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Animationen

In Tokio hat ein Strömungstechniker der Firma Mitsubishi, der für die Konstruktion von Schiffsrümpfen verantwortlich ist, vor wenigen Wochen einen Fisch erzeugt, der ein Karpfen wäre, wenn sein Innenleben nicht vollständig aus elektronischen Bausteinen bestünde. Die Bewegungen sind die eines Karp-fens, die Oberfläche der Haut, die Anmutung. Eine beargwöhnte Meisterleistung. Denn kein Fremder weiß, wie es in dem Fisch aussieht. Man vermutet militärische Geheimnisse, verwendbar zum Bau von U-Booten. - Manche halten Thomas Hettche für einen Konstrukteur elektronischer Karpfen.

Hubert Winkels |
    Man hat es schon früh bemerkt: Durch die Oberflächen von Thomas Hettches Erzählungen und Romane drücken sich die Konturen von Theoriekonstrukten, die Linien und Schlaufen historischen und spekulativen Denkens, die Begriffsknoten einer Gegenwartsanalytik. Das macht seine Geschichten so zwitterhaft. Sie sind Verpuppungen, in denen eine komplexe Maschinerie ihr Werk tut, ohne selbst recht sichtbar zu sein. Kälte und Geheimnistuerei hat man ihm deshalb vorgeworfen. Er wurde zum Exponenten eines Erzählens, das jene Fülle und Sattheit vermissen läßt, die als Ausweis einer neuen Lebendig-keit gefordert werden, zum Gegenmodell jener Anstrengung der künstlichen Beatmung toter Buchstaben, mit der im Moment eine spektakuläre Auferstehung der schönen Leiche Literatur inszeniert wird.

    Umgekehrt hat man ihn für die voyeuristische Distanz, die experimentelle Kälte, für das Doppelspiel von sinnlicher Oberfläche und technoid-operativem Untergrund der Texte gerühmt. So scheiden sich die Geister an einem Autor, der den Bruch, die Trennung, die Diskretion von Einbildung und einbildungs-produzieredem Medium, von erzählerischem Phantasma und symbolischer Steuerung in seiner Literatur selbst zum Gegenstand macht.

    Das hat schon seine Richtigkeit, auch wenn einige Mißverständnisse nachgerade ironisch wirken: Denn kaum ein Schriftsteller dieser Generation hat so obsessiv wie Thomas Hettche um jene ´Lebendigkeit´ des Wortes und der Erzählung gerungen, ist ein solcher Beatmer und Auferstehungstechniker, kaum einer hat jene suggestive Präsenz, die nach der Religion nur die Kunst zu erzeugen in der Lage ist, so ausdrücklich beschworen und analytisch umkreist wie jener vorgeblich kalte Fisch als Erzähler. Ich erinnere nur an die Insistenz, mit der Hettche seine Texte um das Theater der Anatomie herum aufbaut, an die zwei Figuren in "Ludwig muß sterben", die aus dem Anatomieatlas auferstehen, um in einem Paralleluniversum zu den Helden des Romans ihre eigene Geschichte zu erleben. Oder an die Modelle und Figuren in der Berliner Cha-rité, die in dem Roman "Nox" das Zentrum einer sadomasochistischen Ekstase darstellen, die jene Nacht des realen Mauerfalls in Berlin symbolisch verdichtet.

    Hettche will es körperlich direkt, er will es ganz und gar, aber er ist nicht so einfältig, darüber die Unterscheidung von symbolischer Funktion und imaginä-rem Schauspiel zu vergessen. Seine ´dirty places´ sind keine coolen locations, sondern Schnittflächen zwischen innen und außen, Festem und Flüssigem, Zei-chen und Bedeutungen, Maschinen und Phantasien.

    Hettches Dauerfrage an die kursierenden Modelle der Weltbeschreibung, zumal der literarischen, ist im Grunde einfach: wie kann eine sinnliche Bele-bung der Literatur gelingen, wenn der Glaube an die schlichte Kraft narrativer Plausibilität verloren ist, zumal unter Bedingungen einer neuen Medienkonkur-renz. Die Antwort ist nicht ganz so leicht nachzuvollziehen. Sie teilt die litera-risch untersuchte Sphäre zunächst in zwei entgegengesetzte Kraftfelder.

