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Angst vor Nanomaterialien

Während die einen glänzende Augen bekommen, wenn es um den Einsatz von Nanomaterialien geht, tritt anderen der Angstschweiß auf die Stirn. Denn diese Teilchen, die unter anderem in Sonnencremes, in Lacken, Farben und in Reinigungsprodukten vorkommen, können unter Umständen auch Schäden in Körperzellen anrichten.

Von Arndt Reuning |
    Im Zwergenreich der Nanopartikel herrschen eigene Gesetze: Gold zum Beispiel glänzt nicht wie ein Metall, sondern nimmt je nach Dimension der Teilchen entweder eine rote oder blaue Farbe an. Auch die Giftigkeit einer Substanz kann sich ändern. Das harmlose Pigment Titandioxid etwa kann als Nanopartikel eine schädliche Form von Sauerstoff erzeugen, der Körperzellen angreift. Zumindest im Tierversuch konnte das gezeigt werden. Besonders bedenklich ist das, weil manche "Giftzwerge" im Organismus keine Grenzen kennen, so der Toxikologe George Burdock, der in Orlando in Florida ein Beratungsbüro leitet:

    "Weil diese Teilchen zum Beispiel durch die Plazenta oder die Blut-Hirn-Schranke einfach hindurchwandern, weil sie also Barrieren überwinden, die man bisher für unpassierbar gehalten hat, könnte es sein, dass sie auch eine neue Art von Giftwirkung entfalten. Zum Beispiel manche Zutaten für Lebensmittel: Ihre Unbedenklichkeit bescheinigt man ihnen, weil sie vom Körper im Verdauungstrakt nicht aufgenommen werden. Aber als Nanopartikel könnten diese Substanzen in den Körper hinein gelangen."

    Für die Gesetzgebung bedeutet das neue Herausforderungen, zum Beispiel für Grenzwerte von giftigen Stoffen. Bisher wurden solche Kennwerte meistens auf das Gewicht eines Stoffes bezogen. Für Nanomaterialien macht das aber nicht sehr viel Sinn, denn ihre schädliche Wirkung entfalten sie über die Oberfläche. Ein Milligramm eines bestimmten Stoffes kann daher ungefährlich sein im Normalzustand, im Nanozustand aber doch giftig, weil die Gesamtoberfläche sehr viel größer ist. Viele Gesetze und Vorschriften beurteilen die Winzlinge so, als würde die Dimension der Partikel gar keine Rolle spielen, sondern nur ihre chemische Zusammensetzung. Zusätzliche toxikologische Studien entfallen dadurch. Das gilt zum Beispiel für das Europäische Programm zur Bewertung von Chemikalien, REACH. Und in den USA wenden die Juristen alte Chemikaliengesetze auf die neuen Nanomaterialien an. Michael Taylor, Jurist und Professor an der George Washington University in der amerikanischen Hauptstadt:

    "In diesem Land haben wir das starke Bestreben, bereits vorhandene rechtliche Mittel zu nutzen. Denn in unserem System ist es sehr schwierig, Gesetze zu ändern. Die Behörden versuchen also, das Beste aus dem zu machen, was ihnen an Amtsbefugnissen zur Verfügung steht. Das sollte man schon anerkennen, obwohl ich glaube, wir sollten vielleicht doch darüber nachdenken, die Gesetze auch gelegentlich mal anzupassen."

    Die US-Umweltschutzbehörde EPA hat gerade ein Programm vorgestellt, welches das Risiko abschätzen soll, das von Nanopartikeln ausgeht. In Zusammenarbeit mit der Industrie, aber auf einer freiwilligen Basis. Niemand kann die Firmen dazu zwingen, ihre Daten preiszugeben. Und auch die Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit, die FDA, steckt in einem Dilemma, wenn es um die Zulassung von bestimmten Produkten geht, die Nanoteilchen enthalten. So die Anwältin Susan Brienza von der Kanzlei Patton Boggs LLP:

    "Das ist das Dilemma: Für Nanotechnologie-Materialien, die in Arzneimitteln oder medizinischen Geräten verwendet werden, muss der Hersteller beweisen, dass sein Produkt sicher und wirksam ist ,bevor es auf den Markt kommt. Diese Verantwortung hat der Hersteller nicht, wenn er Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika anbietet."

    Diese Produkte fallen durch das Sicherheitsnetz hindurch. Die Behörde kann erst dann eingreifen, wenn ein gesundheitsschädliches Produkt bereits auf dem Markt ist. Also dann, wenn es eigentlich zu spät ist. Noch einmal der Jurist Michael Taylor:

    "In solch innovativen Gebieten wie der Nanotechnologie sollte es einen Dialog geben zwischen der Industrie und der FDA - unabhängig von jeglicher Produktbewertung, so dass die Behörde schon im Voraus Informationen über die Erzeugnisse hat und vorbereitet ist, wenn die Produkte auf den Markt kommen."