Ich habe gemeint, dass es in Bezug auf Tschetschenien zu einer differenzierteren Bewertung der Völkergemeinschaft kommen muss und sicher auch kommen wird.
Ein bemerkenswerter - weil ohne Not formulierter - Satz von Gerhard Schröder, ein sicherlich dankbar entgegengenommenes politisches Gastgeschenk für seinen Freund Wladimir Putin - damals, vor anderthalb Jahren, im September 2001, als sich der russische Staatspräsident zu einem Besuch in Deutschland aufhielt, knapp 14 Tage nach den Terror-Anschlägen von New York und Washington. - Putins Antwort damals vor dem Bundestag:
Terrorismus, nationaler Hass, Separatismus und religiöser Extremismus haben überall dieselben Wurzeln, bringen dieselben Giftfrüchte. Darum sollen auch Kampfmittel gegen diese Probleme universal sein. Aber zuerst sollen wir uns in einer grundlegendenden Frage einigen. Wir sollen uns nicht fürchten, die Probleme bei ihrem Namen zu nennen. Sehr wichtig ist es zu begreifen, dass Untaten politischen Zielen nicht dienen können, wie gut diese Ziele auch sein mögen.
Eine bedenkenswerte Passage. Aber: Musste und muss dieses Bekenntnis Putins nicht für alle in den Tschetschenien-Konflikt verwickelten Parteien gelten? Und muss sich Putin als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte nicht gerade deshalb für das Verhalten seiner Soldaten in die Verantwortung nehmen lassen? Überlegungen zu einer neuen Weltordnung, der Kampf gegen ideologisch oder religiös verbrämten Terrorismus spielen eben auch eine Rolle, wenn das Thema "Tschetschenien" diskutiert wird. Tschetschenien als eine Art Dominostein innerhalb eines islamistisch-fundamentalistischen geopolitisch definierten Bogens, der sich von West-China über Mittelasien bis ans Ufer der Adria, bis nach Bosnien zieht. So zumindest sieht dies eine nicht einflusslose Denkschule in Moskau. Und dass der Kaukasus, dass Tschetschenien dabei für Russland eine zentrale Rolle spielt, liegt für sie auf der Hand. Als Kurzformel: Russland als Bollwerk gegen den militanten Islam. Soweit die abstrakt-theoretische Ebene. Die russische Journalistin Anna Politkovskaja - für ihr Engagement um die Menschenrechte von der OSZE soeben mit dem "Preis für Journalismus und Demokratie" ausgezeichnet - sie nähert sich dem Tschetschenien-Problem konkret an. Aus eigenem Erleben, in Augenhöhe mit den Betroffenen, mit den Opfern. "Tschetschenien - die Wahrheit über den Krieg" heißt ihr Buch, das jetzt auch auf deutsch erschienen ist.
"Vtoraja Tschetschenskaja" - "Der zweite Tschetschenische Krieg" heißt dieses Buch in der russischen Originalausgabe, erschienen im Sommer vergangenen Jahres, als der zweite Tschetschenienkrieg bereits seit 33 Monaten im Nordkaukasus tobte. Mit dem Titel der deutschen Ausgabe ist die Autorin dagegen nicht ganz so glücklich:
Ich glaube der Titel "Tschetschenien. Wahrheit über den Krieg" ist - vom journalistischen Standpunkt aus betrachtet - nicht präzise genug. Es ist meine Wahrheit über den Krieg. Denn es gibt viele Seiten, die an diesem Konflikt beteiligt sind, und jeder dieser Beteiligten hat seine eigene Wahrheit über den Krieg.
Doch genau das ist Anna Politkovskaja mit ihrem Buch gelungen: Das alltägliche Grauen des Krieges in Tschetschenien aus der Sicht verschiedener Menschen und Interessengruppen zu schildern. Dabei kam die 44-jährige Journalistin eigentlich durch einen Zufall an dieses Thema. Noch im Vorwort stellt sie sich selbst eine Frage:
Wer bin ich eigentlich? Und warum schreibe ich über den zweiten Tschetschenien-Krieg? Ich bin Journalistin. Arbeite als Sonderkorrespondentin für die Moskauer 'Nowaja Gaseta’, und das ist der einzige Grund, warum ich den Krieg gesehen habe: Ich wurde losgeschickt, um darüber zu berichten. Aber nicht, weil ich Kriegsberichterstatterin wäre. Das Kalkül des Chefredakteurs war denkbar einfach: Gerade ich als zutiefst ziviler Mensch könnte sie viel besser verstehen, die Leiden anderer zutiefst ziviler Menschen, der vom Krieg überrollten Bewohner der tschetschenischen Dörfer und Städte. Deshalb fahre ich jeden Monat nach Tschetschenien, seit Juli 1999. Ich habe Tschetschenien in alle Richtungen erkundet. Und dabei unsägliches Leid gesehen. Das Schmerzlichste aber ist, dass viele meiner Helden, über die ich in diesen zweiundeinhalb Jahren schrieb, jetzt bereits tot sind. So sieht er aus, dieser furchtbare Krieg. Der mittelalterliche. Auch wenn er sich am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert und hier in Europa abspielt.
