Ein pensionierter türkischer Offizier in Ankara über die Zuwanderer aus der anatolischen Provinz:
"Die kamen über Nacht, besetzten staatlichen Grund und bauten sich darauf ruck, zuck eine Hütte. Die haben Ankara kulturell und von der Lebensqualität her an den Rand des Abgrunds gebracht. Das war so schlimm, dass unweit des Zentrums eine illegale Müllhalde entstand und sich zahlreiche Botschaftergattinnen bei der Regierung über den Gestank beschwert haben."
Und ein junger Musiker über die Mühe, alte Klischees abzustreifen:
"Das Image von Ankara ist immer noch, dass hier abends die Bürgersteige hochgeklappt werden. Aber inzwischen haben auch die Bürokraten ihr Freizeitverhalten geändert - und deren Kinder sowieso!"
Abschied von Atatürk: Gesichter Europas an diesem Samstag über Ankara im Umbruch. Unser Reporter ist Gunnar Köhne. Am Mikrofon begrüßt Sie Barbara Schmidt-Mattern!
Ankara ist der Kopf, Istanbul die Seele der Türkei - so hat es eine große Kennerin des Landes auf den Punkt gebracht und damit Ankaras ganzes Dilemma benannt. Immer schon stand die Hauptstadt in Zentralanatolien im Schatten der quirligen Metropole am Bosporus. Dem Selbstbewusstsein Ankaras tut das offenkundig nicht gut. Wie sonst wäre es zu verstehen, dass sogar die türkische Verfassung es verbietet, eine Verlegung der Hauptstadt auch nur vorzuschlagen. Jahrzehntelang galt Ankara als abgeschottete Hochburg der staatstreuen Kemalisten, jetzt aber ist die neue "anatolische Bourgeoisie" dabei, die Stadt zu erobern: Religiöse gegen Republikaner, Eliten gegen Aufsteiger, Bürger gegen das Volk. Zwei Welten prallen aufeinander, und in Ankara kracht es besonders laut.
Symbol dafür ist der berühmte Kýzýlay-Platz: Kundgebungen, Proteste, Straßenkämpfe - ob während des Putsches 1980 oder während der großen Demonstrationen in diesem Frühjahr: Der Kýzýlay ist immer im Bild, wenn die Türkei in Bewegung kommt. Wenn die Wogen sich wieder glätten, herrschen Ordnung und Sauberkeit, auch das ist typisch für Ankara. Begegnung mit Duran Alp, Straßenfeger am Kýzýlay-Platz:
"Die kamen über Nacht, besetzten staatlichen Grund und bauten sich darauf ruck, zuck eine Hütte. Die haben Ankara kulturell und von der Lebensqualität her an den Rand des Abgrunds gebracht. Das war so schlimm, dass unweit des Zentrums eine illegale Müllhalde entstand und sich zahlreiche Botschaftergattinnen bei der Regierung über den Gestank beschwert haben."
Und ein junger Musiker über die Mühe, alte Klischees abzustreifen:
"Das Image von Ankara ist immer noch, dass hier abends die Bürgersteige hochgeklappt werden. Aber inzwischen haben auch die Bürokraten ihr Freizeitverhalten geändert - und deren Kinder sowieso!"
Abschied von Atatürk: Gesichter Europas an diesem Samstag über Ankara im Umbruch. Unser Reporter ist Gunnar Köhne. Am Mikrofon begrüßt Sie Barbara Schmidt-Mattern!
Ankara ist der Kopf, Istanbul die Seele der Türkei - so hat es eine große Kennerin des Landes auf den Punkt gebracht und damit Ankaras ganzes Dilemma benannt. Immer schon stand die Hauptstadt in Zentralanatolien im Schatten der quirligen Metropole am Bosporus. Dem Selbstbewusstsein Ankaras tut das offenkundig nicht gut. Wie sonst wäre es zu verstehen, dass sogar die türkische Verfassung es verbietet, eine Verlegung der Hauptstadt auch nur vorzuschlagen. Jahrzehntelang galt Ankara als abgeschottete Hochburg der staatstreuen Kemalisten, jetzt aber ist die neue "anatolische Bourgeoisie" dabei, die Stadt zu erobern: Religiöse gegen Republikaner, Eliten gegen Aufsteiger, Bürger gegen das Volk. Zwei Welten prallen aufeinander, und in Ankara kracht es besonders laut.
Symbol dafür ist der berühmte Kýzýlay-Platz: Kundgebungen, Proteste, Straßenkämpfe - ob während des Putsches 1980 oder während der großen Demonstrationen in diesem Frühjahr: Der Kýzýlay ist immer im Bild, wenn die Türkei in Bewegung kommt. Wenn die Wogen sich wieder glätten, herrschen Ordnung und Sauberkeit, auch das ist typisch für Ankara. Begegnung mit Duran Alp, Straßenfeger am Kýzýlay-Platz:
Ordnung und Sauberkeit auf dem Kizilay-Platz
"Meine Aufgabe ist es, im Auftrag des Stadtbezirks Cankaya den 'Park der Sicherheitskräfte' sauber zu halten. Der wurde zu Ehren unserer Polizei angelegt. Ich bin Frührentner und muss mir einfach noch was dazuverdienen, um über die Runden zu kommen. Ich mache diesen Job erst seit ein paar Monaten. Ich bekomme den Mindestlohn, das sind 580 Lira, etwa 340 Euro im Monat.
Ich fange morgens um acht Uhr mit der Arbeit an und höre um fünf auf. Kontrollieren kann man meine Arbeit kaum, aber ich erledige sie trotzdem sehr gewissenhaft, dass bin ich mir selber schuldig.
Die Arbeit ist nicht schwer und mir macht sie Freude. Nur: Jeder Mensch hat ein anderes Verständnis von Sauberkeit. Immer wieder laufen die Leute über den nassen Rasen und tragen mit ihren Schuhen die Erde auf die Gehwege. Wie der junge Mann dort drüben, sehen Sie. Wir weisen sie natürlich darauf hin, dass nicht mit ihren Stiefeln über den Rasen laufen und die Abfalleimer benutzen sollen. Das ist auch unsere Aufgabe. Aber es gibt neuerdings diese 'Ist-mir-doch-egal-Haltung'. Wir sollten trotzdem nicht aufhören, uns gegenseitig auf falsches Verhalten hinzuweisen, nicht nur in der Abfallfrage. Dann würde unser Leben besser, davon bin ich überzeugt.
Ich fege diesen Park jeden Tag. Wenn der Park mal zwei Tage nicht gefegt ist, beschweren sich die Bürger sofort bei der Stadtverwaltung: Warum macht ihr dort nicht sauber? Darum säubern wir jeden Tag alle Straßen und Parks.
Wenn wir die Straße fegen, dann beschweren sich die Mitbürger über den Staub. Warum fegst du mir den ganzen Staub ins Gesicht, rufen sie dann. Na, was soll man machen.
Ich bin in fast allen Städten der Türkei gewesen. Ankara ist wirklich diszipliniert, nicht nur, was die Sauberkeit anbetrifft, sondern das gilt auch für den Verkehr. Der Stadtteil Cankaya hier ist sozusagen das Gehirn der Türkei, hier sind zahlreiche Ministerien, von hier aus wird das Land regiert.
Ich bin seit meinem dritten Lebensjahr in Ankara, die Stadt hat sich sehr verändert, das ist normal, sie muss ja Schritt halten.
Vor 20 Jahren waren die Straßen und Parks nicht so gut hergerichtet wie heute. Hier am Kýzýlay-Platz herrschte großes Kommen und Gehen, die U-Bahn gab es noch nicht. Zehntausende von Zigarettenstummeln wurden auf den Platz geworfen. Heute ist Ankara sauberer. Und es wird noch sauberer, davon bin ich überzeugt.
Sauberkeit ist eine Frage der Erziehung. Zwischen den einzelnen Stadtteilen Ankaras besteht ein großer Unterschied. Man merkt sofort, in welchem Stadtteil die Beamten wohnen. Dort ist es sauber. In anderen Stadtteilen spucken die Leute die Schalen der Sonnenblumenkerne haufenweise auf die Straße, obwohl sie direkt neben einem Abfalleimer sitzen!
Da, wo ich wohne, außerhalb der Stadt, gibt es keine Parks. Unsere Kinder müssen auf der Straße spielen. Wenn ich nach Hause komme, bin ich immer noch irgendwie im Dienst. Ich achte in unserer Straße darauf, dass nicht alles so verdreckt. Ich ermahne die Kinder und die Nachbarn. Seit ich diesen Job mache, trage ich jede Zigarettenschachtel so lange in meiner Hand, bis ich einen Abfalleimer finde."
Sanchos Morgengang heißt eine Kurzgeschichte von Haldun Taner. Der 1915 geborene Autor stammt aus Istanbul und wurde in den fünfziger Jahren vor allem als Bühnenautor bekannt. Er etablierte das Epische Theater in der Türkei, und gründete später das erste Kabarett des Landes. Sanchos Morgengang gehört zu seinen berühmt gewordenen satirischen Kurzgeschichten. Sancho, ein Vierbeiner aus Ankara, beobachtet die High Society der Hauptstadt aus Hundeperspektive. Manchen Dünkel der bildungsbürgerlichen Eliten, auch die Arroganz gegenüber der Provinz, übernimmt er dabei mit einer Selbstverständlichkeit, dass der Unterschied zwischen Hund und Mensch sich scheinbar auflöst.
tiki tiki praf
tiki tiki praf
Er genoss diesen Gleichklang, als er auf dem besonnten Gehsteig dahinmarschierte.
tiki tiki praf
tiki tiki praf
Am Tor zur deutschen Botschaft tauschte er einen Gruß mit Graf. Graf hatte sich nach neuester Pudelmode sein dichtes Kraushaar am Unterleib wegscheren und oben zu einer Löwenmähne hoch toupieren lassen, so dass er jetzt mit seinem weißen Schnurrbart à la Feldmarschall von Mackensen gar nicht mal so schlecht aussah.
tiki tiki praf
tiki tiki praf
Auf dem Platz vor der Straße zur Großen Nationalversammlung begegnete er Hedi. Das weiße Pekinesenweibchen mit den traurigen Augen trug wie immer ein blaues Schleifchen am Kopf. Obwohl Hedis Frauchen den Winter in Sankt Moritz und den Sommer in Biarritz verbrachte, war sie eine hysterische Person mit spindeldürren Beinen. Ein Zürcher Psychiater hatte der Frau einmal geraten, sich doch jedes Mal, wenn etwas sie belaste, vor ihren Hund zu stellen und es sich von der Seele zu schreien. Der Frau hatte diese Therapie tatsächlich gut getan, aber nun hatte die arme Hedi es mit den Nerven.
tiki tiki praf
tiki tiki praf
tiki tiki
tiki tiki ???
Dass sein tiki tiki um das praf gebracht wurde, merkte der in Gedanken versunkene Sancho reichlich spät. Er lief mit der Schnauze am Boden den Weg zurück. Aha, Hülyas Vater war stehengeblieben und unterhielt sich mit jemandem. Wer mochte das wohl sein? Als er den Kamelhaarmantel und den schwarzen, breitkrempigen Hut sah, war ihm alles klar. Das musste einer der neu ins Parlament gewählten Rechtsanwälte aus der Provinz sein.
