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Anklage gegen das Militär

Die Bombardierung der Stadt Guernica im April 1937 durch die Truppen General Francos und der deutschen Nationalsozialisten veranlasste Pablo Picasso dazu, ein Monumentalbild als Manifest gegen Terror, Gewalt und Unterdrückung zu malen. Am 12. Juli 1937 wurde Picassos großformatiges "Guernica" erstmals in Paris der Öffentlichkeit gezeigt.

Von Björn Stüben |
    Die spanische Republik ist gerade drei Jahre alt, als sie 1934 die Einladung aus Frankreich erreicht, an der Internationalen Ausstellung der Künste und Technik teilzunehmen, die 1937 in Paris eröffnen soll. Die Zusage erfolgt, und Pablo Picasso erhält den Auftrag, für den spanischen Pavillon auf dieser Weltausstellung die Freiheit der Kunst allegorisch auf einem Gemälde darzustellen.

    Wenig später erschüttert ein politischer Rechtsruck das Land. Ein Putschversuch der Generäle unter Franco im Juli 1936 stürzt Spanien in einen Bürgerkrieg. Dennoch beginnen im Februar 1937 die Arbeiten am spanischen Pavillon in Paris. Im April zerstören von Franco angeforderte deutsche Bomber die baskische Stadt Guernica. Das demokratische Europa verschließt mehrheitlich die Augen vor dem Massaker. Sechs Wochen nach dem offiziellen Beginn der Pariser Weltausstellung öffnet Spanien schließlich am 12. Juli 1937 seinen Pavillon in der Nachbarschaft des monumentalen Baus des Dritten Reiches. Der deutsche Kritiker Emanuel Paul Frank hat nur Spott übrig für die verspätete Präsentation der Spanier.

    "Der Pavillon Spaniens wurde erst kürzlich eröffnet und enthält noch nichts Bedeutendes. Man sieht einige Fresken und mindestens eine davon scheint den Traum eines Verrückten darzustellen: Es ist ein Durcheinander von unverständlichen Symbolen und menschlichen Körperteilen und es scheint, als hätte ein vierjähriges Kind all dies gezeichnet."

    Es ist Picassos auf eine großformatige Leinwand gemaltes Bild "Guernica", das bei der erzkonservativen Kritik auf völliges Unverständnis stößt. Ein imposanter Stier, ein verschrecktes Pferd, eine Frau mit leblosem Kind, ein niedergestürzter Mann mit zerbrochenem Schwert, eine grell leuchtende Deckenlampe oder eine fliehende Frau heben sich in vielfach abgestuften Grautönen wiedergegeben vom düsteren Bildgrund ab. Aufgerissene Münder und hilflose Gesten von Mensch und Tier schockierten die Betrachter.

    Picassos ursprünglicher Auftrag trat durch den Schrecken des Überfalls auf die baskische Stadt in den Hintergrund. Bereits wenige Tage nach der Bombadierung hatte Picasso mit ersten Vorstudien für das Monumentalbild in seinem Pariser Atelier begonnen.

    "Überall wüteten die Flammen, und dicker schwarzer Rauch stieg auf. Um mich herum beteten die Leute und streckten die Arme gegen den Himmel, um Gnade zu erflehen."

    Den Augenzeugenbericht des baskischen Priesters Alberto de Onaindia scheint Picasso in Malerei übersetzt zu haben. Kritische Intellektuelle wie der Filmregisseur Robert Wiene erkennen den anklagenden Charakter des Werkes sofort. Im September 1937 berichtet er in der "Neuen Weltbühne" über die Pariser Schau:

    "Das Haus der Spanier ist einer der merkwürdigsten und anregendsten Flecke der ganzen Ausstellung. Sie werden sehen, dass hier nichts angepriesen wird, dass man ihnen weder Tennisschläger noch Flugzeugmotore vorführt. Nicht viele werden auf den ersten flüchtigen Blick das große Bild Picassos künstlerisch begreifen können. Trotzdem brauchte nicht das Wort 'Guernica‘ darunter zu stehen, um den Sinn dieser Fratzen, dieser schreienden Masken, Pferdeleiber, wimmernden Kreaturen, dieser speienden Höllenhunde zu erfassen."

    Bereits Monate vor der Bombadierung Guernicas radiert Picasso eine Folge von satirischen Blättern, die er "Traum und Lüge Francos" nennt. Scharf geht er hierin mit der Terrorherrschaft des spanischen Generals ins Gericht. Zum monumentalen Bildformat greift Picasso jedoch erst nach der Auslöschung Guernicas. Welche Absicht verfolgt er damit?

    "In 'Guernica' gibt es einen bewussten Aufruf ans Volk, eine überlegte propagandistische Absicht. In 'Guernica' drücke ich meinen Abscheu vor der Militärkaste aus, die Spanien in einen Ozean von Schmerz und Tod versenkt hat. Der Stier verkörpert die Brutalität und das Pferd das Volk."

    Picasso bedient sich der Symbolik. Doch letztlich überlässt er es jedem Betrachter selber, ob dieser in der Gestalt des Stieres ein allgemeines Sinnbild für Brutalität oder aber die Verkörperung des spanischen und deutschen Faschismus erkennen will. Die grausamen Ereignisse des Bürgerkriegs in seiner Heimat auf der Leinwand lediglich zu schildern, kommt für Picasso nicht infrage:

    "Ich habe den Krieg nicht gemalt, weil ich nicht zu jenen Malern gehöre, die, wie Photographen, Motive suchen. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass der Krieg in den Bildern, die ich gemacht habe, existiert."

    Nachdem die Pariser Weltausstellung ihre Tore 1938 schließt, reist Picassos "Guernica" ins New Yorker Museum of Modern Art. An eine Ausstellung in Spanien ist nicht zu denken. Franco verbietet alle Nachdrucke und stellt den heimlichen Besitz einer Reproduktion unter Strafe. "Guernica" wird bis zu Beginn der 80er Jahre in vielen europäischen Ländern gezeigt. Sechs Jahre nach Francos Tod erreicht es schließlich im September 1981 Madrid, wo es heute im Museo Nacional Reina Sofia seinen endgültigen Platz gefunden hat.
    Der Künstler Pablo Picasso, 1972
    Pablo Picasso 1972. (AP Archiv)