Geographisch liegt Tschetschenien tatsächlich in Europa, doch der Krieg habe diese Region zur "Enklave der Rechtlosigkeit" gemacht, schreibt Anna Politkovskaja. Sie schildert das oft Unvorstellbare. Die Lektüre ihres Buches verlangt vom Leser eine gewisse Nervenstärke.
Issa kommt aus Selmentausen. Anfang Februar geriet auch er in das Konzentrationslager am Rande von Chottun. Sie drückten ihre Zigaretten auf seinem Körper aus, rissen ihm die Nägel von den Fingern, ließen wassergefüllte Pepsi-Cola-Flaschen auf seine Nieren klatschen. Stießen ihn dann in die 'Badegrube’ mit Wasser (mitten im Winter) und warfen Rauchgranaten hinterher. Sie waren zu sechst dort unten. Nicht alle überlebten. Offiziere niedriger Dienstgrade, die die kollektiven Verhöre durchführten, lachten den Tschetschenen ins Gesicht, sie hätten knackige Hintern, und vergewaltigten sie. Mit den Worten: 'Das ist dafür, dass uns eure Weiber nicht lassen’. Tschetschenen, die diese Tortur überlebten, sagen heute, die Rache für die 'knackigen Hintern' sei das Ziel ihres gesamten restlichen Lebens.
Doch nicht nur die Gräueltaten der russischen Truppen in Tschetschenien - Morde, Vergewaltigungen, Plünderungen, Folter und Entführungen - finden in diesem Buch einen Platz. Politkovskaja analysiert ausführlich die Hintergründe: "Wer braucht diesen Krieg" oder "Wer bereichert sich?" so lauten weitere Kapitelüberschriften . Der tschetschenische Islam und die Blutrache für die ermordeten oder verschwundenen Verwandten werden genauso zum Thema, wie Morde an Journalisten und die Verwicklungen des heutigen Chefs der Zivilverwaltung der Republik, Achmed Kadyrov, ins illegale Ölgeschäft. Die angeblichen Absprachen des Kreml mit dem Westen werden im Kapitel "Tschetschenien ist der Preis für den Sessel des UNO-Generalsekretärs" behandelt. Anna Politkovskaja - dies wird bei der Lektüre ihres Buches bald klar - hat keine Angst, sich immer wieder neue Feinde zu machen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aus ihren Beweggründen macht sie im Nachwort kein Geheimnis:
Viele Menschen stellen oft dieselbe Frage: 'Wozu schreiben Sie das? Wieso erschrecken Sie uns? Wozu haben wir das nötig?' Ich bin überzeugt, es muss sein. Aus einem einfachen Grund: Wir sind die Zeitgenossen dieses Kriegs, und wir werden uns seinetwegen verantworten müssen. Und dann werden die klassischen sowjetischen Ausreden nichts mehr helfen: Ich war nicht dabei, ich habe mich nicht beteiligt.
Diejenigen, die dieses Buch gelesen haben werden, werden ebenfalls nicht behaupten können, dass sie es nicht gewusst hätten, hofft Anna Politkovskaja. "Tschetschenien. Wahrheit über den Krieg" ist das äußerst politische Buch einer politisch überdurchschnittlich engagierten Autorin, die in ihrer Heimat einem enormen Druck standhalten muss. Dass ihr Buch nun auch in Deutschland erscheint, sieht sie als eine Chance, die internationale Öffentlichkeit auf einen Krieg aufmerksam zu machen, den die russische Führung nun schon seit geraumer Zeit hinter einem eisernen Informationsvorhang führt: Die Pressefreiheit in Russland sei momentan auf dem Niveau der Sowjetzeit, so Politkovskaja wörtlich:
Die meisten Journalisten haben sich geweigert, über den zweiten Tschetschenienkrieg zu berichten. Das war ihre persönliche Entscheidung. Die Frage lautet hier: "Warum war das so?" - Sie hatten einfach Angst. Auf diejenigen Medien, die am Anfang des Krieges noch aus Tschetschenien berichteten, wurde massiver Druck ausgeübt. Für den bis dahin weitgehend unabhängigen Moskauer Fernsehkanal NTW endete dieser Druck tragisch - der Sender wurde praktisch zerschlagen. Der Nachfolge-Sender berichtet und kommentiert weitgehend im Sinne des russischen Militärs.