Ankara, die Aufgeräumte, hat eine enge und verwinkelte Altstadt: Hier, zwischen Wäscheleinen und windschiefen Häuschen, ist die Zeit stehengeblieben, Stoff- und Gewürzhändler, und kleine Handwerksläden betreiben ihr Gewerbe wie anno dazumal. Ein Kuhdorf mitten in, oder besser über der Stadt, denn das alte Ankara liegt auf einem steilen Vulkanhügel hoch über der modernen Hauptstadt.
Die Anfänge reichen bis ins dritte Jahrhundert vor Christus zurück: Hethiter, Galater, sie alle kamen, sahen und zogen irgendwann weiter. Erst die byzantinischen Herrscher gaben der Stadt ihre heutige Form. 1361 fiel sie dann in den Besitz der Osmanen, erhielt fortan ein islamisches Antlitz und ihre erste Moschee. Als Staatsgründer Atatürk Ankara 1923 zur Hauptstadt der frisch geborenen Republik erklärt, ist das eine Vernunfts- und keine Herzensentscheidung.
Die Stadt liegt mitten im anatolischen Hochland - ist also schwer einzunehmen - und sie liegt direkt an der Bagdadbahn, der wichtigsten Eisenbahnlinie des Landes. Vor allem aber steht Ankara für den Bruch mit dem Osmanischen Reich. Mit der alten Ära wollen die aufstrebenden Kemalisten, wie die Atatürk-Anhänger sich nennen, nichts mehr zu tun haben. So wird die Stadt zum Symbol für die laizistische, moderne, nach Europa strebende Türkei. Und wie die Stadt, so ihre Bürger: 1923, das Geburtsjahr der Republik ist für Ankaras eingesessene Eliten im Jahre 2007 noch immer identitätsstiftend. Das lässt die Kemalisten heute so alt aussehen.
Vor allem die Armee begreift sich als Fundament der Republik, militärisch wie politisch - schließlich wurde die neue Nation seinerzeit durch einen Putsch gegründet. Seitdem gilt der Aufstand der Militärs als probates Mittel, um Politik zu machen, und die alten Pfründe zu verteidigen. Besuch bei einer Offiziersfamilie in Ankara.
Ich fange morgens um acht Uhr mit der Arbeit an und höre um fünf auf. Kontrollieren kann man meine Arbeit kaum, aber ich erledige sie trotzdem sehr gewissenhaft, dass bin ich mir selber schuldig.
Die Arbeit ist nicht schwer und mir macht sie Freude. Nur: Jeder Mensch hat ein anderes Verständnis von Sauberkeit. Immer wieder laufen die Leute über den nassen Rasen und tragen mit ihren Schuhen die Erde auf die Gehwege. Wie der junge Mann dort drüben, sehen Sie. Wir weisen sie natürlich darauf hin, dass nicht mit ihren Stiefeln über den Rasen laufen und die Abfalleimer benutzen sollen. Das ist auch unsere Aufgabe. Aber es gibt neuerdings diese 'Ist-mir-doch-egal-Haltung'. Wir sollten trotzdem nicht aufhören, uns gegenseitig auf falsches Verhalten hinzuweisen, nicht nur in der Abfallfrage. Dann würde unser Leben besser, davon bin ich überzeugt.
Ich fege diesen Park jeden Tag. Wenn der Park mal zwei Tage nicht gefegt ist, beschweren sich die Bürger sofort bei der Stadtverwaltung: Warum macht ihr dort nicht sauber? Darum säubern wir jeden Tag alle Straßen und Parks.
Wenn wir die Straße fegen, dann beschweren sich die Mitbürger über den Staub. Warum fegst du mir den ganzen Staub ins Gesicht, rufen sie dann. Na, was soll man machen.
Ich bin in fast allen Städten der Türkei gewesen. Ankara ist wirklich diszipliniert, nicht nur, was die Sauberkeit anbetrifft, sondern das gilt auch für den Verkehr. Der Stadtteil Cankaya hier ist sozusagen das Gehirn der Türkei, hier sind zahlreiche Ministerien, von hier aus wird das Land regiert.
Ich bin seit meinem dritten Lebensjahr in Ankara, die Stadt hat sich sehr verändert, das ist normal, sie muss ja Schritt halten.
Vor 20 Jahren waren die Straßen und Parks nicht so gut hergerichtet wie heute. Hier am Kýzýlay-Platz herrschte großes Kommen und Gehen, die U-Bahn gab es noch nicht. Zehntausende von Zigarettenstummeln wurden auf den Platz geworfen. Heute ist Ankara sauberer. Und es wird noch sauberer, davon bin ich überzeugt.
Sauberkeit ist eine Frage der Erziehung. Zwischen den einzelnen Stadtteilen Ankaras besteht ein großer Unterschied. Man merkt sofort, in welchem Stadtteil die Beamten wohnen. Dort ist es sauber. In anderen Stadtteilen spucken die Leute die Schalen der Sonnenblumenkerne haufenweise auf die Straße, obwohl sie direkt neben einem Abfalleimer sitzen!
Da, wo ich wohne, außerhalb der Stadt, gibt es keine Parks. Unsere Kinder müssen auf der Straße spielen. Wenn ich nach Hause komme, bin ich immer noch irgendwie im Dienst. Ich achte in unserer Straße darauf, dass nicht alles so verdreckt. Ich ermahne die Kinder und die Nachbarn. Seit ich diesen Job mache, trage ich jede Zigarettenschachtel so lange in meiner Hand, bis ich einen Abfalleimer finde."
Sanchos Morgengang heißt eine Kurzgeschichte von Haldun Taner. Der 1915 geborene Autor stammt aus Istanbul und wurde in den fünfziger Jahren vor allem als Bühnenautor bekannt. Er etablierte das Epische Theater in der Türkei, und gründete später das erste Kabarett des Landes. Sanchos Morgengang gehört zu seinen berühmt gewordenen satirischen Kurzgeschichten. Sancho, ein Vierbeiner aus Ankara, beobachtet die High Society der Hauptstadt aus Hundeperspektive. Manchen Dünkel der bildungsbürgerlichen Eliten, auch die Arroganz gegenüber der Provinz, übernimmt er dabei mit einer Selbstverständlichkeit, dass der Unterschied zwischen Hund und Mensch sich scheinbar auflöst.
tiki tiki praf
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Er genoss diesen Gleichklang, als er auf dem besonnten Gehsteig dahinmarschierte.
tiki tiki praf
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Am Tor zur deutschen Botschaft tauschte er einen Gruß mit Graf. Graf hatte sich nach neuester Pudelmode sein dichtes Kraushaar am Unterleib wegscheren und oben zu einer Löwenmähne hoch toupieren lassen, so dass er jetzt mit seinem weißen Schnurrbart à la Feldmarschall von Mackensen gar nicht mal so schlecht aussah.
tiki tiki praf
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Auf dem Platz vor der Straße zur Großen Nationalversammlung begegnete er Hedi. Das weiße Pekinesenweibchen mit den traurigen Augen trug wie immer ein blaues Schleifchen am Kopf. Obwohl Hedis Frauchen den Winter in Sankt Moritz und den Sommer in Biarritz verbrachte, war sie eine hysterische Person mit spindeldürren Beinen. Ein Zürcher Psychiater hatte der Frau einmal geraten, sich doch jedes Mal, wenn etwas sie belaste, vor ihren Hund zu stellen und es sich von der Seele zu schreien. Der Frau hatte diese Therapie tatsächlich gut getan, aber nun hatte die arme Hedi es mit den Nerven.
tiki tiki praf
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Dass sein tiki tiki um das praf gebracht wurde, merkte der in Gedanken versunkene Sancho reichlich spät. Er lief mit der Schnauze am Boden den Weg zurück. Aha, Hülyas Vater war stehengeblieben und unterhielt sich mit jemandem. Wer mochte das wohl sein? Als er den Kamelhaarmantel und den schwarzen, breitkrempigen Hut sah, war ihm alles klar. Das musste einer der neu ins Parlament gewählten Rechtsanwälte aus der Provinz sein.
Ankara, die Aufgeräumte, hat eine enge und verwinkelte Altstadt: Hier, zwischen Wäscheleinen und windschiefen Häuschen, ist die Zeit stehengeblieben, Stoff- und Gewürzhändler, und kleine Handwerksläden betreiben ihr Gewerbe wie anno dazumal. Ein Kuhdorf mitten in, oder besser über der Stadt, denn das alte Ankara liegt auf einem steilen Vulkanhügel hoch über der modernen Hauptstadt.
Die Anfänge reichen bis ins dritte Jahrhundert vor Christus zurück: Hethiter, Galater, sie alle kamen, sahen und zogen irgendwann weiter. Erst die byzantinischen Herrscher gaben der Stadt ihre heutige Form. 1361 fiel sie dann in den Besitz der Osmanen, erhielt fortan ein islamisches Antlitz und ihre erste Moschee. Als Staatsgründer Atatürk Ankara 1923 zur Hauptstadt der frisch geborenen Republik erklärt, ist das eine Vernunfts- und keine Herzensentscheidung.
Die Stadt liegt mitten im anatolischen Hochland - ist also schwer einzunehmen - und sie liegt direkt an der Bagdadbahn, der wichtigsten Eisenbahnlinie des Landes. Vor allem aber steht Ankara für den Bruch mit dem Osmanischen Reich. Mit der alten Ära wollen die aufstrebenden Kemalisten, wie die Atatürk-Anhänger sich nennen, nichts mehr zu tun haben. So wird die Stadt zum Symbol für die laizistische, moderne, nach Europa strebende Türkei. Und wie die Stadt, so ihre Bürger: 1923, das Geburtsjahr der Republik ist für Ankaras eingesessene Eliten im Jahre 2007 noch immer identitätsstiftend. Das lässt die Kemalisten heute so alt aussehen.
Vor allem die Armee begreift sich als Fundament der Republik, militärisch wie politisch - schließlich wurde die neue Nation seinerzeit durch einen Putsch gegründet. Seitdem gilt der Aufstand der Militärs als probates Mittel, um Politik zu machen, und die alten Pfründe zu verteidigen. Besuch bei einer Offiziersfamilie in Ankara.
Zwischen Religion und Militärlaufbahn
Eine Reihenhaussiedlung - auch das gibt es in Ankara. Sie heißt "Friedenssiedlung" - eine Erinnerung an Atatürks berühmten Ausspruch: "Frieden Zuhause und Frieden in der Welt." Auf den gepflasterten Auffahrten stehen Dreiräder, Laubharken lehnen an den kunststoffverschalten Häusermauern. Wer hier wohnt, war oder ist in höherer Beamtenposition. Die Siedlung liegt abseits der "Eskisehir Route", einer breiten Ausfallstraße, die Richtung Südwestanatolien führt.
