Kein Problem, die Klinge sei kürzer als sechs Zentimeter. Ich schaue ihn verdattert an, entschließe mich dann aber nach kurzem Nachdenken, jetzt keine Diskussion darüber anzufangen, ob man mit fünf Zentimeter langen Klingen keine Menschen umbringen kann. Stattdessen stecke ich es ein und lächle dankbar zurück.
Entweder habe ich Glück oder die Sicherheitsbestimmungen für Flüge in die USA haben sich gelockert. Ich darf nicht nur mein Taschenmesser mitnehmen, sondern muss auch nur einmal meinen kompletten Rucksack ausräumen und beweisen, dass die undurchsichtigen, länglichen Gegenstände darin keine Bomben, sondern Mikrofone sind.
Die Glückssträhne endet abrupt etwa 24 Stunden später. Ich bin in Washington angekommen, habe eine Nacht im Hotel hinter mir und steige in den Mietwagen, um zu meiner ersten Interviewpartnerin zu fahren. In dem Moment ruft sie an, um abzusagen. Ihre Mutter liegt im Sterben. Noch etwas benommen schiebe ich mich einige Zeit später mitten im Washingtoner Berufsverkehr über eine vierspurige Umgehungsstraße, lausche im Radio einer Werbung für eine neue Fettabsaugetechnik und frage mich, warum die Kuh auf dem Milchlaster vor mir so depressiv dreinschaut.
Das nächste Interview klappt. In Frostburg, Maryland erwartet mich der Hydrologe Keith Eshleman. Er nimmt mich in seinem Geländewagen mit auf eine Exkursion durch die Umgebung. Wir fahren durch idyllische Kleinstädte mit weißen Holz- und roten Klinkerhäuschen inmitten bewaldeter Hügel. Gestört wird die Idylle zuerst nur durch Kohlelaster, die alle paar Minuten an uns vorbeifahren.
Dann hält der Forscher an einem Bach, der orange-gelb eingefärbt ist. Eisen- und schwefelhaltige Abwässer aus einer Kohlemine. Dieses Wasser sei extrem sauer, sagt Eshleman, mit einem pH-Wert von höchstens drei.
In den Gebirgszügen der Appalachen liegt eines der größten Steinkohlevorkommen der USA. Abgebaut wird es weitgehend im Tagebau. Rund um Frostburg sind die Minen relativ klein. Die Bergbaufirmen tragen den Wald, den Boden und die obersten Gesteinsschichten ab, bis das Kohleflöz freiliegt und sich auf Lkw verladen lässt. Ist die Kohle weg, sind sie verpflichtet, die Flächen wieder zu renaturieren.
Wir fahren durch einen Wald auf eine Anhöhe. Hinter einer Kurve gibt das hügelige Gelände den Blick frei auf eine brettebene, etwa zwei Fußballfelder große Lichtung. Das sei eine renaturierte Fläche, sagt der Hydrologe, oder zumindest das, was die Bergbaugesellschaften unter einer renaturierten Fläche verstünden. Man habe einfach den Boden planiert und Gras gesät. Das war vor 30 Jahren. Bis heute ist kein Baum zurückgekehrt, der Boden ist viel zu stark verdichtet. Regenwasser kann hier nicht versickern und läuft oberirdisch ab. Dadurch kommt es in den Tälern unterhalb solcher ehemaligen Tagebaue in den letzten Jahren immer öfter zu Überflutungen. Die Bergbaufirmen hätten gesunde Wälder in grasbewachsene Parkplätze verwandelt, sagt Eshleman und schüttelt den Kopf. Und das sei erst der Anfang. Weiter südlich, in West Virginia würden ganze Berggipfel weggesprengt, um auf vielen Quadratkilometern Kohle zu gewinnen. Dorthin fahre ich morgen.
Zurück im Hotel finde ich eine E-Mail von meinem dritten Interviewpartner. Er liegt mit Lungenentzündung im Krankenhaus.