    Die eine ist ein Sprechen, das sich mit kunstvollen poetischen Mitteln unseren Vorstellungen des menschlichen Körpers anschmiegt. Ganz inbrünstig werden Körperansichten und -ausschnitte, Details in spezifischer Beleuchtung und Großaufnahme isoliert. Es werden Unter- und Draufsichten ausprobiert, Sequenzen und Variationen vorgeführt. Berührungen von Körpern werden aus ih-rer Handlungslogik gelöst, Blicke führen eine Eigenleben. Man achte einmal darauf, wie es rhythmisch und semantisch ´leckt´ in dieser Prosa, wie Körper klanglich ´schmecken´, und wie immer wieder der Blick, das auf Distanz aus-gelegte und dennoch intime Verkehrsmittel zwischen den Menschen, die schlingernde und bedrohliche Nahkommunikation in der Berührung ersetzt.

    Auf der anderen Seite haben wir es mit einer Nomenklatur und Modellhaftigkeit aus dem wissenschaftlichen Bereich zu tun, weniger der Sozial- oder Humanwissenschaften als vielmehr der medizinischen und technischen. Das ist so selten nicht mehr. Hier steht Hettche nicht weit von den Bemühungen Durs Grünbeins oder Marcel Beyers, um nur die bekanntesten der verwandten litera-rischen Zeitgenossen zu nennen. In seinen bisherigen Arbeiten hat Hettche diesen wissenschaftlichen Diskurs als Subtext seinen Erzählungen unterlegt, zu Teilen rational rekonstruierbar, aber auch ohne solche Anstrengung wahrzunehmen in den fremdartigen Konturen der Oberfläche selbst, bis hin zur eigen-tümlichen Wortchemie, in der Poetisches und Szientifisches sich durchdringen.

    Man kann das Verfahren des Textes, das bei Hettche immer auch ein Begeh-ren und mithin sexuell konnotiert ist, getrost im Begriff der ´Animation´ zusammenfassen. Er hat genug Bedeutungsspielraum, reicht von der filmischen Zeichentrickbearbeitung über die Roboter(karpfen)produktion, der wiederum die Erweckung des Golem vorausgeht, zurück bis zur göttlichen Beatmung des Staubes, die bekanntlich den Menschen zur Folge hatte. Reanimiert wird scheinbar Totes. Animiert wird aber auch der Besucher in der Stripteasebar oder der träge Urlauber im Club mediterranée. Seele, Erregung, Freude, Lust - menschliches Leben findet zu Spannung, der Tonus steigt, man ist, wie es der Pop-song mit einem schönen Hintergrund an Nicht-Selbstverständlichkeit sagt: ´born to be alive´.

    Tote Körper, gezeichnete Körper, beschriebene Körper - bisher arbeitete Hettche hartnäckig an der Aufgabe, die Grenze zwischen totem Zeichen und lebendiger Kommunikation erzählerisch zu eruieren. Allein sein toter Erzähler in ´Nox´ mag schon dafür einstehen. In dem neuen Buch, den ´Animationen´ eben, kehrt er sein Verfahren um. Nicht mehr wird eine literarische Narration von historisch-begrifflichen Komplexen subkutan gezeichnet oder bestenfalls innerviert, sondern umgekehrt wird ein historisch-wissenschaftlicher Text von einer literarischen Erzählung grundiert oder auch durchlöchert, wird gestützt oder gestört. Eben das wollen wir herausbekommen.

    Dabei ist der Singular ´historisch-wissenschaftlicher Text´ schon zu ungenau. Hettche versammelt in ´Animationen´ eine Vielzahl von Themen und Gegenständen aus durchaus verschiedenen Zeiten. Mit seinen 354 zum Teil langen Anmerkungen und einer mehrere hundert Bücher in verschiedenen Sprachen auflistenden Bibliographie bekommt das Buch eine schwere Schlagseite Rich-tung universitärer Diskurs, auch etwas von einem Hamster mit aufgeblasenen Backentaschen; der Haupttext selbst liest sich auch ohne ständiges Nachblät-tern im Anmerkungsapparat flüssig, weil Hettche Zitate bis hin zu kleinen Partikeln oft nahtlos, nur durch Kursivierung gekennzeichnet, seinem Sprachfluß einverleibt. Imposant dieser universitäre Index, verstören sollte er indes nicht.