Früher galt in Ankara: Die Innenstadtbezirke gehören den Bessergestellten, die Ränder den Armen. Das hat sich geändert. Hier, wo noch vor zwanzig Jahren Schafhirten mit ihren Herden umherzogen, haben heute Behörden, Universitäten und Einkaufszentren ihren Sitz.
Zuhause bei Oberst a. D. Ekrem Yücesoy. Kerzengerade sitzt der 72-Jährige neben seiner Gattin Aysel im Sessel. Ihr vierjähriger Enkel hockt still auf dem dezent gemusterten anatolischen Teppich und spielt mit einem Plastikroboter. Yücesoys Tochter Nil serviert dampfenden Tee in Gläsern, dazu gibt es Börek, feine Blätterteigstücke. Vierzig Jahre diente Ekrem Yücesoy in den Landstreitkräften seines Landes, später folgte noch eine erfolgreiche Zeit als Rechtsanwalt. Geboren ist Yücesoy in der südostanatolischen Stadt Mardin - vor 70 Jahren ein bitterarmer Flecken und heute immer noch. Mit dem Besuch der Militärakademie hat Yücesoy den Weg aus der Armut geschafft. Er hat Ankara alles zu verdanken:
"Ankara ist für uns Soldaten selbstverständlich heilig. Die wichtigsten Militärschulen und die gesamte Armeeführung haben hier ihren Sitz. Hier hat Atatürk das erste Parlament einberufen, hier residiert der Staatspräsident. Eine andere Hauptstadt kann ich mir nicht vorstellen. Auch strategisch gesehen wäre das ein Fehler, denn Ankaras zentrale Lage ist hervorragend. Von hier aus lässt sich das Land gut kontrollieren und verteidigen."
Ekrem Yücesoys Frau rutscht in ihrem leuchtend roten Kostüm auf ihrem Stuhl etwas nach vorn. Sie und ihr Mann haben sich vor 50 Jahren in Ankara kennengelernt, die Kinder sind hier geboren und aufgewachsen:
"Zuerst habe ich das Meer vermisst, nachdem ich von der Ägäis hierher gezogen war als junges Mädchen. Aber bald habe ich die Modernität und die freie Atmosphäre Ankaras schätzen gelernt. Hier leben überwiegend anständige Menschen, das gefällt mir."
Ankara stand in den fünfziger und sechziger Jahren für die neue Türkei, sie war das Symbol der Republik, Istanbul dagegen die Hauptstadt des untergegangenen Osmanischen Reiches. Die Stadt bestand aus ehrenwerten Soldaten, Akademiker und Beamtenfamilien, doch im Laufe der Zeit drängten immer mehr Dörfler aus dem Osten hinzu. Ekrem Yücesoy bekommt ein ärgerliches Gesicht:
"Die kamen über Nacht, besetzten staatlichen Grund und bauten sich ruck, zuck darauf eine Hütte. Gecekondus nennt man diese Siedlung, 'Über-Nacht-Gebaute'. Die haben Ankara kulturell und von der Lebensqualität her an den Rand des Abgrunds gebracht. Das war so schlimm, dass unweit von Cankaya, also unweit des Zentrums, eine illegale Müllhalde entstand und sich zahlreiche Botschaftergattinnen bei der Regierung über den Gestank beschwert haben."
Heute sind die meisten Gecekondus geschleift und die frommen Zuwanderer von einst regieren das Land und die Hauptstadt. Die Religiösen! Ein Ruck geht durch die türkische Offiziersfamilie Yücesoy, während ein feiner Mandelkuchen auf den Tisch kommt. Die Entwicklungs- und Gerechtigkeitspartei von Ministerpräsident Erdogan und Staatspräsident Gül! Die vielen Kopftuchfrauen auf den Straßen! Wäre Oberst a.D. Yücesoy nicht so zurückhaltend, er würde vielleicht mit der Faust auf den mahagonifurnierten Beistelltisch hauen. Für einen Augenblick blickt er grimmig auf sein Teeglas und schiebt es dann mit spitzen Fingern ein paar Zentimeter zur Seite.
"Man muss einen Unterschied machen zwischen Gottesfürchtigen und Religiösen. Ich bin doch auch gottesfürchtig, meine Kinder ebenso, aber die Religiösen bringen den Menschen die Anarchie. Die sehen uns als ihre Feinde. So etwas gab es vor zwanzig Jahren nicht, dass Mädchen von einem Teil der Gesellschaft gezwungen wurden, ein Kopftuch zu tragen!
Meine Mutter trug höchstens einen Hut, dazu einen kurzen Rock. Meine Schwiegermutter ebenso. Aber gleichzeitig hat mich meine Mutter die Liebe zu Gott gelehrt, sie hat mir den Unterschied zwischen Gut und Böse beigebracht. Sich den Kopf zu verhüllen ist doch völlig überflüssig.
Wenn jemand das Kopftuch trägt, um etwas zu symbolisieren stört mich das sehr! Auch in der Generation unserer Großmütter banden sich manche ein einfaches Kopftuch um. Aber heute geht es um ein politisches Symbol!
So eine Entwicklung kann ich - als Angehöriger der Streitkräfte - nicht hinnehmen. Darum hat unsere ganze Familie bei den Kundgebungen der Kemalisten im Frühjahr teilgenommen. Und wo fand die größte Demonstration gegen die Religiösen statt? In Ankara! Dafür lieben wir diese Stadt!"
Hinter dem breiten Wohnzimmerfenster der Yücesoys, zur Umgehungsstraße hin, prangt der sechsgeschossig Bau des Nationalen Sicherheitsrates - eine Einrichtung des türkischen Militärs. Obwohl die Verfassung das nicht vorsieht, werden hier vermeintliche Feinde des Landes beobachtet - Feinde im Innern wie im Äußeren. Der Familie Yücesoy gibt das Sicherheit. Nie haben sie daran gedacht, Ankara zu verlassen, sagen sie. Und beim Stichwort Istanbul winken sie ab:
"Istanbul ist eine schöne Stadt, keine Frage, aber die Lebensqualität ist hier in Ankara viel höher. Istanbul ist das Handelszentrum des Landes und das soll es auch bleiben!"
"Für mich ist wichtig, dass Ankara in seinen Bildungsangeboten so stark ist. Es gibt elf Universitäten in der Stadt. Wissenschaft und Technik sind hier angesiedelt. Das alles wirkt sich auf die Atmosphäre der Stadt aus. Außerdem ist es eine relativ sichere Stadt, es gibt nicht so viel Kriminalität wie in Istanbul. Als junges Mädchen bin ich doch bis spät abends in den Bars geblieben. Das liegt sicher auch daran, dass hier jeder Zweite für den Staat arbeitet. Das bringt mehr Kultur."
Einer so überzeugten Ankaraner Familie fällt es schwer, etwas Kritisches über ihre Stadt zu sagen. Natürlich: Das Meer fehlt, da sind Istanbul und Izmir besser gelegen. Aber, sagt Oberst Yücesoy dem Besucher beim Abschied von der "Friedenssiedlung", die Gründungsväter der Republik hätten bei ihrer Entscheidung für Ankara etwas viel Wichtigeres vergessen:
"Durch alle Hauptstädte der Welt fließt ein Fluss, nur in Ankara fehlt er. Die Gründungsväter der Republik hätten sich damals nur für das Nachbardorf Kirikkale entscheiden müssen, dort fließt ein Fluss."
Ankara ist das politische Machtzentrum des Landes, Regierung und Parlament haben hier ihren Sitz, und ebenso das mächtige Militär. Jedes Jahr am 29. Oktober, dem Tag der Staatsgründung, feiert die Republik sich selbst. Die Stadt wirkt wie in rot getaucht, Nationalflagge, Halbmond und Atatürk - wirklich jede Hausfassade und Fensterfront ist an diesem Tag zugehängt. Auf einer Pferderennbahn etwas außerhalb findet die größte Militärparade im ganzen Land statt. Die Ehrentribüne wird dominiert von Uniformen: Hier zeigt sich, wer noch immer das Sagen hat im türkischen Staat.
Die Wahl von Abdullah Gül zum Staatspräsidenten gilt daher als Zäsur - für den alten Apparat aber schlimmer noch: als Niederlage. Der religiös-konservative Politiker ist den alten Eliten ein Dorn im Auge, zumal Cankaya, der Präsidentenpalast, immer eine Bastion der Kemalisten war. Güls einziger Pluspunkt dürfte sein, dass er am Nationalfeiertag Geburtstag hat. Ansonsten aber bleibt es ein Verhältnis auf Sparflamme: Gül und das Militär werden einfach nicht warm miteinander. Als Aufsteiger sehen sie ihn, wie überhaupt seine ganze Partei, die gemäßigt islamische AKP mit ihren Kopftüchern und Schnurrbärten.
Dabei ist die Angst vor einer Islamisierung eher Vorwand, eigentlich geht es um einen Macht- und Klassenkampf. Ankaras republikanischer Adel hat sich immer schon als Elite gefühlt. Das Volk, das waren die Bauern im Rest des Landes: Religiös und ungebildet. Heute lösen sich die alten Stereotype auf. Die Moscheen sind voller moderner, junger Leute. Glaube und Bildung schließen sich nicht mehr aus. Nur die Religion selbst bleibt ein heikles Feld in Ankara, der laizistischen Hauptstadt. Besuch in einer Moschee, in der der Staat das Sagen hat.
Früher galt in Ankara: Die Innenstadtbezirke gehören den Bessergestellten, die Ränder den Armen. Das hat sich geändert. Hier, wo noch vor zwanzig Jahren Schafhirten mit ihren Herden umherzogen, haben heute Behörden, Universitäten und Einkaufszentren ihren Sitz.
Zuhause bei Oberst a. D. Ekrem Yücesoy. Kerzengerade sitzt der 72-Jährige neben seiner Gattin Aysel im Sessel. Ihr vierjähriger Enkel hockt still auf dem dezent gemusterten anatolischen Teppich und spielt mit einem Plastikroboter. Yücesoys Tochter Nil serviert dampfenden Tee in Gläsern, dazu gibt es Börek, feine Blätterteigstücke. Vierzig Jahre diente Ekrem Yücesoy in den Landstreitkräften seines Landes, später folgte noch eine erfolgreiche Zeit als Rechtsanwalt. Geboren ist Yücesoy in der südostanatolischen Stadt Mardin - vor 70 Jahren ein bitterarmer Flecken und heute immer noch. Mit dem Besuch der Militärakademie hat Yücesoy den Weg aus der Armut geschafft. Er hat Ankara alles zu verdanken:
"Ankara ist für uns Soldaten selbstverständlich heilig. Die wichtigsten Militärschulen und die gesamte Armeeführung haben hier ihren Sitz. Hier hat Atatürk das erste Parlament einberufen, hier residiert der Staatspräsident. Eine andere Hauptstadt kann ich mir nicht vorstellen. Auch strategisch gesehen wäre das ein Fehler, denn Ankaras zentrale Lage ist hervorragend. Von hier aus lässt sich das Land gut kontrollieren und verteidigen."