Die weiteren Tagebucheinträge von Monika Seynsche finden Sie unter:
Wunden der Erde - Ein Reisetagebuch
Die Recherchereise wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert.
Entweder habe ich Glück oder die Sicherheitsbestimmungen für Flüge in die USA haben sich gelockert. Ich darf nicht nur mein Taschenmesser mitnehmen, sondern muss auch nur einmal meinen kompletten Rucksack ausräumen und beweisen, dass die undurchsichtigen, länglichen Gegenstände darin keine Bomben, sondern Mikrofone sind.
Die Glückssträhne endet abrupt etwa 24 Stunden später. Ich bin in Washington angekommen, habe eine Nacht im Hotel hinter mir und steige in den Mietwagen, um zu meiner ersten Interviewpartnerin zu fahren. In dem Moment ruft sie an, um abzusagen. Ihre Mutter liegt im Sterben. Noch etwas benommen schiebe ich mich einige Zeit später mitten im Washingtoner Berufsverkehr über eine vierspurige Umgehungsstraße, lausche im Radio einer Werbung für eine neue Fettabsaugetechnik und frage mich, warum die Kuh auf dem Milchlaster vor mir so depressiv dreinschaut.
Das nächste Interview klappt. In Frostburg, Maryland erwartet mich der Hydrologe Keith Eshleman. Er nimmt mich in seinem Geländewagen mit auf eine Exkursion durch die Umgebung. Wir fahren durch idyllische Kleinstädte mit weißen Holz- und roten Klinkerhäuschen inmitten bewaldeter Hügel. Gestört wird die Idylle zuerst nur durch Kohlelaster, die alle paar Minuten an uns vorbeifahren.
Dann hält der Forscher an einem Bach, der orange-gelb eingefärbt ist. Eisen- und schwefelhaltige Abwässer aus einer Kohlemine. Dieses Wasser sei extrem sauer, sagt Eshleman, mit einem pH-Wert von höchstens drei.
In den Gebirgszügen der Appalachen liegt eines der größten Steinkohlevorkommen der USA. Abgebaut wird es weitgehend im Tagebau. Rund um Frostburg sind die Minen relativ klein. Die Bergbaufirmen tragen den Wald, den Boden und die obersten Gesteinsschichten ab, bis das Kohleflöz freiliegt und sich auf Lkw verladen lässt. Ist die Kohle weg, sind sie verpflichtet, die Flächen wieder zu renaturieren.
Wir fahren durch einen Wald auf eine Anhöhe. Hinter einer Kurve gibt das hügelige Gelände den Blick frei auf eine brettebene, etwa zwei Fußballfelder große Lichtung. Das sei eine renaturierte Fläche, sagt der Hydrologe, oder zumindest das, was die Bergbaugesellschaften unter einer renaturierten Fläche verstünden. Man habe einfach den Boden planiert und Gras gesät. Das war vor 30 Jahren. Bis heute ist kein Baum zurückgekehrt, der Boden ist viel zu stark verdichtet. Regenwasser kann hier nicht versickern und läuft oberirdisch ab. Dadurch kommt es in den Tälern unterhalb solcher ehemaligen Tagebaue in den letzten Jahren immer öfter zu Überflutungen. Die Bergbaufirmen hätten gesunde Wälder in grasbewachsene Parkplätze verwandelt, sagt Eshleman und schüttelt den Kopf. Und das sei erst der Anfang. Weiter südlich, in West Virginia würden ganze Berggipfel weggesprengt, um auf vielen Quadratkilometern Kohle zu gewinnen. Dorthin fahre ich morgen.
Zurück im Hotel finde ich eine E-Mail von meinem dritten Interviewpartner. Er liegt mit Lungenentzündung im Krankenhaus.
Die weiteren Tagebucheinträge von Monika Seynsche finden Sie unter:
Wunden der Erde - Ein Reisetagebuch
Die Recherchereise wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert.


