Florian Illies führt in 23 Kapiteln typische Situationen vor, in denen ein schlechtes Gewissen vorzugsweise entsteht. Man merkt schnell, dass es dem Autor mit dem Thema so bitterernst ist, wie jemandem, der merkt, dass das eigene komische Verhalten überall auftritt, dass es alle so machen, auch wenn sie alle wissen, dass es irgendwie falsch ist! Kurz: Florian Illies stellt sich irgendwo zwischen Karl Valentin und Moralpastor Wickert auf. Das tut gut! In seinem ernsthaft unernst gemeinten Buch hat er die Form der persönlichen Mitteilung gewählt, alle hier behandelten Situationen stammen angeblich aus seinem Leben (auch wenn er sie selbst wohl nicht immer so erlebt hat). Also: Zu Beginn einige leichte Übungen für Anfänger: Der vergessene Geburtstag, der übervolle Schreibtisch, die weggeworfenen Lebensmittel, die Fahrt nicht zum Zigarettenautomaten (nein, das wäre zu einfach) sondern zum Einkaufen (bei Nieselregen!), der Bettler am Straßenrand. Das sind nur die einfachsten Situationen, in denen uns - aus welchen Gründen wird deutlich dargelegt! - ein schlechtes Gewissen entstehen kann. Der eigene Reichtum, dessen man sich vor dem Armen schämt; der übervolle Schreibtisch, der einen daran erinnert, dass man irgendetwas in seinem Arbeitsleben (und, Unheil droht: vielleicht auch in seinem Privatleben!) nicht richtig macht; der Termin, den man vergessen hat, weil er einem nicht wichtig genug war, was man sich jedoch nicht eingestehen kann, denn dann wäre es mit dem Verhältnis zum Vergessenen aus, doch halt: Diese Folgegedanken und Gefühlsketten, diese Windungen in Entstehen und Verlauf des schlechten Gewissens sind nur etwas für Fortgeschrittene. Doch auch für die hat Illies einiges parat!
Dass man sich für die magerkickrigen Erfolge von Bayern München im Ausland nicht zu entschuldigen braucht, weil diese Mannschaft im Gegenteil überall bewundert wird; dass man den besten Deutschen abgibt, wenn man im Ausland über das Verhalten der anderen "typisch Deutschen" lästert; wie man gekonnt die Wahl des richtigen Rotweins dem Ober überlässt, ohne es sich anmerken zu lassen, dass man von Wein keine Ahnung hat - all das kann man bei Florian Illies lernen. Falsche Zweifel, falsches Scham, falsches Schuldgefühl, hier wird Ihnen geholfen! Illies´ kleiner Benimmratgeber in Sachen schlechtes Gewissen, seine Gewissensgymnastik ist in 23 Kapiteln mit Übungen aufgeteilt und schon bald werden Sie sehen, dass auch Sie Fortschritte machen!
Anleitung zum Unschuldigsein ist wie Watzlawicks Anleitung zum Unglücklichsein ein gänzlich witzig-ernstes Buch, es ist weniger aufregend geschrieben als "Generation Golf", was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass sich Illies hier auf ein einziges Thema beschränkt, auf ein schwieriges dazu. Die Gewissensfrage! Es ist keine Folgeinspektion der Dreißigjährigen, wie man vermuten könnte, nein, Illies schaut sich wie ein Rousseau in die Seele, um die Gewissensnöte und -qualen zu entdecken, die freilich nicht immer die Nöte dieser Generation sind, sondern solche, die war alle haben können! Gerade als Deutsche! Wenn wir den Müll nicht trennen, wenn wir mit dem Auto statt mit dem Fahrrad fahren, wenn wir das Haltbarkeitsdatum von Lebensmitteln ablaufen lassen, wenn wir dem Asylanten in der Gaststätte keine Rose abkaufen usw...
Besonders gut gefallen haben mir jedoch die Übungen am Ende eines jeden Kapitels, in denen Illies Dehn- und Streckübungen für das schlechte Gewissen vorführt! Wie befreiend kann es sein, einmal über alle Stränge der politischen, ökologischen und moralischen Korrektheit zu schlagen! Illies empfiehlt Übungen zur Steigerung des schlechten Gewissens, die schon fast therapeutischen, ja kathartischen Charakter haben. Die das Schuldgefühl in einer paradoxen Intervention bis zu seiner Auflösung steigern. Als Übung für die, die ein schlechtes Gewissen haben, weil sie im Restaurant die Namen nicht richtig aussprechen können, empfiehlt er: "Wir gehen in ein französisches Restaurant und lassen uns vom Kellner alle Speisen ins Deutsche übersetzen, wenn er ein Wort nicht weiß, lassen wir ihn zum Nachfragen in die Küche gehen. Wir sagen ihm dann, dass uns alles nicht zusage. Dann lassen wir uns drei besonders teure Rotweine öffnen und erklären jedesmal, der Wein schmecke nach Kork. Dann bestellen wir ein Glas Wasser und zahlen - passend." Besonders wirksam finde ich auch die Übung, die Florian Illies zur Überwindung des schlechten Gewissens beim sogenannten "ungesunden Essen" vorschlägt, an dem wir in Zeiten von Genfood ja alle nicht vorbeikommen. Er schreibt: "Wir lassen uns ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich ernähre mich falsch" drucken, ziehen es an, gehen zu McDonald´s, lassen uns einen Sechserpack Chicken McNuggets, Pommes, einen BigMac und einen McSundae-Eisbecher einpacken, gehen damit am Samstagvormittag auf den Wochenmarkt und schlendern essend zwischen den Gemüseständen umher, greifen mit verklebten Fingern nach frischen Äpfeln und üppigen Rettichen und rufen immer wieder entsetzt aus "Wie widerlich"". Ja, das ist´s!