Ekrem Yücesoys Frau rutscht in ihrem leuchtend roten Kostüm auf ihrem Stuhl etwas nach vorn. Sie und ihr Mann haben sich vor 50 Jahren in Ankara kennengelernt, die Kinder sind hier geboren und aufgewachsen:
"Zuerst habe ich das Meer vermisst, nachdem ich von der Ägäis hierher gezogen war als junges Mädchen. Aber bald habe ich die Modernität und die freie Atmosphäre Ankaras schätzen gelernt. Hier leben überwiegend anständige Menschen, das gefällt mir."
Ankara stand in den fünfziger und sechziger Jahren für die neue Türkei, sie war das Symbol der Republik, Istanbul dagegen die Hauptstadt des untergegangenen Osmanischen Reiches. Die Stadt bestand aus ehrenwerten Soldaten, Akademiker und Beamtenfamilien, doch im Laufe der Zeit drängten immer mehr Dörfler aus dem Osten hinzu. Ekrem Yücesoy bekommt ein ärgerliches Gesicht:
"Die kamen über Nacht, besetzten staatlichen Grund und bauten sich ruck, zuck darauf eine Hütte. Gecekondus nennt man diese Siedlung, 'Über-Nacht-Gebaute'. Die haben Ankara kulturell und von der Lebensqualität her an den Rand des Abgrunds gebracht. Das war so schlimm, dass unweit von Cankaya, also unweit des Zentrums, eine illegale Müllhalde entstand und sich zahlreiche Botschaftergattinnen bei der Regierung über den Gestank beschwert haben."
Heute sind die meisten Gecekondus geschleift und die frommen Zuwanderer von einst regieren das Land und die Hauptstadt. Die Religiösen! Ein Ruck geht durch die türkische Offiziersfamilie Yücesoy, während ein feiner Mandelkuchen auf den Tisch kommt. Die Entwicklungs- und Gerechtigkeitspartei von Ministerpräsident Erdogan und Staatspräsident Gül! Die vielen Kopftuchfrauen auf den Straßen! Wäre Oberst a.D. Yücesoy nicht so zurückhaltend, er würde vielleicht mit der Faust auf den mahagonifurnierten Beistelltisch hauen. Für einen Augenblick blickt er grimmig auf sein Teeglas und schiebt es dann mit spitzen Fingern ein paar Zentimeter zur Seite.
"Man muss einen Unterschied machen zwischen Gottesfürchtigen und Religiösen. Ich bin doch auch gottesfürchtig, meine Kinder ebenso, aber die Religiösen bringen den Menschen die Anarchie. Die sehen uns als ihre Feinde. So etwas gab es vor zwanzig Jahren nicht, dass Mädchen von einem Teil der Gesellschaft gezwungen wurden, ein Kopftuch zu tragen!
Meine Mutter trug höchstens einen Hut, dazu einen kurzen Rock. Meine Schwiegermutter ebenso. Aber gleichzeitig hat mich meine Mutter die Liebe zu Gott gelehrt, sie hat mir den Unterschied zwischen Gut und Böse beigebracht. Sich den Kopf zu verhüllen ist doch völlig überflüssig.
Wenn jemand das Kopftuch trägt, um etwas zu symbolisieren stört mich das sehr! Auch in der Generation unserer Großmütter banden sich manche ein einfaches Kopftuch um. Aber heute geht es um ein politisches Symbol!
So eine Entwicklung kann ich - als Angehöriger der Streitkräfte - nicht hinnehmen. Darum hat unsere ganze Familie bei den Kundgebungen der Kemalisten im Frühjahr teilgenommen. Und wo fand die größte Demonstration gegen die Religiösen statt? In Ankara! Dafür lieben wir diese Stadt!"
Hinter dem breiten Wohnzimmerfenster der Yücesoys, zur Umgehungsstraße hin, prangt der sechsgeschossig Bau des Nationalen Sicherheitsrates - eine Einrichtung des türkischen Militärs. Obwohl die Verfassung das nicht vorsieht, werden hier vermeintliche Feinde des Landes beobachtet - Feinde im Innern wie im Äußeren. Der Familie Yücesoy gibt das Sicherheit. Nie haben sie daran gedacht, Ankara zu verlassen, sagen sie. Und beim Stichwort Istanbul winken sie ab:
"Istanbul ist eine schöne Stadt, keine Frage, aber die Lebensqualität ist hier in Ankara viel höher. Istanbul ist das Handelszentrum des Landes und das soll es auch bleiben!"
"Für mich ist wichtig, dass Ankara in seinen Bildungsangeboten so stark ist. Es gibt elf Universitäten in der Stadt. Wissenschaft und Technik sind hier angesiedelt. Das alles wirkt sich auf die Atmosphäre der Stadt aus. Außerdem ist es eine relativ sichere Stadt, es gibt nicht so viel Kriminalität wie in Istanbul. Als junges Mädchen bin ich doch bis spät abends in den Bars geblieben. Das liegt sicher auch daran, dass hier jeder Zweite für den Staat arbeitet. Das bringt mehr Kultur."
Einer so überzeugten Ankaraner Familie fällt es schwer, etwas Kritisches über ihre Stadt zu sagen. Natürlich: Das Meer fehlt, da sind Istanbul und Izmir besser gelegen. Aber, sagt Oberst Yücesoy dem Besucher beim Abschied von der "Friedenssiedlung", die Gründungsväter der Republik hätten bei ihrer Entscheidung für Ankara etwas viel Wichtigeres vergessen:
"Durch alle Hauptstädte der Welt fließt ein Fluss, nur in Ankara fehlt er. Die Gründungsväter der Republik hätten sich damals nur für das Nachbardorf Kirikkale entscheiden müssen, dort fließt ein Fluss."
Ankara ist das politische Machtzentrum des Landes, Regierung und Parlament haben hier ihren Sitz, und ebenso das mächtige Militär. Jedes Jahr am 29. Oktober, dem Tag der Staatsgründung, feiert die Republik sich selbst. Die Stadt wirkt wie in rot getaucht, Nationalflagge, Halbmond und Atatürk - wirklich jede Hausfassade und Fensterfront ist an diesem Tag zugehängt. Auf einer Pferderennbahn etwas außerhalb findet die größte Militärparade im ganzen Land statt. Die Ehrentribüne wird dominiert von Uniformen: Hier zeigt sich, wer noch immer das Sagen hat im türkischen Staat.
Die Wahl von Abdullah Gül zum Staatspräsidenten gilt daher als Zäsur - für den alten Apparat aber schlimmer noch: als Niederlage. Der religiös-konservative Politiker ist den alten Eliten ein Dorn im Auge, zumal Cankaya, der Präsidentenpalast, immer eine Bastion der Kemalisten war. Güls einziger Pluspunkt dürfte sein, dass er am Nationalfeiertag Geburtstag hat. Ansonsten aber bleibt es ein Verhältnis auf Sparflamme: Gül und das Militär werden einfach nicht warm miteinander. Als Aufsteiger sehen sie ihn, wie überhaupt seine ganze Partei, die gemäßigt islamische AKP mit ihren Kopftüchern und Schnurrbärten.
Dabei ist die Angst vor einer Islamisierung eher Vorwand, eigentlich geht es um einen Macht- und Klassenkampf. Ankaras republikanischer Adel hat sich immer schon als Elite gefühlt. Das Volk, das waren die Bauern im Rest des Landes: Religiös und ungebildet. Heute lösen sich die alten Stereotype auf. Die Moscheen sind voller moderner, junger Leute. Glaube und Bildung schließen sich nicht mehr aus. Nur die Religion selbst bleibt ein heikles Feld in Ankara, der laizistischen Hauptstadt. Besuch in einer Moschee, in der der Staat das Sagen hat.
Wenn der Staat predigt
Es ist kurz vor zwölf Uhr, in wenigen Minuten beginnt in der Haci-Dursun-Erdemir-Moschee im Ankaraner Stadtteil Gaziosmanpasa das Freitagsgebet. Stumm betreten die Besucher den Vorraum des Baus. Routiniert streifen sie sich ihre Schuhe ab und stellen diese daraufhin in die Regale, bevor sie ihren Weg auf dem grünen Teppich fortsetzen: Männer allen Alters, Polizisten in Uniform, Angestellte in Anzug und Krawatte, glattrasiert oder mit sorgfältig gestutztem Schnauzbart. Im Gebetssaal hocken sie sich stumm in engen Reihen nebeneinander. Hikmet Aydin, der Vorbeter der Moschee, bereitet sich derweil in einem Nebenraum auf den Gottesdienst vor. Der untersetzte 62-Jährige bewegt in der einen Hand nervös eine Gebetskette, in der anderen hält er ein fotokopiertes Blatt Papier:
"Das heutige Predigtthema ist die Haç, die Pilgerfahrt nach Mekka. Der Text sagt noch einmal, wie wichtig es für den Gläubigen ist, einmal in seinem Leben nach Mekka zu reisen. Das werde ich heute vorlesen. Den Text habe ich von der Religionsbehörde bekommen. Wir holen uns die Predigttexte jeweils für drei Monate im Voraus ab. Wussten sie, dass in der Türkei 600.000 Menschen auf der Warteliste für die Haç stehen? In der Türkei wird die Haç von der Religionsbehörde organisiert. Aus unserer Gemeinde versuchen wir, vor allem junge Leute dorthin mit zu schicken. Dieses Jahr fahren zehn von uns mit."
Seit 30 Jahren tut Hikmet Aydin in derselben Moschee Dienst. Er ist Beamter und darf darum nur predigen, was auf dem auf dem zusammengefalteten Zettel vor ihm geschrieben steht. In der Türkei kontrolliert der Staat die Religion - so hat es der misstrauische Republikgründer Atatürk befohlen - und so ist es bis heute. In Ankara ist die Kontrolle besonders streng. Anders als etwa seine Kollegen in Istanbul, verfügt Aydins Gemeinde über keinen eigenen Muezzin - der Gebetsruf wird von der zentralen Kocatepe-Moschee zu den Lautsprechern übertragen, die an den zwei spitzen Minaretten von Gaziosmanpasa hängen.
Jede Dorfmoschee in der Türkei dürfte die Lautstärke höher drehen. "Ama burasi Ankara" - aber hier ist Ankara - sagt Hikmet Aydin und lächelt milde. Denn er weiß: Der türkischen Gottesfurcht ist auch mit solchen Vorschriften nicht beizukommen:
"Vor 30 Jahren kamen vor allem alte Leute zu uns in die Moschee. Heute kommen viel mehr junge, auch studierte Leute, das sehen Sie ja selber. Angestellte der Büros in dieser Gegend, Beamte. Eigentlich aus allen Schichten. Ich glaube, es kommen mehr, weil die Bildung besser geworden ist, es gibt mehr Schulen und Universitäten. Die Gemeinde ist gewachsen. Vor 30 Jahren stand hier eine Moschee mit 70 Quadratmetern, heute haben wir 500 Quadratmeter!"
