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"Anhänger von El Sadr werden in den Untergrund gehen"

Probst: Ich begrüße im Studio Hassan Hussain von der Deutschen Welle. Er ist gerade erst am Montag aus Bagdad zurückgekehrt. Herr Hussain, es sieht so aus, für den Augenblick zumindest, als sei die Konfrontation beendet. Es gibt den Aufruf von El Sadr, wir haben es gehört, an die Miliz, die Waffen abzugeben, Nadschaf und die benachbarte Stadt Kufa auch zu verlassen. Auf jeden Fall ein großer Erfolg für Großajatollah Sistani, das muss man sagen, nach diesem Marsch gestern auf Nadschaf. Das diese Vereinbarung mit El Sadr innerhalb so weniger Stunden zustande kam, hat Sie das auch überrascht?

Moderation: Hans Peter Probst |
    Hussain: Das hat mich nicht überrascht, weil ich wusste, dass seit langem daran gearbeitet wird und nicht nur Herr Sistani selbst von London aus, sondern alle schiitischen Führer der Parteien wie der Vizepräsident El Djafari oder wie Abdel Asis el Hakim, der Chef des obersten Rates der irakischen Revolution. Alle arbeiteten an einem Projekt, und dieses Projekt ist Sistani vorgetragen worden und er hat das nur geformt und in seinem Namen wiedergegeben. Das ist natürlich sehr interessant, dass der Mann auch diesen Erfolg verbuchen konnte. Und das ist natürlich gut für die Menschen in Nadschaf, in erster Linie.

    Probst: Es belegt auf jeden Fall seien Autorität, die er offenbar dann auch bei den radikaleren Kräften hat?

    Hussain: Das ist vollkommen richtig, den Muktada el Sadr hat selber keine religiöse Autorität. Er ist in so einer Familie aufgewachsen, eine Familie, die stets die Autorität der religiösen Führer akzeptiert hat und das musste er machen. Die Gefahren liegen nicht bei ihm, sondern bei den radikalen Gruppen, die er unter seine Organisation, beziehungsweise unter seine Obhut gebracht hat. Ob sie dann demnächst ruhig bleiben, das ist natürlich eine andere Frage.

    Probst: Die Vereinbarung mit El Sadr sieht vor neben der Abgabe der Waffen und des Abzugs der Miliz, die beiden Städte sozusagen waffenfrei zu machen. Die irakische Armee soll abziehen. Die amerikanischen Truppen sollen abziehen, irakische Polizei soll die Sicherheit übernehmen. Ist das sozusagen der große Schritt hin zu mehr innerer Sicherheit, vielleicht sogar der Schlüssel zur Wiederherstellung ziviler Ordnung?

    Hussain: Das ist auf jeden Fall ein Sieg für die zivile Ordnung, wenn Sie das so sagen. Allerdings müssen wir erst mal abwarten, was in Bagdad passieren wird, denn dort hat auch El Sadr, vor allem in einem Armenviertel, in dem zwei Millionen Menschen leben, eine große Anhängerschaft. Wie die sich dann verhalten werden, das eine wichtige Frage, mitten drin in Bagdad, gegenüber der Regierung, die größte Herausforderung für die Regierung. Das ist das eine. Das andere ist: Wie wirkt eigentlich das ganze auf die südlichen Städte im Irak, wie Basra. Das sind Frage, die noch nicht geklärt sind. Ob sie sich dann daran halten werden oder nicht, da müssen wir erst mal abwarten. Ich neige dazu zu behaupten, als würde er vorerst ruhig werden, aber diese Lösung ist nicht auf Dauer. Die harten Elemente müssen dann irgendwie juristisch verfolgt werden, um relative Ruhe ins Land zu bringen.

    Probst: Stichwort Bagdad und Regierung: Der rasche Erfolg für Sistani ist dann natürlich auch ein Rückschlag oder eine Schwächung für diese Übergangsregierung. Denn sie hat es ja auch wiederholt versucht, Vereinbarungen zu treffen und ist damit erfolglos geblieben.

    Hussain: Das ist vollkommen richtig. Ich muss aber "Jein" zu dieser Frage sagen: Ja, diese Initiative hat tatsächlich die Regierung Alawi geschwächt, keine Frage, aber allerdings, wenn man die Initiative von Sistani ganz genau liest und den vierten oder fünften Punkt dieser Initiative anschaut, da heißt es, alle Kräfte sind aufgefordert worden, alle Bemühungen für eine erfolgreiche Volkszählung zu unternehmen, damit die Wahlen stattfinden können. Dass heißt, es ist eine Schwächung der Regierung Alawi. Allerdings kriegt er politische Prozess insgesamt einen Aufschub.

    Probst: Sistani war ja immer derjenige, der sich immer sehr zurück gehalten hat, aber trotzdem nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er gegenüber der Besatzung auch kritisch und skeptisch steht und der ein Interesse daran hat, dass es zu einem wirklich demokratischen Prozess kommt, weil das ja auch im Interesse seiner schiitischen Mehrheit ist?

    Hussain: Das ist vollkommen richtig. Es ist bekannt von Sistani und den vier anderen religiösen Führern im Irak, dass sie sich politisch nicht betätigen. Das heißt, sie halten sich absolut zurück. Daher haben sie mehr Autorität, wenn sie mal ein politisches Wort aussprechen. Das ist natürlich etwas positives, das muss man auch so sehen. Das bedeutet aber auch nicht, dass diese religiöse Führung mehr Machtambitionen haben beziehungsweise nur mehr Macht verlangen werden in der Zukunft. Das wird nicht der Fall sein dafür gibt es aber die schiitischen Parteien, die eben von dem Erfolg Sistanis profitieren werden. Sie stehen alle hinter Sistani.

    Probst: Aber wächst ihnen denn nicht, gewollt oder nicht, automatisch mehr Verantwortung jetzt durch diesen angestoßenen Prozess zu?

    Hussain: Ja, das ist richtig, aber hier besteht nicht die Gefahr diese Verantwortung zu missbrauchen, beziehungsweise diese Möglichkeit zu missbrauchen. Hier ist ein klarer Unterschied zwischen den schiitischen Führern im Irak und im Iran. Der Ajatollah Sistani zum Beispiel hat ja immer Ärger mit dem Ajatollah Khomeini, vom Iran gehabt. Der Sistani warf Khomeini damals immer vor, dass er mehr Politik als Religion betreibt. Er macht genau das Gegenteil, mehr Religion als Politik. Daher ist keine Gefahr zu sehen, eher umgekehrt. Sistani bleibt die stärkste moralische Instanz im Land und das tut gut.

    Probst: Kurz zum Schluss vielleicht Ihre Einschätzung: eher Skepsis oder mehr Zuversicht?

    Hussain: Nein, ich habe mehr Skepsis, weil jetzt werden die Anhänger, vor allem die radikalen Anhänger von El Sadr in den Untergrund gehen. Und es ist schwierig sie zu verfolgen. Und sie können jederzeit Koalitionen da und dort, Bündnisse da und dort bilden, Unruhe stiften und da habe ich meine Skepsis.