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Anhaltender Schrecken

Morgen tritt die internationale Konvention zum Verbot von Streubomben in Kraft. Im Südlibanon haben die Streubomben, die Israel im Krieg 2006 abgeworfen hat, das Leben vieler Menschen stark verändert. Die Angst, Opfer einer Explosion zu werden, ist nach wie vor groß.

Von Mona Naggar | 31.07.2010
    Ein Dorf im Südlibanon, etwa 30 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt. Die Landschaft ist hügelig, durchzogen vom Grün der Olivenbäume, die um diese Jahreszeit schon unzählige kleine Früchte tragen.

    Sikna Allaq sitzt im Garten ihres Hauses. Die Bäuerin ist mit der Tabakernte beschäftigt. Sie nimmt jedes Blatt einzeln in die Hand, sticht mit einer dicken großen Nadel hindurch und reiht es auf einen langen Faden auf. Zusammen mit ihrer Schwester bewirtschaftet die 60-Jährige das Grundstück ihres Vaters:

    "2007, ein Jahr nach dem Krieg, haben wir angefangen, das Land wieder zu nutzen. Die Ernte bringt uns ungefähr 2000 Dollar pro Saison ein. Die jungen Männer von den Streubombensuchtrupps haben die Oberfläche durchforstet. Endgültig geräumt haben sie aber noch nicht. Wir finden immer wieder Streubomben. Letztes Frühjahr, als wir einen Traktor zum Pflügen bestellt haben, hat meine Schwester eine im Gras entdeckt. Am meisten haben wir Angst um die Tagelöhner, die wir manchmal beschäftigen. Aber, was sollen wir tun? Wir müssen uns auf Gott verlassen! (lacht)"

    Einige Straßen weiter wohnt Mohamed Nasrallah in einem bescheidenen Häuschen. Hinter dem einstöckigen Gebäude liegt ein Garten mit Obst- und Olivenbäumen. Nur sehr vorsichtig betritt der Grundschullehrer und Vater von vier Kindern diesen Teil seines Besitzes. Die Anspannung steht ihm ins Gesicht geschrieben:

    "Bei mir haben sie noch nicht vollständig geräumt. Trotzdem betrete ich mein Land. Ich muss mich doch um die Bäume kümmern, sie wässern und die Früchte ernten. Ich kann doch nicht die Bäume sterben lassen! Aber ich bin sehr vorsichtig. Den Kindern habe ich verboten, hierher zu kommen. Ich habe ihnen Fahrräder gekauft, damit sie auf der Straße fahren und dort spielen können und nicht in die Felder gehen."

    Nasrallah und Allaq leben im Dorf Yuhmur, einige Kilometer östlich der Stadt Nabatiyya. Der Litani-Fluß hat an dieser Stelle eine tiefe Schlucht gegraben. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass vor vier Jahren in diesem idyllischen 2000-Seelen-Dorf erbitterte Gefechte stattfanden. 2006, im Krieg zwischen der Hizbullah und Israel, gehörte diese Gegend zu den Gebieten, die am stärksten umkämpft wurden.

    Heute sind fast alle Häuser wieder aufgebaut, die meisten Straßen wurden frisch asphaltiert. Was bleibt, sind Reste von Granatsplittern an manchen Wänden abseits der Hauptstraße, die an Strommasten befestigten Bilder junger Männer, die gegen Israel gefallen sind und das Parteizeichen der Hizbullah, grüne Schrift auf gelbem Grund.

    Was bleibt, ist auch die Angst, die Angst, Opfer einer Explosion zu werden. Ungefähr 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche und der Waldgebiete sind noch mit Streubomben zersetzt. Sie befinden sich unter der Erde, zwischen Felsen, in Abflussrohren, auf Bäumen oder in Mauern. Mohamed Scheikh ist für das Minenräumzentrum der libanesischen Armee tätig. Dieses Zentrum koordiniert und überwacht die Streubombensuche im Libanon:

    "Israel hat Streubomben auf bewohnte Gebiete abgeworfen. Das sind Bomben, die in einer bestimmen Höhe explodieren und deren explosive Einzelteile sich dann über weite Flächen verteilen. Die israelische Armee hat auch Munition verwendet, die 35 Jahre alt ist. Das hatte zur Folge, dass der Prozentsatz der Blindgänger sehr hoch war. In manchen Gebieten lag er bei 100 Prozent. 43,6 Quadratkilometer im Südlibanon waren davon betroffen. Die Hälfte davon konnten wir immerhin wegschaffen. Das Schlimme ist: Diese Waffen haben kein Verfallsdatum. Sie bedrohen die Menschen bis heute. Und je länger sie in der Erde bleiben, desto schneller explodieren sie. Bei starkem Regen und Sturzbächen verändern sie auch noch ihre Position."

    Bauern und Hirten gehören zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Sie wissen zwar um das Risiko, das von Blindgängern ausgeht. Aber sie sind, wie die Bewohner von Yuhmur, oftmals gezwungen, die Gefahrenzonen zu betreten. Viele Menschen im Süden des Zedernstaates sind auf die Land- und Viehwirtschaft angewiesen. Entschädigungen und Spenden für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Gebäude hat es gegeben, keine Hilfe aber für Schäden und Verdienstausfälle, die bis heute durch Streumbomben verursacht werden. Seit dem Ende der Kriegshandlungen im August 2006 sind nach Angaben der libanesischen Armee 46 Zivilisten durch Streubomben getötet und 340 verwundet worden.

    Die Streubomben haben das Leben der Menschen im Südlibanon stark verändert. Heute ist es nicht mehr möglich, sich frei zu bewegen, wilden Thymian zu sammeln oder auf die Jagd zu gehen. Und auch wenn Gärten und Felder nach der Räumung freigegeben wurden, bleiben vorerst die Zweifel. Ali Badawi arbeitet für "Norwegian People's Aid", eine der vielen Organisationen, die bei der Suche nach Streubomben aktiv ist. Badawi ist zuständig für den Kontakt zu den Dorfbewohnern:

    "Das Vertrauen der Bauern kehrt erst nach und nach zurück. Es dauert eine ganze Weile, bis sie zu ihrem Boden dasselbe Verhältnis haben wie vorher. Zunächst bearbeiten sie das Land manuell, um sicher zu gehen, dass wirklich keine Bombe mehr da ist. Wenn dann die erste Ernte eingefahren ist und der Boden erneut umgepflügt wurde, fassen sie ganz allmählich wieder Vertrauen."

    Zeiptläne zur endgültigen Räumung der Streubomben im Südlibanon gab es in den letzten Jahren immer wieder. Nun sollen die Arbeiten bis zum Jahr 2014 abgeschlossen sein. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dieser Termin eingehalten werden kann. Denn übereinstimmend berichten internationale Organisationen, dass das Spendenaufkommen stark rückläufig sei. Christina Bennike arbeitet für "maginternational", der größten Hilfsorganisation aus dem Ausland, die sich im Libanon engagiert:

    "Direkt nach dem Krieg hatten wir 64, 65 Streubombensuchtrupps. Heute haben wir nur noch 22. Die Räumung geht langsamer voran als in der Vergangenheit."