Die beiden Etagen der Moschee sind bis auf den letzten Quadratzentimeter Teppich besetzt. Auch draußen, auf dem gepflasterten Hof, haben sich etliche Gläubige trotz eisigen Windes auf ausgerollten Teppichen niedergekniet. Die weiße Kuppel über ihnen ist mit bunten Motiven geschmückt, durch die bunten Glasfenster fällt heiteres Licht. Neben der holzgeschnitzten Predigerkanzel hängt der türkische Halbmond. Hikmet Aydin steigt hinauf, liest routiniert seine Pilgerfahrtpredigt ab und legt dann frei vortragend nach:
"Es ist Freitag! Allah! Die an dich glauben, haben sich zu Deinen Ehren versammelt! Erhöre ihre Gebete! Schütze diejenigen, die in diesem Land und dieser Republik Dienst tut. Vor allem diejenigen, die wie Mustafa Kemal Atatürk dieses Land auch heute verteidigen. Mögen die für uns gefallenen Martyrer in Frieden Ruhen."
Nationalismus und Frömmigkeit - für Hikmet Aydin ist das kein Widerspruch. Dass er mit der verordneten Trennung von Staat und Religion hadert, würde er als Beamter nie zugeben. Nachdenklich legt er seine turbanähnliche Kopfbedeckung und das weiße Predigtgewand ab:
"Ich habe fünf Kinder, darunter drei Töchter, die alle studiert haben, und die sind jetzt Lehrerinnen. Eine hat Theologie studiert und gibt Religionsunterricht. In der Schule müssen sie ihr Kopftuch abnehmen, das schreibt das Gesetz vor, draußen verhüllen sie ihn wieder. Das ist für sie natürlich schwer. Was ich als Vater dazu sage? Das ist nicht gut."
Vor dem Ausgang wirbt ein Mann um Spenden für den Neubau einer Moschee. Er hat die behördliche Genehmigung dafür vor sich auf den Boden gelegt, auf dem Schreiben liegen bereits etliche Lira-Scheine. Auch Haci Dursun Erdemir, der Namensgeber des Gotteshauses war gleichzeitig dessen Spender. Gegenüber der Moschee, auf der anderen Straßenseite, weht die Europa-Fahne. Dort residiert die Botschaft der EU-Kommission. Ein guter Nachbar, findet Imam Aydin:
"Wir sollten in die EU. Lebte der Prophet noch, würde er uns Türken auch sagen: Nehmt daran teil! Die Gegensätze werden wir mit Liebe überwinden."
Sancho hob den Kopf und blickte an dem Mann empor. Diese Hose, die von einem guten Schneider zu stammen schien und doch an eine Pluderhose erinnerte, und die Schuhe, die wohl aus Europa importiert waren, aber dennoch wie die Gebetsschuhe eines Moscheegängers wirkten, sah er zum ersten Mal. Aus der feuchten Aussprache des Mannes war zu schließen, dass er entweder über Politik redete oder über jemanden herzog. Hülyas Vater dagegen sagte gar nichts. Sancho wiederum versuchte eine Atmosphäre der Ungeduld zu schaffen und begann zu Füßen des frisch gebackenen Provinzabgeordneten zu knurren. Aber der war so in Fahrt, dass ihm gar nicht in den Sinn kam, sich zu fürchten. So etwas von einem Schwätzer!
Es muss doch so etwas wie Telepathie geben. Gerade als Sancho an Altesse dachte, da stand sie auch schon vor ihm, ein reinrassiges Afghanenweibchen. Wie die Arme abgenommen hatte! Wahrscheinlich kommt sie gerade wieder aus dem Krankenhaus. Da kommt man in einer Londoner Privatklinik per Kaiserschnitt zur Welt, und dann muss man im Tierkrankenhaus von Hacettepe zusammen mit Straßenkötern stundenlang im Wartezimmer sitzen.
Hülyas Vater war mit einem Mal bester Laune. Den Regenschirm schwang er jetzt alle zwei Schritte in der Luft und ließ ihn dann auf dem Boden aufkommen wie einen Spazierstock. So wurde das tiki tiki praf der Spazierharmonie alle vier Takte durch das tak des Regenschirms um eine Synkope bereichert.
tiki tiki praf
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tak
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tak
Schon Atatürk ließ nichts unversucht, um aus Ankara eine Weltstadt zu machen. Europas beste Architekten erhielten in den zwanziger Jahren die ersten Aufträge. Der berühmte Atatürk-Boulevard, der Oberste Gerichtshof, das Parlament - alles wurde von Deutschen und Österreichern erbaut. Praktisch, pragmatisch, aber mit dem Flair von Istanbul nicht zu vergleichen. Dafür brüstet sich die Hauptstadt gerne mit ihren zahlreichen Universitäten, von denen eine sogar wirkt wie ein Campus in den USA, von Spöttern auch Klein-Amerika genannt.
In den Armenvierteln sieht es anders aus. Die berüchtigten Gecekondus, wie die illegal gebauten Wohnsiedlungen heißen, haben sich über Jahrzehnte hinweg immer weiter vergrößert. Abseits der repräsentativen Regierungs- und Diplomatenviertel kam hier die zugewanderte Landbevölkerung unter, auf der Suche nach Arbeit und Geld. In dieser Schicht hat die religiös-konservative AK-Partei ihre Wurzeln, und bis heute ihren größten Rückhalt. Vor allem aber will die AKP eine Partei des ganzen Volkes sein, und in der Tat ist für jeden etwas dabei: Ausgerechnet die Religiösen haben die Türkei an Europa herangeführt und das Land wirtschaftlich auf Vordermann gebracht.
Dieser Erfolg macht den alten kemalistische Eliten genauso viel Angst, wie die Tatsache, dass die AKP sich in Ankara immer mehr einnistet. Seit über zehn Jahren stellt sie den Bürgermeister. Der hatte nichts Besseres zu tun, als das alte Stadtwappen durch ein Bild mit zwei Minaretten zu ersetzen. Frieden war erst, als die höchsten Minarette der Stadt durch einen extra neu gebauten Atatürk-Turm übertrumpft wurden - so ist der Staatsgründer überall.
"Das heutige Predigtthema ist die Haç, die Pilgerfahrt nach Mekka. Der Text sagt noch einmal, wie wichtig es für den Gläubigen ist, einmal in seinem Leben nach Mekka zu reisen. Das werde ich heute vorlesen. Den Text habe ich von der Religionsbehörde bekommen. Wir holen uns die Predigttexte jeweils für drei Monate im Voraus ab. Wussten sie, dass in der Türkei 600.000 Menschen auf der Warteliste für die Haç stehen? In der Türkei wird die Haç von der Religionsbehörde organisiert. Aus unserer Gemeinde versuchen wir, vor allem junge Leute dorthin mit zu schicken. Dieses Jahr fahren zehn von uns mit."
Seit 30 Jahren tut Hikmet Aydin in derselben Moschee Dienst. Er ist Beamter und darf darum nur predigen, was auf dem auf dem zusammengefalteten Zettel vor ihm geschrieben steht. In der Türkei kontrolliert der Staat die Religion - so hat es der misstrauische Republikgründer Atatürk befohlen - und so ist es bis heute. In Ankara ist die Kontrolle besonders streng. Anders als etwa seine Kollegen in Istanbul, verfügt Aydins Gemeinde über keinen eigenen Muezzin - der Gebetsruf wird von der zentralen Kocatepe-Moschee zu den Lautsprechern übertragen, die an den zwei spitzen Minaretten von Gaziosmanpasa hängen.
Jede Dorfmoschee in der Türkei dürfte die Lautstärke höher drehen. "Ama burasi Ankara" - aber hier ist Ankara - sagt Hikmet Aydin und lächelt milde. Denn er weiß: Der türkischen Gottesfurcht ist auch mit solchen Vorschriften nicht beizukommen:
"Vor 30 Jahren kamen vor allem alte Leute zu uns in die Moschee. Heute kommen viel mehr junge, auch studierte Leute, das sehen Sie ja selber. Angestellte der Büros in dieser Gegend, Beamte. Eigentlich aus allen Schichten. Ich glaube, es kommen mehr, weil die Bildung besser geworden ist, es gibt mehr Schulen und Universitäten. Die Gemeinde ist gewachsen. Vor 30 Jahren stand hier eine Moschee mit 70 Quadratmetern, heute haben wir 500 Quadratmeter!"
Die beiden Etagen der Moschee sind bis auf den letzten Quadratzentimeter Teppich besetzt. Auch draußen, auf dem gepflasterten Hof, haben sich etliche Gläubige trotz eisigen Windes auf ausgerollten Teppichen niedergekniet. Die weiße Kuppel über ihnen ist mit bunten Motiven geschmückt, durch die bunten Glasfenster fällt heiteres Licht. Neben der holzgeschnitzten Predigerkanzel hängt der türkische Halbmond. Hikmet Aydin steigt hinauf, liest routiniert seine Pilgerfahrtpredigt ab und legt dann frei vortragend nach:
"Es ist Freitag! Allah! Die an dich glauben, haben sich zu Deinen Ehren versammelt! Erhöre ihre Gebete! Schütze diejenigen, die in diesem Land und dieser Republik Dienst tut. Vor allem diejenigen, die wie Mustafa Kemal Atatürk dieses Land auch heute verteidigen. Mögen die für uns gefallenen Martyrer in Frieden Ruhen."
Nationalismus und Frömmigkeit - für Hikmet Aydin ist das kein Widerspruch. Dass er mit der verordneten Trennung von Staat und Religion hadert, würde er als Beamter nie zugeben. Nachdenklich legt er seine turbanähnliche Kopfbedeckung und das weiße Predigtgewand ab:
"Ich habe fünf Kinder, darunter drei Töchter, die alle studiert haben, und die sind jetzt Lehrerinnen. Eine hat Theologie studiert und gibt Religionsunterricht. In der Schule müssen sie ihr Kopftuch abnehmen, das schreibt das Gesetz vor, draußen verhüllen sie ihn wieder. Das ist für sie natürlich schwer. Was ich als Vater dazu sage? Das ist nicht gut."
Vor dem Ausgang wirbt ein Mann um Spenden für den Neubau einer Moschee. Er hat die behördliche Genehmigung dafür vor sich auf den Boden gelegt, auf dem Schreiben liegen bereits etliche Lira-Scheine. Auch Haci Dursun Erdemir, der Namensgeber des Gotteshauses war gleichzeitig dessen Spender. Gegenüber der Moschee, auf der anderen Straßenseite, weht die Europa-Fahne. Dort residiert die Botschaft der EU-Kommission. Ein guter Nachbar, findet Imam Aydin:
"Wir sollten in die EU. Lebte der Prophet noch, würde er uns Türken auch sagen: Nehmt daran teil! Die Gegensätze werden wir mit Liebe überwinden."
Sancho hob den Kopf und blickte an dem Mann empor. Diese Hose, die von einem guten Schneider zu stammen schien und doch an eine Pluderhose erinnerte, und die Schuhe, die wohl aus Europa importiert waren, aber dennoch wie die Gebetsschuhe eines Moscheegängers wirkten, sah er zum ersten Mal. Aus der feuchten Aussprache des Mannes war zu schließen, dass er entweder über Politik redete oder über jemanden herzog. Hülyas Vater dagegen sagte gar nichts. Sancho wiederum versuchte eine Atmosphäre der Ungeduld zu schaffen und begann zu Füßen des frisch gebackenen Provinzabgeordneten zu knurren. Aber der war so in Fahrt, dass ihm gar nicht in den Sinn kam, sich zu fürchten. So etwas von einem Schwätzer!
