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Animal Hoarding nimmt zu
Wenn Tiere sammeln zur Sucht wird

Massenhaft Katzen, Hunde, Vögel, Schafe oder Pferde: Das krankhafte "Horten" von Tieren in einem Haushalt ist oft mit viel Leid verbunden. Die Halter sind überfordert und können den Bedürfnissen der Tiere nicht gerecht werden. Und die Fälle nehmen in den letzten Jahren stetig zu.

Von Daniela Siebert | 06.03.2020
Ein Mann sitzt mit Katzen auf dem Arm und auf dem Schoß sowie umgeben von zwei Duzend Katzen draußen auf dem Boden.
Der Deutsche Tierschutzbund beschreibt Animal Hoarding als Krankheitsbild, bei dem Menschen Tiere in einer ungewöhnlichen Menge halten und nicht angemessen versorgen (imago stock&people)
Das Tierheim Berlin, das größte Europas. Rund zwanzig Mal im Jahr müssen sie hier Tiere aufnehmen, die vorher bei Hortenden lebten, sagt Annette Rost, die Pressesprecherin: "von Hunden über Katzen, aber auch Kaninchen oder auch Wellensittiche beziehungsweise generell Vögel". Die Zahlen sind teilweise dramatisch. Mal waren es knapp 70 Katzen aus einer Einzimmerwohnung in Kreuzberg, aktuell geht es um 80 Kaninchen.
"Wir erinnern uns alle gut an irgendwie 1.800 Wellensittiche auf einen Schlag, die in einem Haushalt aufgefunden worden sind hier in Berlin, oder 30 Hunde im letzten Jahr, die wurden teilweise in übereinander gestapelten Boxen gehalten."
Das Tierheim stellen solche Fälle vor immense Herausforderungen: sowohl personell als auch von der Fläche und in punkto Geld, denn es finanziert seine Arbeit aus Spenden.
Tierhaltung unter extremen Bedingungen
Gehortet würden so ziemlich alle Tiere, die man sich denken kann, sagt Amtstierärztin Christine Bothmann, die stellvertretende Vorsitzende des "Bundesverbandes der beamteten Tierärzte": "Auch landwirtschaftliche Nutztiere wie Schafe, Ziegen, Pferde, es ist da eigentlich der Vielfalt keine Grenze gesetzt."
Das Problem: Diese Tiere sind oft in schlechtem Zustand. Zu wenig Nahrung, zu wenig Wasser, Pflege, Auslauf. Keine oder nicht ausreichende medizinische Betreuung. Eine amtliche Statistik, die alle Fälle erfasst, gebe es leider nicht, bedauert Bothmann.
Horten von Tieren ist krankhaft
Der Deutsche Tierschutzbund beschreibt Animal Hoarding als Krankheitsbild, bei dem Menschen Tiere in einer ungewöhnlichen Menge halten und nicht angemessen versorgen.
Amtstierärzte, Tierheimmitarbeiter, Staatsanwälte und Mitarbeiter im sozialpsychologischen Dienst stellt dies vor große Herausforderungen. Viele Hortende sind alleinstehende Frauen mittleren Alters, beobachtet Bothmann.
"Es gibt Erhebungen, in denen gesagt wird, es gibt so drei Typen: Es gibt Typen, die es mal aus einer Zucht heraus gemacht haben, Typen, die eben sehr stark pflegen wollen und Typen, die der Meinung sind, dass nur sie diese Tiere ordentlich halten können und eigentlich sonst keiner."
Schwieriger Umgang mit Tierhortern
Oft sind es Nachbarn oder Passanten, die die Behörden auf Merkwürdigkeiten aufmerksam machen – etwa ungewöhnlichen Geruch, denn Animal Hording findet stark im Verborgenen statt. Häufig werden dann die Amtstierärzte zur Vorort-Kontrolle geschickt. Sehr oft verweigern die hortenden Menschen den Zutritt zum Haus oder der Wohnung und reagieren aggressiv. Christine Bothmann hat viele solche Situationen erlebt.
"Die Betretung eines solchen Hauses gleicht der Betretung häufig eines Messie-Hauses: Das heißt, das Haus ist über und über voll mit Tieren und Gegenständen und Exkrementen und dass man dann häufig unter unsäglichen Umständen diese Tiere vorfindet, was einen schon sehr, sehr belastet. Und man diesen Animal Hoarder – als Tierarzt – dann im Umgang als Mensch auch irgendwo händeln muss."
Haltungsverbote leicht zu umgehen
Damit Polizei, Veterinärämter, Amtstierärzte und Gerichte den Tierschutz durchsetzen können, ist viel Aufwand nötig. Maßgeblich ist das Tierschutzgesetz, das Schmerzen, Schäden und Leiden verhindern soll.
Daher seien nicht nur Haltungsauflagen möglich, erklärt die Amtstierärztin: "Wenn das in der Haltung nicht gewährleistet werden kann, kann man diese Tiere eben fortnehmen und anderweitig unterbringen. Und wenn man sagt, das ist ein Zustand, der wahrscheinlich von dem Animal Hoarder auf Dauer nicht behoben werden kann, kann man ein Haltungs- und Betreuungsverbot aussprechen, das dann für den Halter auch bundesweit und erstmal dauerhaft gilt."
Unter Tierhortern ist die Rückfallquote sehr hoch. Bei einem Umzug in ein anderes Gebiet ist den örtlichen Behörden das Haltungsverbot in der Regel nicht bekannt. Manche wechseln auch die Tierart. Die Amtstierärzte wünschen sich daher ein Bündel an Maßnahmen, um das Problem anzugehen:
"Tierhaltungsverbote müssen bundesweit abrufbar sein, und in gravierenden Fällen muss eigentlich über das Melderegister auch mitgeteilt werden, mit wem ein Haltungsverbot mitzieht. Wir hoffen auf eine Heimtierschutzverordnung, in der zumindest Grundsätze der Heimtierhaltung festgelegt sind, und wir würden uns eine zentrale Beratungsstelle und auch eine zentralen Fonds wünschen, aus dem diese zum Teil wirklich erheblichen Kosten mit abgedeckt werden."
Auch Humanmedizinisch müsse sich etwas tun. Da sei das Thema "Animal Hoarding" eine "Wissenswüste" - zu wenig bekannt und ohne Heilungsangebote.
Tiere von Hortenden schwerer vermittelbar
Die Tiere, die den Hortenden weggenommen werden, könnten im Prinzip auf ein besseres Leben hoffen. Allerdings sind sie zunächst nicht einfach zu vermitteln, weiß Annette Rost vom Tierheim Berlin.
"Weil in vielen Fällen diese Tiere nicht mehr vernünftig sozialisiert sind, mit den Tieren muss ganz oft erst noch gearbeitet werden, damit man sie dann irgendwie in ein neues Zuhause geben kann."