senats eine Studie zu diesem Thema verfasst. Darin kommt sie zu dem Schluss, dass ein Angriff mit einer "schmutzigen Bombe" die US-Amerikaner weitgehend unvorbereitet treffen würde. Und sie betont, dass es nach einer solchen Explosion auf eine schnelle und effektive Dekontamination von Wänden und Flächen ankommt. Denn: das radioaktive Material ist in feinen Staubkörnchen überall verteilt.
    Hierfür braucht man Techniken, die man auf Materialien in den Städten anwenden kann, auf Beton, Granit, Holz, Glas. Diese Techniken sollten so einfach sein, dass möglichst viele Leute sie möglichst schnell anwenden können. Weil die meisten Radionuklide wasserlöslich sind, kann man zum Beispiel einfach mit einem feuchten Tuch die Oberflächen abwischen. Oder auch Wasserstrahlen mit hohem Druck verwenden. Für den großflächigen Einsatz wird derzeit auch das so genannte "strip coating" weiterentwickelt: Man sprüht einen Polymer auf eine Wand, der dann eine Schicht bildet, die wiederum die Radionuklide aufnimmt. Das Ganze lässt sich dann einfach abziehen.

    Jaime Yassiv mahnt weiterhin an, rechtzeitig Grenz- oder Schwellenwerte für "Schmutzige Bomben" festzulegen. Denn nach einer solchen Explosion wird niemand mehr bereit sein, neuen Regelungen zu vertrauen.

    Es ist sicher eine Menge Entwicklungsarbeit nötig, damit so eine Operation im großen Maßstab funktionieren kann. Aber technische Entwicklungen allein reichen nicht aus. Sie müssen integriert werden in eine breit angelegte Strategie, die politische Entscheidungen und eine Modellierung des gesamten Dekontaminationsprozesses beinhaltet.

    Eine wenig erinnern diese Überlegungen an die 50er Jahre, als die amerikanische Bevölkerung lernen sollte, sich mit sehr einfachen Methoden vor einem Nuklearangriff zu schützen. "Duck and Cover" war damals das Motto - Sich verstecken und zudecken. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die Maßnahmen gegen nuklearen Terrorismus, so unwahrscheinlich er auch sein mag, etwas nützen würden.