Es muss doch so etwas wie Telepathie geben. Gerade als Sancho an Altesse dachte, da stand sie auch schon vor ihm, ein reinrassiges Afghanenweibchen. Wie die Arme abgenommen hatte! Wahrscheinlich kommt sie gerade wieder aus dem Krankenhaus. Da kommt man in einer Londoner Privatklinik per Kaiserschnitt zur Welt, und dann muss man im Tierkrankenhaus von Hacettepe zusammen mit Straßenkötern stundenlang im Wartezimmer sitzen.
Hülyas Vater war mit einem Mal bester Laune. Den Regenschirm schwang er jetzt alle zwei Schritte in der Luft und ließ ihn dann auf dem Boden aufkommen wie einen Spazierstock. So wurde das tiki tiki praf der Spazierharmonie alle vier Takte durch das tak des Regenschirms um eine Synkope bereichert.
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Schon Atatürk ließ nichts unversucht, um aus Ankara eine Weltstadt zu machen. Europas beste Architekten erhielten in den zwanziger Jahren die ersten Aufträge. Der berühmte Atatürk-Boulevard, der Oberste Gerichtshof, das Parlament - alles wurde von Deutschen und Österreichern erbaut. Praktisch, pragmatisch, aber mit dem Flair von Istanbul nicht zu vergleichen. Dafür brüstet sich die Hauptstadt gerne mit ihren zahlreichen Universitäten, von denen eine sogar wirkt wie ein Campus in den USA, von Spöttern auch Klein-Amerika genannt.
In den Armenvierteln sieht es anders aus. Die berüchtigten Gecekondus, wie die illegal gebauten Wohnsiedlungen heißen, haben sich über Jahrzehnte hinweg immer weiter vergrößert. Abseits der repräsentativen Regierungs- und Diplomatenviertel kam hier die zugewanderte Landbevölkerung unter, auf der Suche nach Arbeit und Geld. In dieser Schicht hat die religiös-konservative AK-Partei ihre Wurzeln, und bis heute ihren größten Rückhalt. Vor allem aber will die AKP eine Partei des ganzen Volkes sein, und in der Tat ist für jeden etwas dabei: Ausgerechnet die Religiösen haben die Türkei an Europa herangeführt und das Land wirtschaftlich auf Vordermann gebracht.
Dieser Erfolg macht den alten kemalistische Eliten genauso viel Angst, wie die Tatsache, dass die AKP sich in Ankara immer mehr einnistet. Seit über zehn Jahren stellt sie den Bürgermeister. Der hatte nichts Besseres zu tun, als das alte Stadtwappen durch ein Bild mit zwei Minaretten zu ersetzen. Frieden war erst, als die höchsten Minarette der Stadt durch einen extra neu gebauten Atatürk-Turm übertrumpft wurden - so ist der Staatsgründer überall.
Kopftuch oder kurze Röcke
Der Mann trägt eine Knickerbocker-Hose aus Tweed, dazu eine passende Jacke und eine Schlägermütze. Wie ein britischer Lord im Freizeitlook steht er da und scherzt mit einer Gruppe junger Frauen, die voller Bewunderung zu dem Gentleman hinaufschauen. Sie tragen leichte Sommerhüte und knielange Kostüme. Der Mann heißt Mustafa Kemal Atatürk, und die Frauen sind Einwohnerinnen des Ankaraner Vororts Çubuk. Der türkische Republikgründer und Held des Unabhängigkeitskrieges besucht Çubuk - eine Szene aus dem Jahr 1935, von einer Fotografie auf die Mauern eines Umspannungshäuschen gemalt - und zwar mitten im Çubuk des Jahres 2007.
Doch der Ort rund um das Trafohäuschen hat nichts mehr gemein mit dem anatolischen Nest von vor 70 Jahren: Keine Frauen in kurzen Röcken - stattdessen bestimmen lange Mäntel und Kopftücher das Straßenbild. Verschwunden auch die Fachwerkhäuser, die auf der bunt bemalten Wand zu sehen sind. In dem 70.000-Einwohner-Vorort regieren heute triste Wohnblocks - an einem Herbsttag wie diesem gnädig von einem Nebel- und Kohleschleier verhängt.
Noch heizen die meisten Haushalte in Çubuk mit Kohle. Erst seit kurzem ist der Vorort mit dem Erdgasnetz der Hauptstadt verbunden. Darauf ist Bürgermeister Adem Tugluca genauso stolz wie auf den Spazierweg, den er entlang eines ausgetrockneten Flussbettes hat anlegen lassen. Schnurgerade durchtrennt das Flussbett den Ort in zwei Teile. Çubuk liegt 40 Kilometer vom Zentrum Ankaras entfernt, mitten im kargen anatolischen Hochland. Doch wegen Çubuks Nähe zum gleichnamigen Stausee und dem Flughafen gehört der Ort schon seit 80 Jahren zu Ankara. Bürgermeister Tugluca, ein zurückhaltender Mittvierziger in dunklem Rollkragenpullover und Trenchcoat sieht die Vorteile der Eingemeindung:
"Dort drüben, von hier aus nicht so gut zu sehen, ist unser neues Gerichtsgebäude. Das hat die Stadt bezahlt. Auch das neue Krankenhaus, das wir demnächst einweihen dürfen, ist uns geschenkt worden. Auch in unsere Schulen ist viel investiert worden. Als Bezirk haben wir nun mal sehr wenige eigene Einnahmen. In der Türkei bekommt man das Geld vom Staat entsprechend der Einwohnerzahl zugeteilt. Darum bekommen die Bürger in der Innenstadt natürlich einen besseren Service von Behörden geboten als hier am Rand. Aber wir sind trotzdem sehr stolz darauf, zu Ankara zu gehören. All die schönen Wahrzeichen der Stadt, das Atatürk-Mausoleum, der Gouverneurssitz, das Parlament. Wir wohnen hier, also ist Ankara für uns die schönste Stadt überhaupt."
24 Stadtbezirke hat die türkische Hauptstadt. Fast alle werden von der moderat-religiösen Regierungspartei AKP regiert - auch der Oberbürgermeister von Groß-Ankara ist ein Gefolgsmann von Ministerpräsident Erdogan. Nur ein Stadtteil ist bei den letzten Wahlen an die republikanische Nachfolgepartei Atatürks, die CHP, gefallen. Seitdem kann dieser Bezirk nicht mehr ohne weiteres seinen Müll auf den Kippen von Groß-Ankara entsorgen. Doch Adem Tugluca findet, der Streit zwischen Kemalisten und Islamisten gehöre der Vergangenheit an. Die AKP sei heute mit ihren 50 Prozent Wählerstimmen die Partei aller Türken. Er gehört zwar zur AKP, lässt in seinem Ort Çubuk aber auch Alkohol zu. Und die Feiertage zu Ehren Atatürks halten sie ebenfalls ein, sagt Tugluca:
"Nirgendwo wird politischer Streit so unfair geführt wie in der Türkei. Leider. Uns vorzuwerfen, wir wollten den Laizismus, die Trennung von Staat und Religion in der Verfassung abschaffen, ist absurd. Wir stehen auf dem Boden der Verfassung!"
Der Pressesprecher der Stadtverwaltung, der den Bürgermeister begleitet, macht seinen Chef mit einer Kopfbewegung auf ein zweistöckiges Haus aufmerksam, das dunkel auf der anderen Uferseite liegt.
"Das ist unser neues Freizeitheim für Frauen. 350 Frauen haben sich dort schon angemeldet. Sie können dort Schach, Tischtennis und Billard spielen und das Internet benutzen. Für die Männer bauen wir auch noch so ein Lokal."
Viele AKP-Wähler sehen Frauen und Männer nicht gern zusammen in einem Freizeitheim. Vielleicht sei man in den Randlagen der Hauptstadt etwas konservativ, sagt der Bürgermeister, aber dafür seien die Ankaraner besonders gesetzestreu:
"In vielen Gegenden unseres Landes wird der Strom einfach von den Hauptleitungen abgezapft. Bei uns kommt so etwas kaum vor. Vielleicht drei Prozent der Haushalte haben hier illegal gelegte Stromleitungen. Hier zahlen die meisten auch Steuern. Man liebt und achtet den Staat."
Bürgermeister Tuglucu schlägt den Mantelkragen hoch und vergräbt seine Hände tief in den Manteltaschen. Wie jede große Stadt der Türkei hat auch Ankara mit der Zuwanderung zu kämpfen. Die Hauptstadt wächst unaufhörlich und vielleicht liegt Çubuk irgendwann einmal nicht mehr am Rand:
"In diesem Jahr haben wir 200.000 Quadratmeter Wege gepflastert. Aber es reicht immer noch nicht, es kommen immer neue Wege hinzu, weil der Bezirk ständig wächst. Hier wohnen zu viele Rentner und Familien mit niedrigem Einkommen. Wir wollen attraktiv werden für die höheren Einkommen. Wir planen einen Technologiepark und eine Ökosiedlung, damit wir die Bildungsschichten erreichen."
Jeden Morgen verlassen 10.000 Menschen mit Bussen Çubuk, Richtung Zentrum - dort arbeiten die meisten als billige Dienstleister, als Hausmeister, Parkwächter oder Taxifahrer. Bürgermeister Tuglucu setzt seinen Weg durch seinen Stadtteil fort und lässt sich wortlos von Vorübergehenden ehrerbietig grüßen. Er erzählt von dem sauer eingelegten Gemüse, das seinen Ort auch über Ankara hinaus bekannt gemacht habe, aber als Standbein nicht tauge. Keine Industrie und kein nennenswerter Tourismus - Ankara und seine Stadtbezirke bleiben angewiesen auf die Transferleistungen der Regierung:
"Ein Stadtteilbürgermeister in Istanbul könnte niemals so einen kurzen Draht zur Regierung haben wie wir. Wenn wir den Ministerpräsidenten oder einen der Minister sprechen wollen, fahren wir einfach nebenan zum Flughafen und passen sie dort ab. Die sind ja ständig unterwegs. So haben wir unsere Technopark-Idee durchgesetzt. Das ist eben der Vorteil von Ankara."