Mit ihrem Buch will Anna Politkovskaja das gigantische Informationsdefizit über den Tschetschenienkrieg in Russland, vor allem aber auch im Ausland abbauen. Denn die einzige Lösung dieses Konfliktes besteht aus der Sicht der Journalistin in einer geschickten Einmischung des Westens, vertreten etwa durch eine renommierte Internationale Organisation, als Unterhändler und Vermittler zwischen den festgefahrenen Positionen der verschiedenen Interessensgruppen. Von einer Zwangsbefriedung nach - Zitat: "Moskauer Art" - hält Anna Politkovskaja jedenfalls nichts. Ebenso wenig wie von dem in Tschetschenien bald bevorstehenden Referendum über eine neue Verfassung für die Nordkaukasus-Republik. Dieser Plan sei - wiederum Zitat: "ein äußerst gefährliches Spiel", das nur zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes führen werde:
Der zweite Tschetschenienkrieg hat den Menschen klargemacht, das sie nichts als Staub sind. Jetzt wird ihnen durch das aufgezwungene Referendum erneut vor Augen geführt, dass sie immer noch nicht mehr wert sind als bloßer Staub. Das ist ein gefährlicher Weg, wie das Geiseldrama in Moskau gezeigt hat, denn es finden sich immer mehr Menschen in Tschetschenien, die bereit sind zu dieser Herangehensweise Moskaus Nein zu sagen. Und es gibt keine Garantie, dass beim nächsten Mal nicht gleich etwas - und ohne dass Journalisten als Unterhändler gerufen werden - in die Luft gejagt wird.
Genau das aber will Anna Politkovskaja verhindern, und deshalb hat sie dieses Buch geschrieben.
Jelena Beier war das. Sie rezensierte: "Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg" von Anna Politkovskaja, erschienen im DuMont-Verlag Köln. Das Buch hat 336 Seiten und ist erhältlich für 16 Euro 90.
Ein bemerkenswerter - weil ohne Not formulierter - Satz von Gerhard Schröder, ein sicherlich dankbar entgegengenommenes politisches Gastgeschenk für seinen Freund Wladimir Putin - damals, vor anderthalb Jahren, im September 2001, als sich der russische Staatspräsident zu einem Besuch in Deutschland aufhielt, knapp 14 Tage nach den Terror-Anschlägen von New York und Washington. - Putins Antwort damals vor dem Bundestag:
Terrorismus, nationaler Hass, Separatismus und religiöser Extremismus haben überall dieselben Wurzeln, bringen dieselben Giftfrüchte. Darum sollen auch Kampfmittel gegen diese Probleme universal sein. Aber zuerst sollen wir uns in einer grundlegendenden Frage einigen. Wir sollen uns nicht fürchten, die Probleme bei ihrem Namen zu nennen. Sehr wichtig ist es zu begreifen, dass Untaten politischen Zielen nicht dienen können, wie gut diese Ziele auch sein mögen.
Eine bedenkenswerte Passage. Aber: Musste und muss dieses Bekenntnis Putins nicht für alle in den Tschetschenien-Konflikt verwickelten Parteien gelten? Und muss sich Putin als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte nicht gerade deshalb für das Verhalten seiner Soldaten in die Verantwortung nehmen lassen? Überlegungen zu einer neuen Weltordnung, der Kampf gegen ideologisch oder religiös verbrämten Terrorismus spielen eben auch eine Rolle, wenn das Thema "Tschetschenien" diskutiert wird. Tschetschenien als eine Art Dominostein innerhalb eines islamistisch-fundamentalistischen geopolitisch definierten Bogens, der sich von West-China über Mittelasien bis ans Ufer der Adria, bis nach Bosnien zieht. So zumindest sieht dies eine nicht einflusslose Denkschule in Moskau. Und dass der Kaukasus, dass Tschetschenien dabei für Russland eine zentrale Rolle spielt, liegt für sie auf der Hand. Als Kurzformel: Russland als Bollwerk gegen den militanten Islam. Soweit die abstrakt-theoretische Ebene. Die russische Journalistin Anna Politkovskaja - für ihr Engagement um die Menschenrechte von der OSZE soeben mit dem "Preis für Journalismus und Demokratie" ausgezeichnet - sie nähert sich dem Tschetschenien-Problem konkret an. Aus eigenem Erleben, in Augenhöhe mit den Betroffenen, mit den Opfern. "Tschetschenien - die Wahrheit über den Krieg" heißt ihr Buch, das jetzt auch auf deutsch erschienen ist.