    Für Verstörung sorgt etwas anders. Wie läßt sich sagen, wovon dieses Textsorte nmischendes Buch eigentlich handelt? Wenn man nicht vom philosophischen oder medientheoretischen Kern ausgeht, sondern von den stofflichen Gegenständen, wird es schwierig. Sagen wir es so: ´Animationen´ ist ein Venedig-Buch. Stellen wir uns Venedig als geographisch - historisch - kulturgeschichtli-chen Körper vor, durch den etliche anatomische Schnitte gelegt werden.

    Der Erzähler kommt an einem Wintertag ´zwischen den Jahren´ im Venedig von heute an, verläuft sich zunächst, findet zu einem Palazzo, in dem er offenbar als Stipendiat wohnen wird, begegnet ebendort einer Contessa und ihre Tochter, bleibt ansonsten meist allein, was seinen Beschreibungen der Spaziergänge durch die Stadt eine gewisse Wehmut und seinen Phantasien und Träumen eine erotische Neigung gibt.

    Nicht nur unterbrochen, sondern völlig überlagert wird diese Erzählebene durch Berichte aus der Geschichte Venedigs, besonders aus der Zeit, als die Macht der großen Seehandelsmetropole schon brüchig war, diese aber gleich-zeitig ihre größte kulturelle Blüte entfaltete: dem Cinquecento, also dem 15. Jahrhundert, das in diesem Fall vor allem auf die Namen des Anatomen Andreas Vesalius, des Poeten Pietro Aretino, des Architekten und Bildhauers Jacopo Sansovino und des Malers Tizian hört.

    Die Berichte und Geschichten aus der Geschichte Venedigs, vom Handel und der Zinswirtschaft, den Festen der Heiligen, der Dogenwahl und den stadteigenen Ritualen, allen voran die berühmte jährliche ´Verlobung mit dem Meer´, bei der der Doge einen Ring dort ins Wasser wirft, wo es ans offene Meer grenzt, diese Berichte und Geschichten, immer sachlich kühl und in knapper Eleganz erzählt, formen aus dem Begriff Venedig einen anschaulichen Körper, indem sie die Körperwerdung des heterogenen politischen und archi-tektonischen Gebildes Venedig selbst nachvollziehen. Hettche erzählt mit wissenschaftlicher Unterstützung wie die Macht den Raum besetzt, wie sich ein Machtraum bildet, den er als Körper liest. "Was also war´s für ein Wort, durch welches der Körper gebildet wurde?", diese Frage aus den ´Bekenntnissen´ des Augustinus zieht sich als Leitfrage durch das ganze Buch. Sie zieht sich in krummen Figuren, in Schlangenlinien und Schleifen hindurch und endet manchmal auch in unauflöslichen Knoten, die den Leser unbefriedigt stocken lassen.

    Betrachten wir zunächst die starke Seite des Textes. Hettche holt die Erfin-dung der Pornographie und die Erfindung der modernen Anatomie in diese grenzhütende, weil immer gefährdete Stadt Venedig. Etwas Mutwillen gehört dazu, da der Dichter Pietro Aretino seine obszönen Sonette zu den nicht weniger obszönen Kupferstichen Raimondis ausgerechnet in Rom, unter den Augen des Klerus verfasste und erst später in die Lagunenstadt floh. Sei´s drum. Die Kommentare, die Hettche zu den berüchtigten ´I Modi´ gibt, über das Wechselspiel von Bild und Text, über die Erregungsfunktion der Sprache, die präsen-zerzeugende Dialogform, ihre Funktion als "Transportmittel der Lust", das die Liebenden teilen wie ihre Geschlechter, belassen wir gerne in der Konnotation zu einem Venedig, das immer stärker als eine Membran zwischen Land und Wasser, zwischen Herrschaftsraum und abenteuerlicher Verlockung inszeniert wird. Zumal der Pornographie die Anatomie auf erhellende Weise zugeordnet wird. Hettche gibt ausführlich Bericht von der Entstehung und Gestalt eines der berühmtesten Werke der Medizingeschichte und einem der Anfänge neuzeitlicher Wissenschaft: der anatomischen Schrift "De humani corporis fabrica" des Andreas Vesal, der zum ersten Mal vom geöffneten menschlichen Leib, und nicht von der Schrift her die Erkenntnis formiert und zudem der Abbildung die Dominanz gegenüber dem Wort einräumt. Die Autorität des Wortes tritt hinter der Topographie der Körper und in der Folge hinter seine Kartographie zurück.