Vor dem Güven-Park begegnete er den Windhunden der belgischen Botschaft. Hinter ihnen stand wie immer der uniformierte Botschaftswächter. Die Zwillinge Isabella und Mirella waren die duftendsten Schönheiten nicht nur des diplomatischen Korps, sondern der gesamten Hunde-Society Ankaras. Man fühlte sich auf unwiderstehliche Weise versucht, an den beiden zu schnüffeln. Auf den Titelseiten internationaler Hundezeitschriften sah man ihr Konterfei vor dem Hintergrund der Zitadelle, der Brücke im Gençlik-Park, der Reiterstatue auf dem Ulus-Platz und sogar der Oper abgebildet. Als sie an Sancho vorbeigingen, grüßten sie ihn flüchtig.
tiki tiki praf
tak
Denk an was anderes. Denk an was anderes.
tiki tiki praf
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Am Kýzýlay-Platz sah Sancho Castor. Der blickte ihn erst voller Verwunderung, dann mit strenger Miene an. Der Chow-Chow Castor war von jener übervornehmen Art, wie man sie oft bei spätberufenen Abgeordneten, Senatoren und Diplomaten antrifft, die nicht schon als junge Menschen in die Etikette hineingewachsen sind, sondern sich diese haben anlesen müssen. Wenn Castor allerdings nicht ganz bei der Sache war oder sich aufregte, konnte er durchaus auch in den Hirtenhunddialekt seiner Mutter verfallen.
tiki tiki praf
tiki tiki praf
Da kamen die Praktikantenhunde der Polizeischule von ihrem Morgentraining zurück. Es waren allesamt kräftige, wohl genährte Exemplare. Argwöhnisch schnupperten sie umher. Da war doch irgendetwas faul. Alle acht begannen im Chor zu knurren. Sancho kam ihnen immer näher.
tiki tiki praf
tiki tiki praf
grrrrr tak
Der schnauzbärtige Hundeführer indessen gab seinen Schützlingen den Befehl zum Abmarsch. Als sie weg waren, atmete Sancho auf. Wenn er an einer der belebtesten Stellen des Atatürk-Boulevards und überdies zu einer Stunde, in der die Society-Hunde von Ankara zu promenieren pflegten, von Polizeihunden angeknurrt und am Ende gar malträtiert worden wäre, dann hätte das seinem Ansehen schweren Schaden zugefügt.
Turgut Özal war in den achtziger Jahren der erste Ministerpräsident, der sich ernsthaft bemühte, die türkische Wirtschaft auf westlichen Kurs zu bringen. Doch ein Hauch von Sozialismus weht bis heute durch die Bürokratenstadt Ankara, zum Beispiel die Behörde für "staatlichen Bedarf". Dort bekommen die Beamten Stifte und Papier. Ansonsten versucht Ankara verzweifelt, das Image der grauen Maus abzuschütteln, schmückt sich mit großen internationalen Namen, wie etwa der Kennedystraße, der Tunesien- oder auch der Straßburger Straße.
Anderes wirkt schlicht ein wenig zu gewollt: Die riesigen Einkaufszentren, die Parteizentralen - jede mit eigenem Hubschrauberlandeplatz – und dann noch das protzige internationale Flughafen-Terminal, das doch kaum Auslandsflüge hat. Die Straße vom Flughafen in die Stadt trägt den Namen "Protokollweg". Ausländische Staatsgäste erhalten hier den ersten Blick auf Ankara, also wurden alle Armensiedlungen entlang der Ausfallstraße einfach planiert, und die Bewohner bekamen eine neue Bleibe in schnell errichteten Wohnblocks zugewiesen.
Schließlich arbeitet sich Ankara an einem alten Wunschtraum ab, nämlich endlich ein bisschen so zu werden wie Istanbul: Jung, hip, mondän. Die Musikszene der Hauptstadt will es denen am Bosporus zeigen.
Doch der Ort rund um das Trafohäuschen hat nichts mehr gemein mit dem anatolischen Nest von vor 70 Jahren: Keine Frauen in kurzen Röcken - stattdessen bestimmen lange Mäntel und Kopftücher das Straßenbild. Verschwunden auch die Fachwerkhäuser, die auf der bunt bemalten Wand zu sehen sind. In dem 70.000-Einwohner-Vorort regieren heute triste Wohnblocks - an einem Herbsttag wie diesem gnädig von einem Nebel- und Kohleschleier verhängt.
Noch heizen die meisten Haushalte in Çubuk mit Kohle. Erst seit kurzem ist der Vorort mit dem Erdgasnetz der Hauptstadt verbunden. Darauf ist Bürgermeister Adem Tugluca genauso stolz wie auf den Spazierweg, den er entlang eines ausgetrockneten Flussbettes hat anlegen lassen. Schnurgerade durchtrennt das Flussbett den Ort in zwei Teile. Çubuk liegt 40 Kilometer vom Zentrum Ankaras entfernt, mitten im kargen anatolischen Hochland. Doch wegen Çubuks Nähe zum gleichnamigen Stausee und dem Flughafen gehört der Ort schon seit 80 Jahren zu Ankara. Bürgermeister Tugluca, ein zurückhaltender Mittvierziger in dunklem Rollkragenpullover und Trenchcoat sieht die Vorteile der Eingemeindung:
"Dort drüben, von hier aus nicht so gut zu sehen, ist unser neues Gerichtsgebäude. Das hat die Stadt bezahlt. Auch das neue Krankenhaus, das wir demnächst einweihen dürfen, ist uns geschenkt worden. Auch in unsere Schulen ist viel investiert worden. Als Bezirk haben wir nun mal sehr wenige eigene Einnahmen. In der Türkei bekommt man das Geld vom Staat entsprechend der Einwohnerzahl zugeteilt. Darum bekommen die Bürger in der Innenstadt natürlich einen besseren Service von Behörden geboten als hier am Rand. Aber wir sind trotzdem sehr stolz darauf, zu Ankara zu gehören. All die schönen Wahrzeichen der Stadt, das Atatürk-Mausoleum, der Gouverneurssitz, das Parlament. Wir wohnen hier, also ist Ankara für uns die schönste Stadt überhaupt."
24 Stadtbezirke hat die türkische Hauptstadt. Fast alle werden von der moderat-religiösen Regierungspartei AKP regiert - auch der Oberbürgermeister von Groß-Ankara ist ein Gefolgsmann von Ministerpräsident Erdogan. Nur ein Stadtteil ist bei den letzten Wahlen an die republikanische Nachfolgepartei Atatürks, die CHP, gefallen. Seitdem kann dieser Bezirk nicht mehr ohne weiteres seinen Müll auf den Kippen von Groß-Ankara entsorgen. Doch Adem Tugluca findet, der Streit zwischen Kemalisten und Islamisten gehöre der Vergangenheit an. Die AKP sei heute mit ihren 50 Prozent Wählerstimmen die Partei aller Türken. Er gehört zwar zur AKP, lässt in seinem Ort Çubuk aber auch Alkohol zu. Und die Feiertage zu Ehren Atatürks halten sie ebenfalls ein, sagt Tugluca:
"Nirgendwo wird politischer Streit so unfair geführt wie in der Türkei. Leider. Uns vorzuwerfen, wir wollten den Laizismus, die Trennung von Staat und Religion in der Verfassung abschaffen, ist absurd. Wir stehen auf dem Boden der Verfassung!"
Der Pressesprecher der Stadtverwaltung, der den Bürgermeister begleitet, macht seinen Chef mit einer Kopfbewegung auf ein zweistöckiges Haus aufmerksam, das dunkel auf der anderen Uferseite liegt.
"Das ist unser neues Freizeitheim für Frauen. 350 Frauen haben sich dort schon angemeldet. Sie können dort Schach, Tischtennis und Billard spielen und das Internet benutzen. Für die Männer bauen wir auch noch so ein Lokal."
Viele AKP-Wähler sehen Frauen und Männer nicht gern zusammen in einem Freizeitheim. Vielleicht sei man in den Randlagen der Hauptstadt etwas konservativ, sagt der Bürgermeister, aber dafür seien die Ankaraner besonders gesetzestreu:
"In vielen Gegenden unseres Landes wird der Strom einfach von den Hauptleitungen abgezapft. Bei uns kommt so etwas kaum vor. Vielleicht drei Prozent der Haushalte haben hier illegal gelegte Stromleitungen. Hier zahlen die meisten auch Steuern. Man liebt und achtet den Staat."
Bürgermeister Tuglucu schlägt den Mantelkragen hoch und vergräbt seine Hände tief in den Manteltaschen. Wie jede große Stadt der Türkei hat auch Ankara mit der Zuwanderung zu kämpfen. Die Hauptstadt wächst unaufhörlich und vielleicht liegt Çubuk irgendwann einmal nicht mehr am Rand:
"In diesem Jahr haben wir 200.000 Quadratmeter Wege gepflastert. Aber es reicht immer noch nicht, es kommen immer neue Wege hinzu, weil der Bezirk ständig wächst. Hier wohnen zu viele Rentner und Familien mit niedrigem Einkommen. Wir wollen attraktiv werden für die höheren Einkommen. Wir planen einen Technologiepark und eine Ökosiedlung, damit wir die Bildungsschichten erreichen."
Jeden Morgen verlassen 10.000 Menschen mit Bussen Çubuk, Richtung Zentrum - dort arbeiten die meisten als billige Dienstleister, als Hausmeister, Parkwächter oder Taxifahrer. Bürgermeister Tuglucu setzt seinen Weg durch seinen Stadtteil fort und lässt sich wortlos von Vorübergehenden ehrerbietig grüßen. Er erzählt von dem sauer eingelegten Gemüse, das seinen Ort auch über Ankara hinaus bekannt gemacht habe, aber als Standbein nicht tauge. Keine Industrie und kein nennenswerter Tourismus - Ankara und seine Stadtbezirke bleiben angewiesen auf die Transferleistungen der Regierung:
"Ein Stadtteilbürgermeister in Istanbul könnte niemals so einen kurzen Draht zur Regierung haben wie wir. Wenn wir den Ministerpräsidenten oder einen der Minister sprechen wollen, fahren wir einfach nebenan zum Flughafen und passen sie dort ab. Die sind ja ständig unterwegs. So haben wir unsere Technopark-Idee durchgesetzt. Das ist eben der Vorteil von Ankara."
Vor dem Güven-Park begegnete er den Windhunden der belgischen Botschaft. Hinter ihnen stand wie immer der uniformierte Botschaftswächter. Die Zwillinge Isabella und Mirella waren die duftendsten Schönheiten nicht nur des diplomatischen Korps, sondern der gesamten Hunde-Society Ankaras. Man fühlte sich auf unwiderstehliche Weise versucht, an den beiden zu schnüffeln. Auf den Titelseiten internationaler Hundezeitschriften sah man ihr Konterfei vor dem Hintergrund der Zitadelle, der Brücke im Gençlik-Park, der Reiterstatue auf dem Ulus-Platz und sogar der Oper abgebildet. Als sie an Sancho vorbeigingen, grüßten sie ihn flüchtig.
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Am Kýzýlay-Platz sah Sancho Castor. Der blickte ihn erst voller Verwunderung, dann mit strenger Miene an. Der Chow-Chow Castor war von jener übervornehmen Art, wie man sie oft bei spätberufenen Abgeordneten, Senatoren und Diplomaten antrifft, die nicht schon als junge Menschen in die Etikette hineingewachsen sind, sondern sich diese haben anlesen müssen. Wenn Castor allerdings nicht ganz bei der Sache war oder sich aufregte, konnte er durchaus auch in den Hirtenhunddialekt seiner Mutter verfallen.