"Vtoraja Tschetschenskaja" - "Der zweite Tschetschenische Krieg" heißt dieses Buch in der russischen Originalausgabe, erschienen im Sommer vergangenen Jahres, als der zweite Tschetschenienkrieg bereits seit 33 Monaten im Nordkaukasus tobte. Mit dem Titel der deutschen Ausgabe ist die Autorin dagegen nicht ganz so glücklich:
Ich glaube der Titel "Tschetschenien. Wahrheit über den Krieg" ist - vom journalistischen Standpunkt aus betrachtet - nicht präzise genug. Es ist meine Wahrheit über den Krieg. Denn es gibt viele Seiten, die an diesem Konflikt beteiligt sind, und jeder dieser Beteiligten hat seine eigene Wahrheit über den Krieg.
Doch genau das ist Anna Politkovskaja mit ihrem Buch gelungen: Das alltägliche Grauen des Krieges in Tschetschenien aus der Sicht verschiedener Menschen und Interessengruppen zu schildern. Dabei kam die 44-jährige Journalistin eigentlich durch einen Zufall an dieses Thema. Noch im Vorwort stellt sie sich selbst eine Frage:
Wer bin ich eigentlich? Und warum schreibe ich über den zweiten Tschetschenien-Krieg? Ich bin Journalistin. Arbeite als Sonderkorrespondentin für die Moskauer 'Nowaja Gaseta’, und das ist der einzige Grund, warum ich den Krieg gesehen habe: Ich wurde losgeschickt, um darüber zu berichten. Aber nicht, weil ich Kriegsberichterstatterin wäre. Das Kalkül des Chefredakteurs war denkbar einfach: Gerade ich als zutiefst ziviler Mensch könnte sie viel besser verstehen, die Leiden anderer zutiefst ziviler Menschen, der vom Krieg überrollten Bewohner der tschetschenischen Dörfer und Städte. Deshalb fahre ich jeden Monat nach Tschetschenien, seit Juli 1999. Ich habe Tschetschenien in alle Richtungen erkundet. Und dabei unsägliches Leid gesehen. Das Schmerzlichste aber ist, dass viele meiner Helden, über die ich in diesen zweiundeinhalb Jahren schrieb, jetzt bereits tot sind. So sieht er aus, dieser furchtbare Krieg. Der mittelalterliche. Auch wenn er sich am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert und hier in Europa abspielt.
Geographisch liegt Tschetschenien tatsächlich in Europa, doch der Krieg habe diese Region zur "Enklave der Rechtlosigkeit" gemacht, schreibt Anna Politkovskaja. Sie schildert das oft Unvorstellbare. Die Lektüre ihres Buches verlangt vom Leser eine gewisse Nervenstärke.
Issa kommt aus Selmentausen. Anfang Februar geriet auch er in das Konzentrationslager am Rande von Chottun. Sie drückten ihre Zigaretten auf seinem Körper aus, rissen ihm die Nägel von den Fingern, ließen wassergefüllte Pepsi-Cola-Flaschen auf seine Nieren klatschen. Stießen ihn dann in die 'Badegrube’ mit Wasser (mitten im Winter) und warfen Rauchgranaten hinterher. Sie waren zu sechst dort unten. Nicht alle überlebten. Offiziere niedriger Dienstgrade, die die kollektiven Verhöre durchführten, lachten den Tschetschenen ins Gesicht, sie hätten knackige Hintern, und vergewaltigten sie. Mit den Worten: 'Das ist dafür, dass uns eure Weiber nicht lassen’. Tschetschenen, die diese Tortur überlebten, sagen heute, die Rache für die 'knackigen Hintern' sei das Ziel ihres gesamten restlichen Lebens.