    Man kann hier nicht all die Sequenzen und Sprünge nachvollziehen, die von der Anordnung des anatomischen Theaters über das tableau vivant des 18. und das Panorama des 19. Jahrhunderts zum Film führen, über die Zeichnung zur Kartographie zur Entdeckung der Welt; über den Buchdruck zur Durchsetzung der neuen Standards der Wissenschaft usw. Hettche entfacht hier mit Hilfe un-zähliger Zeugen und Dreinredner aus Wissenschaft und Kunst ein Feuerwerk der Bezüge, von denen viele längst in historische Folgen gebracht sind, die aber auf originelle Weise zusammenwirken, um jene zwielichtige Sphäre aus Wis-senschaft und Sex, Kulturgeschichte und Geschlechtsverhältnis, Erkenntnis und Begehren zu erzeugen, in der man unentwegt die Ebenen wechselt, immer ori-entiert an einigen wenigen Leitmotiven und intellektuellen Knotenpunkten wie der Inkorporierung, der Körperwerdung von Erkenntnis und Sprache; zugespitzt natürlich - und das ist die raison d´etre jedes Textes von Thomas Hettche - in der Erscheinungsform, in der Gestalt des vorliegenden Buches selbst.

    Man wird also, über viele Einzelheiten belehrt, von mancher Spekulation angeregt, schließlich das Ganze in den Blick nehmen müssen: Es gelingt dem gelehrten Buch mit der aparten textuellen Versuchsanordnung letztlich nicht, die Fülle der heterogenen Motive und Sprechweisen zu binden, die Elementarteile choreographisch zu animieren. Aus den membra disiaectae wird nicht jener Ort der Auferstehung des Fleisches oder der Erektion, als der das Buch und der poetische Text hier noch einmal beschworen werden.

    Das hat schlichte Gründe. Hettche will zuviel und nimmt zuviel auf einmal. Im Zweifelsfall überläßt der erzählende Essayist die Verbindung der auseinan-derdriftenden Motivstränge dem Leser. Hettche nimmt die Venedigbesucher wie sie kommen und schreiben. Montaigne mochte Venedig nicht, Casanova floh bekanntlich aus den Bleikammern, Georg Simmel sah nur Schein und kein Gegenteil - und er nimmt sie auch, wie sie nicht kommen, aber gut passen, wie Flaubert zum Beispiel, der auf seiner arabische Reise beim Besuch einer ägyptischen Dame des näheren beäugt und seziert wird. An der zentralen Goethe-Episode läßt sich ein Prinzip, aber auch eine Schwäche des Buchs deutlich zeigen. Offenbar schien Hettche an Goethes Venedig-Äußerungen, die nun wahrlich zahlreich sind und in drei verschiedene Bücher geflossen sind, nur eben die unscheinbare Bemerkung anschlußfähig, nun sei die Stadt dem Reisenden zu einem "ganz klaren und wahren Begriff geworden, und das reiche, sonderbare einzige Bild" habe den hohlen Namen ersetzt. Daran nun knüpft Hettche eine Episode aus Goethes früherer Schweizer Reise, als dieser beim Anblick der le-bensgroßen Statue einer nackten Danae in bloßer Kunstbetrachtung verharrt, anstatt, wie er sich sehnt, "jenes Entzücken, jene Freude, jene unausprechliche Lust in mir" erregt zu fühlen. Die Seltsamkeit, daß der Unaffizierte den vermissten Affekt sehr genau zu benennen vermag, interessiert Hettche nicht; statt dessen erzählt er von jenem Arrangement, das Goethe trifft, um bald darauf ei-ner nackten Dirne in Ruhe ansichtig zu werden. Doch auch hier, in Anbetracht der wie schlafend Daliegenden und somnambul Redenden, herrscht bloß Kunstempfinden in Goethes Brust, bis..., ja bis die Schöne eine Decke über sich zieht und die Augen aufschlägt. Und damit bricht die ihrerseits ausführlich arrangierte und bei jedem Schritt kommentierte Goethe-Episode bei Hettche ab und läßt uns mit dem Rätsel allein.

