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Angst vor der Strahlung zu Hause

Nach dem GAU in Fukushima wurden insgesamt 80.000 Bewohner in der Region evakuiert. Immer noch leben 20.000 von ihnen in den 127 Übergangslagern in Iwaki. Die Frage, ob sie jemals nach Hause zurückkehren können, beantwortet ihnen niemand.

Von Gerd Breker | 05.11.2011
    "Am 12. März, dem Tag nach dem Beben, wir saßen gerade beim Abendessen, da kam die Anordnung, der Befehl vom Bürgermeister, dass wir sofort die Stadt verlassen müssten. Diejenigen, die ein Auto haben, sollten sofort Richtung Süden fahren. Wir haben das Glück, dass unser jüngster Sohn in Iwaki wohnt und wir sind dann hierhin gefahren."

    Mikihiko Igari, Landwirt aus der Gemeinde Naraha, ist erdbeben- und tsunamierprobt, doch das, was ihn und seine Frau Sadako aus seinem Haus vertrieb, das ist unsichtbar, das kann man nicht greifen, das kann man nicht riechen und doch ist es lebensgefährlich. Die Wasserstoffexplosion im Reaktor eines der Atomkraftwerke in Fukushima am 12. März hat Radioaktivität freigesetzt.

    Naraha liegt innerhalb der 20 Kilometer Sperrzone um Fukushima. Nach dem massiven Erdbeben der Stärke neun erreichte hier der Tsunami eine Höhe von zehn Metern und tötete 13 Menschen oder riss sie auf das offene Meer hinaus. Sie gelten als vermisst. 115 Häuser wurden von den Wassermassen zerstört. Doch auch die unversehrten Häuser stehen leer. Naraha wurde zwangsevakuiert.

    Masuhito Nemoto, kommt aus Hirono, keine 30 Kilometer vom Atomkraftwerk Fukushima entfernt. Hier war der Tsunami neun Meter hoch, zerstörte oder beschädigte 240 Häuser und forderte zwei Todesopfer, ein Mensch wird vermisst. Auch Herrn Nemoto vertrieb die Radioaktivität aus seinem Haus. Für Hirono galt die Evakuierungsempfehlung und seit Ende April lebt er in einem Evakuierungszentrum in Iwaki:

    "Am Tag des Bebens war ich in der Nähe unserer Schule, die liegt etwas höher, denn da war schon viel Wasser. Tags darauf kam dann die Nachricht von der radioaktiven Strahlung, was mich sehr besorgt hat, weil das so gefährlich für die Gesundheit ist."

    Seit dem 30. September wurde die Einstufung für Hirono aufgehoben. Masuhito Nemoto könnte also in sein Haus zurückkehren. Doch er ist skeptisch. Er hat das Vertrauen verloren; zu unterschiedlich sind die Angaben über die tatsächliche Gefahrenlage und zu schleppend läuft die Dekontaminierung:

    "Zwischen den Erklärungen der Regierung und den Äußerungen von Tepco gab es große Unterschiede, sodass ich das Vertrauen verloren habe. Ich will, dass Tepco alles aufräumt, alles sauber macht und dekontaminiert. Wenn die das nicht machen, dann gehe ich nicht nach Hause zurück."

    Die Dekontaminierung - ohnehin eine Herkulesaufgabe mit vielen offenen Fragen. Wie will man die Reisfelder dekontaminieren, wie die Wälder und vor allem wohin damit? Auch Bauer Igari, will sich sicher sein, dass die Strahlung unter den Gefahrenpunkt gesenkt wird.

    "Die Strahlungen zu Hause sind noch sehr hoch und es wurden noch keine Maßnahmen ergriffen, sie zu senken, wenn die Radioaktivität tatsächlich unter den Grenzwert von einem Millisievert gefallen ist, dann würden wir zurückkehren, aber danach sieht es derzeit nicht aus."

    Bei ihm und seiner Frau Sadako ist das Misstrauen gegenüber der Informationspolitik der Regierung und des Betreibers des Atomkraftwerks Tepco ebenfalls gewachsen - zu unterschiedlich und zu widersprüchlich waren die Aussagen über die tatsächlichen Gefahren, die von dem schwersten atomaren Unfall seit Tschernobyl ausgehen. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, bilanziert Sadako. Sie haben uns am Anfang belogen, wieso sollten wir nun der Entwarnung glauben.

    "Ich will, dass man uns genaue Informationen gibt, wie die Lage wirklich ist. Von Tepco erwarte ich, dass sie etwas menschlicher mit uns umgehen. Sie tun zwar im Moment recht viel, aber man hat nicht das Gefühl, dass die Entschädigungen von Herzen kommen."

    und Mikihiko Igari ergänzt:

    "Wir erwarten, dass die Informationen, die man uns gibt, stimmen. Am Anfang hat vieles nicht der Wahrheit entsprochen und weil man nicht ehrlich war – so denken viele Leute hier – man weiß aber nicht, ob man ihnen jetzt glauben kann"

    Und so wächst bei den Bewohnern des Behelfslagers die Ahnung, dass ihr Aufenthalt hier noch länger dauern wird. Noch hat niemand ihnen klare Antworten gegeben, ob sie und wenn ja; wann sie ohne Gesundheitsgefährdung zurückkehren können. Da klingt bei Masuhito Nemoto auch etwas Resignation durch, wenn er sagt, es wird wohl länger dauern.

    "Das kann man jetzt überhaupt noch nicht sagen …. es wird wohl etwas länger dauern."

    Die Angst vor der Radioaktivität lässt die Menschen das Lagerleben vorziehen, wie Sadako Igari meint:

    "Wir sind schweren Herzens hierhin gezogen, aber wir mussten. Wir fürchten uns vor den radioaktiven Strahlen, deshalb sind wir lieber hier als zu Hause."

    Auch wenn dieses, das Lagerleben, eher langweilig ausfällt.

    "Jeden Morgen um halb Sieben gibt es hier gemeinsame Gymnastik hier im Lager, aber das war's auch schon. Es gibt keine Geschäfte hier in der Nähe. Wenn man einkaufen gehen will, braucht man anderthalb Stunden hin- und zurück. Das ist alles nicht so einfach."

    Insgesamt wurden 80.000 Bewohner in und um Fukushima evakuiert. In den 127 Evakuierungszentren in Iwaki sind fast 20.000 Menschen untergebracht - unter ihnen auch die meisten Einwohner des Badeortes Toyoma, außerhalb der Evakuierungszone. In dieser Bucht hat der Tsunami seine Zerstörungskraft gründlich austoben können. Lediglich am Fuße der Berge stehen noch einige wenige Häuser. Der Rest des Ortes gleicht einer Ausgrabungsstätte. Lediglich die Grundrisse sind noch sichtbar, die Trümmer sind aufgeräumt. Doch an Wiederaufbau und Rückkehr wird noch nicht gedacht. Die ehemaligen Bewohner diskutieren noch, ob sie Toyoma nicht besser an höher gelegener Stelle wieder aufbauen. Der Krisenbeauftragte von Iwaki Mashahiko Kurokawa:

    "Es gibt verschiedene Meinungen: Es gibt Menschen, die an diesem Ort hängen, die gerne zurück wollen. Aber es gibt auch die Bewohner, die im Interesse ihrer Kinder, den Ort lieber an einer höher gelegenen Stelle wiederaufbauen wollen."