Doch nicht nur die Gräueltaten der russischen Truppen in Tschetschenien - Morde, Vergewaltigungen, Plünderungen, Folter und Entführungen - finden in diesem Buch einen Platz. Politkovskaja analysiert ausführlich die Hintergründe: "Wer braucht diesen Krieg" oder "Wer bereichert sich?" so lauten weitere Kapitelüberschriften . Der tschetschenische Islam und die Blutrache für die ermordeten oder verschwundenen Verwandten werden genauso zum Thema, wie Morde an Journalisten und die Verwicklungen des heutigen Chefs der Zivilverwaltung der Republik, Achmed Kadyrov, ins illegale Ölgeschäft. Die angeblichen Absprachen des Kreml mit dem Westen werden im Kapitel "Tschetschenien ist der Preis für den Sessel des UNO-Generalsekretärs" behandelt. Anna Politkovskaja - dies wird bei der Lektüre ihres Buches bald klar - hat keine Angst, sich immer wieder neue Feinde zu machen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aus ihren Beweggründen macht sie im Nachwort kein Geheimnis:
Viele Menschen stellen oft dieselbe Frage: 'Wozu schreiben Sie das? Wieso erschrecken Sie uns? Wozu haben wir das nötig?' Ich bin überzeugt, es muss sein. Aus einem einfachen Grund: Wir sind die Zeitgenossen dieses Kriegs, und wir werden uns seinetwegen verantworten müssen. Und dann werden die klassischen sowjetischen Ausreden nichts mehr helfen: Ich war nicht dabei, ich habe mich nicht beteiligt.
Diejenigen, die dieses Buch gelesen haben werden, werden ebenfalls nicht behaupten können, dass sie es nicht gewusst hätten, hofft Anna Politkovskaja. "Tschetschenien. Wahrheit über den Krieg" ist das äußerst politische Buch einer politisch überdurchschnittlich engagierten Autorin, die in ihrer Heimat einem enormen Druck standhalten muss. Dass ihr Buch nun auch in Deutschland erscheint, sieht sie als eine Chance, die internationale Öffentlichkeit auf einen Krieg aufmerksam zu machen, den die russische Führung nun schon seit geraumer Zeit hinter einem eisernen Informationsvorhang führt: Die Pressefreiheit in Russland sei momentan auf dem Niveau der Sowjetzeit, so Politkovskaja wörtlich:
Die meisten Journalisten haben sich geweigert, über den zweiten Tschetschenienkrieg zu berichten. Das war ihre persönliche Entscheidung. Die Frage lautet hier: "Warum war das so?" - Sie hatten einfach Angst. Auf diejenigen Medien, die am Anfang des Krieges noch aus Tschetschenien berichteten, wurde massiver Druck ausgeübt. Für den bis dahin weitgehend unabhängigen Moskauer Fernsehkanal NTW endete dieser Druck tragisch - der Sender wurde praktisch zerschlagen. Der Nachfolge-Sender berichtet und kommentiert weitgehend im Sinne des russischen Militärs.
Mit ihrem Buch will Anna Politkovskaja das gigantische Informationsdefizit über den Tschetschenienkrieg in Russland, vor allem aber auch im Ausland abbauen. Denn die einzige Lösung dieses Konfliktes besteht aus der Sicht der Journalistin in einer geschickten Einmischung des Westens, vertreten etwa durch eine renommierte Internationale Organisation, als Unterhändler und Vermittler zwischen den festgefahrenen Positionen der verschiedenen Interessensgruppen. Von einer Zwangsbefriedung nach - Zitat: "Moskauer Art" - hält Anna Politkovskaja jedenfalls nichts. Ebenso wenig wie von dem in Tschetschenien bald bevorstehenden Referendum über eine neue Verfassung für die Nordkaukasus-Republik. Dieser Plan sei - wiederum Zitat: "ein äußerst gefährliches Spiel", das nur zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes führen werde:
Der zweite Tschetschenienkrieg hat den Menschen klargemacht, das sie nichts als Staub sind. Jetzt wird ihnen durch das aufgezwungene Referendum erneut vor Augen geführt, dass sie immer noch nicht mehr wert sind als bloßer Staub. Das ist ein gefährlicher Weg, wie das Geiseldrama in Moskau gezeigt hat, denn es finden sich immer mehr Menschen in Tschetschenien, die bereit sind zu dieser Herangehensweise Moskaus Nein zu sagen. Und es gibt keine Garantie, dass beim nächsten Mal nicht gleich etwas - und ohne dass Journalisten als Unterhändler gerufen werden - in die Luft gejagt wird.
Genau das aber will Anna Politkovskaja verhindern, und deshalb hat sie dieses Buch geschrieben.
Jelena Beier war das. Sie rezensierte: "Tschetschenien - Die Wahrheit über den Krieg" von Anna Politkovskaja, erschienen im DuMont-Verlag Köln. Das Buch hat 336 Seiten und ist erhältlich für 16 Euro 90.