    Wie ordnen wir die Elemente zusammen? Venedig und das hingestreckte Schweizer Mädchen? Geht es darum, einen schönen in einen erregenden Körper zu verwandeln wie einen hohlen Begriff in eine lebhafte Anschauung? Das Geheimnis der Kunst ist die Verwandlung von Stein zu Fleisch, die Erweckung von Lettern zu Leben, wie es das liturgische Modell der Wandlung, das christliche Abendmahl, vorgibt. Aber was geschieht in Goethes Boudoir? Das Mädchen, eine Schauspielerin, nichts weniger als eine Leiche, schlägt die Augen auf. Ein Unterlaufen des sexuellen Stillebens? Ein Abwerfen der Maske? Die Eröffnung eines Spiels, in dem Betrachter und Objekt die Plätze tauschen? Der Kontext jedenfalls ist zu vage, um hier die Antwort zu soufflieren.

    Später wird der Erzähler in seinem Palazzo die nackt dahingestreckte Contessa betrachten, wird sie beschreiben, vielleicht zeichnen, wie sich ihr of-fenes Geschlecht darbietet. Der Zusammenhang von Auge und Geschlecht wird evoziert. Man sieht den Erzähler das offene Geschlecht sehen, eine Beschwörung der Erfahrung der Kastration, wie schon häufig bei Hettche. Aber in die-sem Essay steht das Bild nicht in seiner Erstarrung für sich selbst, sondern ist in einen Ableitungszusammenhang gestellt, der aus lauter pointierten Einsichten, rätselhaften Anekdoten und dann wieder rätsellösenden, das heißt aufklärenden Zitaten besteht. Das Verhältnis von Erzählung und wissenschaftlichem Diskurs, von Anekdoten und sachlichem Bericht ist hoch aufgeladen, entlädt sich beim Leser schließlich als Überforderung. Er ist nicht der Empfänger einer Frage, sondern er muß sie erst noch bauen. Das Material sortieren, auswählen, verwerfen, konstruieren, was er überhaupt zu wissen begehrt. Er muß das Buch erst schreiben, das Hettche gerne geschrieben hätte.

    Insofern, um das Gleichnis vom Anfang aufzugreifen, hat Hettche mit seinen ´Animationen´ ein Buch geschrieben, das einem Roboterfisch gleicht, dessen äußere Erscheinung nach innen gestülpt ist, um lauter elektronische Bausteine sichtbar werden zu lassen, von denen viele funktionieren, deren Zusammen-spiel indes fraglich ist. Nun gut, wir lieben technologisches Design, aber nur wenn es einem Funktionieren Ausdruck gibt.

    Und daß es sowieso und überhaupt anders funktioniert als in einem Buch, das ja nichts als Sprache managt, sagt uns Thomas Hettche in einer naheliegenden Vision zu Anfang und Ende seines Buchs: "Sprache - eine verlassene Provinz - nicht mehr der universale Code, der die Welt aufschließt." Das Selbstge-spräch des Planeten finde längst in den Bilderkaskaden neuronaler Datennetze statt. Sie stehen in ihrer Sprachlosigkeit dem Menschen so übermächtig entgegen wie einst in prähistorischen Zeiten die stumme Natur. Ob in ferner Zukunft wieder jemand Worte findet, um die fremde Gewalt der technoiden Räume zu bannen, fragt Hettche. Welch humanistisches Ansinnen! Welche Aufgabe für einen Dichter! In "www.hettche.de/animationen" und in dem gleichnamigen Druckerzeugnis erkennen wir den ehrenwerten Versuch dazu. Kein anthropo-technischer Zähmungsversuch, eher ein poetisch-essayistischer Versuch mitzuhalten. Dabei kann man schon mal ins Straucheln kommen. Doch elegant stürzen ist auch eine Kunst.