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Turgut Özal war in den achtziger Jahren der erste Ministerpräsident, der sich ernsthaft bemühte, die türkische Wirtschaft auf westlichen Kurs zu bringen. Doch ein Hauch von Sozialismus weht bis heute durch die Bürokratenstadt Ankara, zum Beispiel die Behörde für "staatlichen Bedarf". Dort bekommen die Beamten Stifte und Papier. Ansonsten versucht Ankara verzweifelt, das Image der grauen Maus abzuschütteln, schmückt sich mit großen internationalen Namen, wie etwa der Kennedystraße, der Tunesien- oder auch der Straßburger Straße.
Anderes wirkt schlicht ein wenig zu gewollt: Die riesigen Einkaufszentren, die Parteizentralen - jede mit eigenem Hubschrauberlandeplatz – und dann noch das protzige internationale Flughafen-Terminal, das doch kaum Auslandsflüge hat. Die Straße vom Flughafen in die Stadt trägt den Namen "Protokollweg". Ausländische Staatsgäste erhalten hier den ersten Blick auf Ankara, also wurden alle Armensiedlungen entlang der Ausfallstraße einfach planiert, und die Bewohner bekamen eine neue Bleibe in schnell errichteten Wohnblocks zugewiesen.
Schließlich arbeitet sich Ankara an einem alten Wunschtraum ab, nämlich endlich ein bisschen so zu werden wie Istanbul: Jung, hip, mondän. Die Musikszene der Hauptstadt will es denen am Bosporus zeigen.
Neue Töne in Ankara
Die Band heißt "Zifir", das bedeutet "Tiefschwarz". Schwarz ist auch das T-Shirt des Gitarristen, mit weißen Totenköpfen als Aufdruck. Schwarz sind auch die zahlreichen Spielzeugfiguren aus Star Wars, die die Regale des Wohnzimmers bevölkern, in dem sich die Ankaraner Band auf ihre erste CD vorbereitet. Die vier hauptberuflichen Angestellten, Männer Anfang dreißig, spielen seit vier Jahren zusammen. Gitarrist Mehmet Pozam, ein kräftiger Typ mit Ziegenbärtchen und rasiertem Schädel, nennt Zifirs Musik "Progressive Rock".
"Es geht in unseren Texten um die Psychologie des einzelnen Menschen. Das ist das Thema des ganzen Albums. Das ist von der Atmosphäre her so wie in James Joyces Ulysses."
"In einem Song schaut ein Mann in den Spiegel, erkennt eine Frau und verliebt sich in sie. Später wird sie ermordet, genau genommen wird aber bloß der Spiegel zerschlagen."
Ankara hat noch nie einen türkischen Pop- oder Rockstar hervorgebracht, das wissen die vier von Zifir ganz genau. Istanbul ist die Kulturmetropole des Landes, und wer etwas werden will im nationalen Musikgeschäft, der muss an den Bosporus. Das ärgert Band-Leader Mehmet Pozam:
"In Istanbul geht es ums schnelle Geld, ums Bekanntwerden. Wer wie wir in Ankara bleibt, ist ehrlicher. Es klingt vielleicht ein wenig elitär, aber wir in Ankara sind ehrlicher und wir nehmen noch aufeinander Rücksicht. Istanbul ist in dieser Hinsicht westlicher, Ankara dagegen hat sich die guten Seiten Anatoliens bewahrt."
Von der tiefschwarzen Musik der Band Zifir hinaus in Nachtleben der türkischen Hauptstadt. Es ist 23 Uhr abends. Im Istanbuler Stadtteil Cankaya gehören viele Straßenzüge um diese Zeit den Nachtschwärmern. Irische Pubs stehen neben mexikanischen Bars. Aus ihnen dringt gedämpfte Musik, Jugendliche gehen gut gelaunt, aber mit gesenkten Stimmen vorüber. Vor dem Musikclub "If" weisen die Türsteher ein Pärchen darauf hin, dass sie ihre mitgebrachten Bierdosen hier nicht trinken dürften. Die beiden werfen ihre Getränke widerspruchslos in den nächsten Abfalleimer.
Hinter der Bühne bereitet sich die Gruppe "Bonustrack" auf ihren Auftritt vor. Bier und Wodka Tonic machen die Runde unter den fünf Bandmitgliedern, Vokalistin Izgi zieht ihren knallroten Lippenstift nach. Draußen, im Clubsaal, warten gut 200 zum Teil sehr junge Leute auf den Auftritt der Coverband. Zwischen abgelegten Straßenjacken und Instrumentenkoffern erinnern sich die Musiker noch gut daran, wie es vor zehn Jahren gerade einmal zwei Musikclubs in der Hauptstadt gab:
"Es gibt viel mehr Live-Musik als noch vor ein paar Jahren. In jedem Pub von Ankara gibt es heute Live-Musik. Dazu kommen Restaurants und Hotels. So gesehen ist das richtig gut geworden in Ankara."
"Das Image von Ankara ist immer noch, dass hier abends die Bürgersteige hochgeklappt werden, dass wir eine langweilige Beamtenstadt sind und so weiter. Aber inzwischen haben auch die Bürokraten ihr Freizeitverhalten geändert - und deren Kinder sowieso!"
Izgi, Ozan, Burak, Arda und Celal sind Söhne und Töchter typischer Ankaraner Beamtenfamilien. Sie sind aufgewachsen mit einer großen Portion Misstrauen gegenüber den Moderat-Religiösen, die heute das Land und Ankara regieren. Doch dieses Misstrauen ist mittlerweile verflogen. Der AKP Bürgermeister habe zwar den Alkoholausschank in einem städtischen Park verboten, aber ansonsten habe es keinen Versuch gegeben, den Jugendlichen das Nachtleben zu verderben:
"Dazu besteht auch kein Anlass, weil es hier in Ankara total gesittet zugeht. Hier gibt es nie Krawall, die Leute gehen nach Schließung der Lokale brav nach Hause. Die Diplomaten- und Beamtenmentalität gilt bei uns auch nachts."
Dann geht es hinaus auf die Bühne. Mit ein paar nachgespielten Hits aus Amerika soll dem Disco-Publikum bis zur Sperrstunde um zwei eingeheizt werden. Im Bereich Covermusik, sagt der Keyboarder von Bonustrack beim Hinausgehen, ist Ankara einfach unschlagbar. Aber was ist der typische Ankara-Sound?
"Ich würde sagen: Zu Ankara passt am besten der Blues!"
Abschied von Atatürk: Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag aus Ankara, über die türkische Hauptstadt im Umbruch. Gunnar Köhne war unser Reporter. Die Literatur-Auszüge las Bernt Hahn. Musik und Regie: Babette Michel. Redakteurin am Mikrofon war Barbara Schmidt-Mattern.
"Es geht in unseren Texten um die Psychologie des einzelnen Menschen. Das ist das Thema des ganzen Albums. Das ist von der Atmosphäre her so wie in James Joyces Ulysses."
"In einem Song schaut ein Mann in den Spiegel, erkennt eine Frau und verliebt sich in sie. Später wird sie ermordet, genau genommen wird aber bloß der Spiegel zerschlagen."
Ankara hat noch nie einen türkischen Pop- oder Rockstar hervorgebracht, das wissen die vier von Zifir ganz genau. Istanbul ist die Kulturmetropole des Landes, und wer etwas werden will im nationalen Musikgeschäft, der muss an den Bosporus. Das ärgert Band-Leader Mehmet Pozam:
"In Istanbul geht es ums schnelle Geld, ums Bekanntwerden. Wer wie wir in Ankara bleibt, ist ehrlicher. Es klingt vielleicht ein wenig elitär, aber wir in Ankara sind ehrlicher und wir nehmen noch aufeinander Rücksicht. Istanbul ist in dieser Hinsicht westlicher, Ankara dagegen hat sich die guten Seiten Anatoliens bewahrt."
Von der tiefschwarzen Musik der Band Zifir hinaus in Nachtleben der türkischen Hauptstadt. Es ist 23 Uhr abends. Im Istanbuler Stadtteil Cankaya gehören viele Straßenzüge um diese Zeit den Nachtschwärmern. Irische Pubs stehen neben mexikanischen Bars. Aus ihnen dringt gedämpfte Musik, Jugendliche gehen gut gelaunt, aber mit gesenkten Stimmen vorüber. Vor dem Musikclub "If" weisen die Türsteher ein Pärchen darauf hin, dass sie ihre mitgebrachten Bierdosen hier nicht trinken dürften. Die beiden werfen ihre Getränke widerspruchslos in den nächsten Abfalleimer.
Hinter der Bühne bereitet sich die Gruppe "Bonustrack" auf ihren Auftritt vor. Bier und Wodka Tonic machen die Runde unter den fünf Bandmitgliedern, Vokalistin Izgi zieht ihren knallroten Lippenstift nach. Draußen, im Clubsaal, warten gut 200 zum Teil sehr junge Leute auf den Auftritt der Coverband. Zwischen abgelegten Straßenjacken und Instrumentenkoffern erinnern sich die Musiker noch gut daran, wie es vor zehn Jahren gerade einmal zwei Musikclubs in der Hauptstadt gab:
"Es gibt viel mehr Live-Musik als noch vor ein paar Jahren. In jedem Pub von Ankara gibt es heute Live-Musik. Dazu kommen Restaurants und Hotels. So gesehen ist das richtig gut geworden in Ankara."
"Das Image von Ankara ist immer noch, dass hier abends die Bürgersteige hochgeklappt werden, dass wir eine langweilige Beamtenstadt sind und so weiter. Aber inzwischen haben auch die Bürokraten ihr Freizeitverhalten geändert - und deren Kinder sowieso!"
Izgi, Ozan, Burak, Arda und Celal sind Söhne und Töchter typischer Ankaraner Beamtenfamilien. Sie sind aufgewachsen mit einer großen Portion Misstrauen gegenüber den Moderat-Religiösen, die heute das Land und Ankara regieren. Doch dieses Misstrauen ist mittlerweile verflogen. Der AKP Bürgermeister habe zwar den Alkoholausschank in einem städtischen Park verboten, aber ansonsten habe es keinen Versuch gegeben, den Jugendlichen das Nachtleben zu verderben:
"Dazu besteht auch kein Anlass, weil es hier in Ankara total gesittet zugeht. Hier gibt es nie Krawall, die Leute gehen nach Schließung der Lokale brav nach Hause. Die Diplomaten- und Beamtenmentalität gilt bei uns auch nachts."
Dann geht es hinaus auf die Bühne. Mit ein paar nachgespielten Hits aus Amerika soll dem Disco-Publikum bis zur Sperrstunde um zwei eingeheizt werden. Im Bereich Covermusik, sagt der Keyboarder von Bonustrack beim Hinausgehen, ist Ankara einfach unschlagbar. Aber was ist der typische Ankara-Sound?
"Ich würde sagen: Zu Ankara passt am besten der Blues!"
Abschied von Atatürk: Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag aus Ankara, über die türkische Hauptstadt im Umbruch. Gunnar Köhne war unser Reporter. Die Literatur-Auszüge las Bernt Hahn. Musik und Regie: Babette Michel. Redakteurin am Mikrofon war Barbara Schmidt-Mattern.